Die "Schwulen-Debatte" erreicht die Schützenvereine

Ein schwuler Schützenkönig in Münster hat eine scharfe Debatte entfacht

Die "Schwulen-Debatte" erreicht die Schützenvereine. (Bild: dpa)
Die "Schwulen-Debatte" erreicht die Schützenvereine. (Bild: dpa)

Münster (dpa) - Man erkennt ihn an den Pfeilen in seiner Brust: Sankt Sebastianus ist unter den Heiligen der katholischen Kirche eine eher ungewöhnliche Figur. Traditionell rufen ihn jene Gläubigen an, die es im Alltag schwer haben. In der Zeit der mittelalterlichen Pest wurde er zum Patron der Schützen, deren Bruderschaften damals noch die Toten wegschafften und die Plünderer verjagten. Er ist außerdem Beschützer der Polizisten, Soldaten und der Sterbenden. Auch fromme schwule Menschen haben Sebastian in den vergangenen Jahrzehnten als Schutzheiligen entdeckt.



Katholiken, Schützen und Schwule - in diesem Spannungsfeld ist nun ein wahrer Glaubenskrieg entbrannt: Konservative Schützen wollen verhindern, dass ein bekennend schwuler Schütze bei ihrem wichtigsten deutschen Wettbewerb mitmacht.

Es geht um Dirk Winter, einen freundlichen Getränkehändler aus Münster. Der 44-Jährige hat im Vorort Kinderhaus im Juni den Vogel abgeschossen. Dirk Winter ist schwul, daraus macht er kein Geheimnis. Wer glaubt, ein homosexueller König sei in deutschen Schützenvereinen nicht denkbar, der irrt. Allein in Nordrhein-Westfalen gab es schon mindestens zwei. Der aktuelle Eklat begann erst, als Dirk Winter eine Schützenkönigin bestimmen musste. "Ich wollte eigentlich erst jemand anderen fragen", hat er kürzlich noch gesagt. Dann hätten ihn Freunde im Verein ermutigt: "Mach doch den Olli zur Königin." Oliver ist seit 15 Jahren sein Partner. Viele Schützen stimmten zu. Immerhin wirbt Kinderhaus mit dem Slogan "Weltoffen seit 1333".

Aber damit ging der Ärger los. Der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BHDS) hatte vielleicht auch unterschätzt, wie gut Winter schießen kann. Denn erst ging es nur um das Protokoll, ob Winter und sein Freund in einer Reihe marschieren dürfen. Jetzt rückt eine andere Frage in den Vordergrund. Winter hat sich am vergangenen Wochenende für den wichtigsten Wettbewerb der deutschen Schützen qualifiziert: Das Bundeskönigsschießen im ostwestfälischen Harsewinkel Mitte September. Es ist sozusagen der krönende Abschluss der sommerlichen Festumzüge durch Deutschlands Dörfer und Vorstädte.

Die Dachorganisation weist den Vorwurf der Schwulenfeindlichkeit von sich. Sie überlegt dennoch, Winter zu disqualifizieren. Denn der habe vor dem erfolgreichen Schuss gegen Regeln verstoßen. "Er hatte vorher in einem Fragebogen unterschrieben, dass er sich christlichen Werten verpflichtet fühlt und nach dem Motto "Für Glaube, Sitte und Heimat" lebt", sagt BHDS-Sprecher Rolf Nieborg. Der schwule König müsse respektieren, wofür ein Schützenverein stehe. Nämlich für ein Weltbild, in dem die Familie große Bedeutung habe. "Das ist doch wie beim lateinamerikanischen Tanz." Dazu gehörten auch Mann und Frau.

Lesen Sie auch:Utöya-Massaker: Norwegens vergessene Heldeninnen

So ein Vergleich wirkt irgendwie befremdlich. Deutschlands Lesben- und Schwulenverband läuft natürlich Sturm, wirft dem Dachverband und den christlichen Würdenträgern im Vorstand "Scheinheiligkeit und Realitätsverleugnung" vor. Von "homophober Einstellung" spricht die Staatssekretärin in Nordrhein-Westfalens Emanzipationsministerium, Marlis Bredehorst, sogar. Bundesweit löst der Streit Empörung aus.

Zugleich fällt auf, dass beide Konfliktparteien heftigen Zuspruch bekommen. Nicht wenige Menschen äußern Vorbehalte gegen das schwule Königspaar. Ein Leser schreibt zum Beispiel auf dem Online-Auftritt der Zeitung "Die Welt": "Sie können den Menschen nicht vorschreiben, was sie gut finden sollen." Auf der Webseite der "Süddeutschen Zeitung" notiert ein Leser: "Muss man seine Gleichgeschlechtlichkeit nun wirklich in jedem Lebensbereich durchziehen?" Auf "queer.de" halten Andere dagegen: "Da wird jemand durch sportliche Leistungen Meister und die katholische Kirche bestimmt einfach mal so, dass er sich selbst verleugnen soll." Aus einem Sommerloch-Thema könnte eine Grundsatzfrage werden.

Wer in der ganzen Debatte inzwischen am wenigsten sagt, ist Dirk Winter selbst. Der 44-Jähriger mag sich auf Anfrage zunächst nicht mehr äußern. "Ich will erst abwarten, ob man mich disqualifiziert."

Lesen Sie auch:Zwischen Gleichstellung und Todesstrafe