Ökonomen gegen SPD-Beschluss: Ampel soll Haushaltslücke 2024 ohne „Notlage“ schließen – hier sind ihre Vorschläge

Mehr Schulden, mehr Steuern oder mehr Sparen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) müssen für den Haushalt 2024 17 Milliarden Euro auftreiben. - Copyright: Picture Alliance
Mehr Schulden, mehr Steuern oder mehr Sparen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) müssen für den Haushalt 2024 17 Milliarden Euro auftreiben. - Copyright: Picture Alliance

Das Urteil des Verfassungsgerichtes zur Schuldenbremse ist zur Zerreißprobe für die Ampel-Koalition geworden. Als Folge müssen SPD, Grüne und FDP im Haushalt 2024 eine Lücke von 17 Milliarden Euro schließen. Ihr Streit legt die grundsätzlichen Unterschiede der Parteien in der Frage offen, wie viel Geld der Staat ausgeben und wie er seine Ausgaben finanzieren soll. Die Schuldenbremse spaltet aber auch die Ökonomen des Landes in zwei gleich große Lager. Das ergab eine Umfrage des Ifo-Instituts und der FAZ unter 187 Volkswirtschafts-Professoren und Professorinnen.

Eine knappe Hälfte (48 Prozent) der Volkswirte ist dafür, die Schuldenbremse im Grundgesetz in der jetzigen Form zu erhalten. Sie argumentieren, die Schuldenbremse sei notwendig, um der Politik Anreize für Haushaltsdisziplin zu setzen, die Ausweitung der staatlichen Konsumausgaben zu verhindern und die Tragfähigkeit der Schulden sicherzustellen. Die aktuelle Regelung biete ausreichend Raum für flexible Reaktionen des Staates in Krisen. Ökonomen dieses Lagers fürchten, dass mit einer Reform des Grundgesetzes, Tricksereien im Haushalt zunehmen würden.

44 Prozent der VWL-Professoren wollen die Schuldenbremse im Grundgesetz zwar erhalten, die Regelung aber reformieren. Nur so könnten der hohe Investitionsbedarf bei der Infrastruktur und die ökologische Transformation in Deutschland finanziert werden. An der gegenwärtigen Regelung kritisieren sie, dass diese nicht zwischen investiven und konsumtiven Ausgaben des Staates unterscheide. Zudem schränke die Jährlichkeit den Spielraum bei Krisen ein. Einzelne Ökonomen führen an, dass die Schuldenbremse gerade nicht wirksam sei, was die schuldenfinanzierten Sondervermögen zeigten.

Eine kleine Minderheit von sechs Prozent will die Schuldenbremse komplett abschaffen.

 - Copyright: Ifo-Insititut
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Welche Reformen der Schuldenbremse schlagen Ökonomen vor?

Von den Ökonomen, die eine Reform fordern, gibt es die meiste Unterstützung für eine Ausnahmeregel für Investitionen. 62 Prozent dieses Teils der Volkswirte ist dafür. 36 Prozent wollen dem Staat die Möglichkeit geben, in Konjunkturkrisen mehr Schulden zu machen, die im Aufschwung ausgeglichen werden müssen. 30 Prozent stützen den Vorschlag, bestimmte Ziele wie Klimaschutz oder Verteidigung von der Schuldenbremse auszunehmen. 18 Prozent unterstützen eine Erhöhung des Rahmens für neue Kredite in normalen Zeiten auf mehr als 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung.

 - Copyright: Ifo-Institut
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Welche Folgen hat das Schuldenurteil?

Als positiven Effekt erwarten die Ökonomen mehrheitlich, dass sich die Staatsschuldenquote infolge des Urteils des Verfassungsgerichts verbessert. Die Mehrheit geht aber auch davon aus, dass das Urteil in den nächsten ein bis zwei Jahren die politische und wirtschaftliche Situation verschlechtert. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Entwicklung wird von 52 Prozent erwartet. Beim Klimaschutz und der Modernisierung der Wirtschaft erwarten 46 Prozent, bei der politischen Stabilität sogar 59 Prozent negative Folgen des Urteils.

Auf die mittlere Frist  - also die nächsten fünf bis zehn Jahren – hellt sich die Einschätzung auf. Für die wirtschaftliche Entwicklung erwartet nur die Minderheit von 24 Prozent negative Folgen des Urteils, 28 Prozentr dagegen eine Verbesserung, die meisten aber keinen Einfluss (42 Prozent).

Ähnlich verhält es sich für die Modernisierung der Wirtschaft, dem Klima und der Stabilität. Jeweils ein Drittel erwartet auch in fünf bis zehn Jahren noch negative Folgen des Urteils. Mehr als 40 Prozent der Teilnehmer sehen keinen Einfluss.

Mehrheit für Aussetzen der Schuldenbremse 2023

Eine große Mehrheit von 66 Prozent der VWL-Professoren stützt den Plan der Regierung, für 2023 erneut eine außergewöhnliche Notlage zu beschließen und die Schuldenbremse auszusetzen. Dies sei der einzige Weg, um das Jahr kurzfristig mit einem verfassungsgemäßen Haushalt abzuschließen. Sie Energiekrise am Anfang des Jahres biete auch die inhaltlichen Voraussetzungen für die Notlage. 28 Prozent der Hochschulökonomen lehnen die Aussetzung der Schuldenbremse 2023 ab.

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Große Mehrheit der Volkswirte gegen SPD-Beschluss zur Haushaltsnotlage 2024

Für 2024 fordert etwa die Hälfte der Teilnehmer, die Haushaltslücke vor allem durch Einsparungen zu schließen. Der Staatshaushalt sei groß genug. Sparmöglichkeiten gebe es besonders bei Subventionen und Sozialausgaben. Die 17-Milliarden Lücke über höhere Steuern oder Schulden zu schließen, halten sie langfristig für schädlich. Sie stellen sich damit gegen den Beschluss des SPD-Parteitages, auch 2024 eine Notlage zu erklären, um mehr Schulden machen zu können.

Ihnen gegenüber steht ein großes Lager von Professoren, die auch 2024 eine höhere Neuverschuldung primäre Lösung sehen. Sie favorisieren dabei aber unterschiedliche Wege: Rund 15 Prozent fordern eine schnelle Reform oder Abschaffung der Schuldenbremse, um Freiraum für Investitionen zu schaffen. 18 Prozent plädieren dafür, ein Sondervermögen zu Klima und Infrastruktur in Grundgesetz verankern, weil so Planungssicherheit geschaffen werde und die Mittel zweckgebunden seien. Fünf Prozent sprechen sich für ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse aus, weil das am realistischsten sei. Ebenfalls fünf Prozent fordern primär Steuererhöhungen.

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Sparpotenzial bei Subventionen und Bürgergeld

Wo sehen die Volkswirte den größten Spielraum für Einsparungen im Bundeshaushalt? Auf die offene Frage nach Potenzialen zur Einsparung antworteten 126 Ökonomen. Am häufigsten nannten sie mit 63 Prozent Subventionen. Konkret wurden besonders häufig die Förderung von Unternehmensansiedlungen sowie klimaschädliche Subventionen genannt. Mehr als die Hälfte der Ökonomen hält zudem Einsparungen im Sozialbereich für möglich. Am häufigsten nannten sie die geplante Erhöhung des Bürgergeldes sowie die Kindergrundsicherung. Bei Klimamaßnahmen sieht ein Viertel der Volkswirte Einsparpotenziale. Sie verknüpfen dies häufig mit der Forderung nach einer höheren Besteuerung von CO₂. Einsparpotenziale werden zudem bei der Rente (20 Prozent), in der Verwaltung (11 Prozent), bei Asyl (9 Prozent) und der Entwicklungshilfe (5 Prozent) gesehen. Mehrfachantworten waren möglich.

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Höhere Steuern auf Emissionen - und weniger Ausnahmen

101 Ökonomen nannten auch Vorschläge für die Erhöhung von Steuern oder Abgaben. 19 Prozent gaben ausdrücklich an, dass sie Steuererhöhungen ablehnen. Dagegen forderten 37 Prozent höhere Steuern auf CO₂ und andere Emissionen. 30 Prozent finden, dass Erbschaft- und Schenkungssteuer erhöht werden sollten. 21 Prozent sind für eine höhere Einkommenssteuer, aber im Bereich des Spitzen- oder Reichensteuersatzes. 17 Prozent wollen die Einnahmen durch Verzicht auf Steuervergünstigen anheben. Dabei wird primär das Dienstwagenprivileg genannt. Ähnlich verhält es sich mit jenen 15 Prozent, die sich für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer aussprechen. Sie wollen lediglich Ausnahmeregelungen abschaffen. Elf Prozent fordern höhere Steuern auf Vermögen und sechs Prozent höhere Steuern auf Kapitalerträge. Mehrfachnennungen waren möglich.

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