60 Jahre ZDF: Wie geht es weiter mit Deutschlands erfolgreichstem Fernsehprogramm?

Jan Böhmermann und sein "ZDF Magazin Royale" gehören zu den Aushängeschildern des ZDF. Gerade gewann der 42-Jährige wieder einen Grimmepreis für seine Arbeit, die zudem ungeheuer medienwirksam ist und über die Sendergrenzen hinaus "abstrahlt". Doch ein Jan Böhmermann reicht wohl nicht, um das ZDF in die Zukunft zu transportieren.   (Bild: ZDF / Jens Koch)

Am 1. April 1963 startete das "Zweite Deutsche Fernsehen". Der Rückblick des Senders auf 60 Jahre Programm erzeugte wohlige Retrogefühle. Doch wie geht es weiter mit einem Programm, das die Jüngeren nur noch von Geschichten der Eltern her kennen? Die Verantwortlichen suchen nach einem Plan.

Bei den jüngst verliehenen Grimme-Preisen, der künstlerisch bedeutendsten Auszeichnung für TV-Kreative in Deutschland, sahnte das ZDF richtig ab. Gerade im Bereich "Fiction". Dort holte man mit Programmen wie der famosen Miniserie "Neuland", Caroline Links beeindruckender Schauspielführung in der Kinder-Psychotherapie-Serie "Safe" oder dem gruselig-faszinierenden Fernsehspiel "Die Wannseekonferenz" alle Preise bis auf einen, der an die Netflix-Serie "Kleo" ging. Und natürlich heimsten auch das provokante Sendergesicht Jan Böhmermann und sein "ZDF Magazin Royale" wieder einen Preis ein. Auch über die Zahlen kann man nicht klagen: "Aktuell ist der Sender zum elften Mal in Folge das erfolgreichste nationale Vollprogramm", heißt es in einer Mitteilung des Senders zum nun anstehenden 60-Jahre-Jubiläum: "Im TV und Streaming erreichte die ZDF-Senderfamilie 2022 monatlich im Schnitt rund 82 Prozent der deutschen Bevölkerung ab drei Jahren." Doch dies ist, wie in von PR gefärbten Statistiken üblich, nur die Schokoladenseite des Zahlenwerks.

Fakt ist auch, dass das lineare Fernsehen, mit dem das ZDF immer noch seine größten Erfolge feiert, über alle Sender hinweg mittlerweile einen Konsumenten-Altersschnitt von 59 Jahren aufweist - und das ZDF mit 65 Jahren die ältesten "Fans" hat. Am anderen Ende des Spektrums der Vollprogramme liegt übrigens ProSieben mit "jugendlichen" 44 Jahren. Die Studie von AGF Videoforschung in Zusammenarbeit mit der GfK bildet die Zahlen des ersten Halbjahres 2022 ab.

Auch den ZDF-Verantwortlichen, die in aktuell der letzten Märzwoche ein Jubiläumsprogramm inklusive der Wiederbelebung von (prominenten) Ansagern wie eben Böhmermann und Rückblicken auf Kultprogramme vergangener Jahrzehnte fahren, dürfte klar sein, dass das lineare Fernsehen bald massiv an Bedeutung verlieren wird. 2017 lag der Zuschauer-Durchschnitt noch bei 54 Jahren - der Schnitt altert jedoch derzeit statistisch etwa gleich schnell wie ein Mensch.

Natürlich wird das Problem zum Jubiläum angesprochen. "Wir arbeiten unermüdlich an Neuem, um unser Programm sowohl inhaltlich als auch in der Verbreitung am Puls der Zeit zu halten", schreibt Programmdirektorin Nadine Bilke, und Chefredakteurin Bettina Schausten pflichtet in den hauseigenen Begleitworten zum 60. Geburtstag, der am Samstag, 1. April, mit "Der Schow der Shows" groß im Programm gefeiert wird, bei: "Wir müssen und wollen uns strukturell verändern, um die Menschen besser zu erreichen."

Damit spricht die Politik-Journalistin neben dem Entertainment-Anspruch ihres Senders vor allem den gesellschaftlichen Informations-Auftrag an. Was nutzen hervorragend ausgebildete Journalisten, was nutzt das beste Korrespondenten-Netzwerk in aller Welt, wenn sich jüngere Zielgruppen lieber in den Echokammern sozialer Medien über Politik und Zeitgeschehen informieren?

Bettina Schausten, 58, ist seit 1. Oktober 2022 Chefredakteurin des ZDF. Damit ist sie zwar sieben Jahre jünger als ihre durchschnittlichen Zuschauer, dennoch muss die renommierte Politik-Journalistin einen Spagat vollführen: Die immer noch große alte Zielgruppe muss erhalten bleiben - und jüngere müssen dazukommen. Aber wie soll das gehen? (Bild: ZDF / Markus Hintzen)

Ex-Chefredakteur redet Klartext

"Information für alle", lässt Schausten wissen, sei "die Überschrift des Prozesses, den die Chefredaktion im Jubiläumsjahr 2023 startet." Und weiter: "Das Ziel: Unsere Inhalte passgenau - also plattform- und zielgruppenspezifisch - im Netz anzubieten, genauso vielfältig und qualitativ anspruchsvoll wie im TV."

Das Problem ist nur, dass sich zu wenige junge Leute in die Mediatheken von ARD und ZDF verirren. Bei ihnen stehen Streamingdienste wie Netflix oder Disney+ und natürlich YouTube, TikTok und Co. ungleich höher im Kurs, sofern sie überhaupt schon vom ZDF gehört haben. Ex-Chefredakteur Peter Frey, der im September 2022 in den Ruhestand ging, durfte sich zum Ende seiner Amtszeit ein bisschen weniger diplomatisch äußern. Im Interview mit der Agentur teleschau erklärte der 65-Jährige: "Wahr ist, dass ich mir eine bessere Personalausstattung gewünscht hätte, um mehr online machen zu können - das Angebot in der ZDFheute-App, der Mediathek und um unsere Präsenz auf den Drittplattformen zu stärken."

Frey wies im selben Gespräch auch darauf hin, wie man sich die Zukunftsfähigkeit des Programms vorstelle. Wie auch die derzeit mit Geld und Personal stark aufstockende ARD Mediathek versuche man, das eigene Angebot stark über bei jungen Zielgruppen etablierte Drittplattformen zu vermarkten, um sich so wieder ins Gespräch zu bringen. Ein Preis, den man zahlen muss, weil man entscheidende Trends in der Vergangenheit verschlief. Nun versucht man, den Content von ZDF und der etwas jüngeren Plattformen ZDFinfo, ZDFneo, ZDFmediathek oder ZDFheute auch auf YouTube, Instagram und Twitter zu vermarkten. "Im Grunde ist es gesellschaftlich ungerecht, wenn wir unsere Mittel auf das alte Hauptprogramm konzentrieren", sagte Frey im Augsut 2022. "Wir müssen entschiedener in die Digitalkanäle und unsere Online-Angebote investieren. Und uns dabei auch besser verkaufen. Ich glaube, dass viele junge Leute ZDF-Produkte nutzen, ohne zu wissen, dass sie beim ZDF sind. ZDFheute ist der erfolgreichste ZDF-YouTube-Kanal. Bei Instagram hat ZDFheute über eine Million Abonnenten."

Peter Frey, 65, war Bettina Schaustens Vorgänger im Amt des ZDF Chefredakteurs. In einem großen Abschiedsinterview im August 2022 äußerte er sich differenziert und durchaus selbstkritisch zu Versäumnissen seines Senders in Richtung Zukunftsfähigkeit.  (Bild: )
Peter Frey, 65, war Bettina Schaustens Vorgänger im Amt des ZDF Chefredakteurs. In einem großen Abschiedsinterview im August 2022 äußerte er sich differenziert und durchaus selbstkritisch zu Versäumnissen seines Senders in Richtung Zukunftsfähigkeit. (Bild: )

Problem erkannt, Gefahr gebannt?

Doch wie wird das Fernsehen der Zukunft aussehen, und welche Rolle spielen dabei die öffentlich-rechtlichen Sender? Diese selbstkritischen Fragen erkundete das ZDF-Morgenmagazin mit "moma vor Ort" im Futurium, dem "Haus der Zukünfte" in Berlin am Mittwoch, 22. März. Moderatorin Dunja Hayali suchte dort das Gespräch mit jungen Zuschauerinnen und Zuschauern. Sie fragte nach deren Wünschen und Erwartungen an ein öffentlich-rechtliches Programm. "Sind wir nicht attraktiv genug oder sind die Angebote nicht auffindbar?" fragte die Moderatorin zwei Jugendliche im Publikum. "Beides", lautete die etwas schüchtern vorgetragene, aber wohl ehrliche Antwort der vielleicht 14- oder 15-Jährigen, die zugaben, keinen Fernseher zu nutzen und das ZDF nicht zu schauen.

Zu Gast bei Dunja Hayali war auch Özge Erdoğan. Stellvertretende Vorsitzende im Bundesjugendring, die sich mit der Lebenswirklichkeit junger Leute auskennt. Sie hatte drei Thesen mitgebracht, denen sich das ZDF stellen sollte, wenn es in 15 oder 25 Jahren noch relevant sein will: Die junge Zielgruppe müsse auch im "Hauptprogramm" sichtbar werden, hinter der Kamera und in den Redaktionen müssten junge Medienschaffende arbeiten und natürlich bräuchte man auch junge Themen.

Manchmal, so scheint es, können Lösungen ganz einfach sein. Die Frage lautet eher, ob das ZDF bereit ist, die immer noch große aber eben auch "alte" Zielgruppe aufs Spiel zu setzen, um sich der Zukunft zu widmen. Diese Frage gleicht eher einem Dilemma, in dem das gebührenfinanzierte Fernsehen nun schon seit geraumer Zeit herumirrt. Man wagt das Neue in der Nische, will aber das Alte im Großen und Ganzen beibehalten. In dieser Hinsicht tut sich momentan sehr viel, es werden durchaus auch inhaltliche Brücken geschlagen, Programm- oder Contentangebote, welche die "alte" und neue Zuschauergruppen verbinden sollen. Zumindest nicht ganz unwahrscheinlich ist jedoch, dass das ZDF seinen 80. oder 100. Geburtstag nur noch in einem sehr kleinen Kreis feiert, sollte es diese Strategie beibehalten.

In der letzten Märzwoche 2023 widmeten sich Dunja Hayali und ihr ZDF Morgenmagazin dem 60-jährigen Jubiläum des eigenen Senders. Dazu gehörte auch eine Diskussion mit jungen Leuten, in der es darum ging, wie das ZDF zukunftsfähig werden könnte.  (Bild: Jennifer Fey)
In der letzten Märzwoche 2023 widmeten sich Dunja Hayali und ihr ZDF Morgenmagazin dem 60-jährigen Jubiläum des eigenen Senders. Dazu gehörte auch eine Diskussion mit jungen Leuten, in der es darum ging, wie das ZDF zukunftsfähig werden könnte. (Bild: Jennifer Fey)