Aaron Hilmer: "St. Pauli und die Reeperbahn vereinen Menschen aus verschiedenen Welten"

"In den 80er-Jahren bebte das Leben auf allen Ebenen": In der Amazon-Serie "Luden" geht der "waschechte Hamburger" Aaron Hilmer auf Zeitreise. (Bild: Getty Images / Gerald Matzka)
"In den 80er-Jahren bebte das Leben auf allen Ebenen": In der Amazon-Serie "Luden" geht der "waschechte Hamburger" Aaron Hilmer auf Zeitreise. (Bild: Getty Images / Gerald Matzka)

Der "waschechte Hamburger" Aaron Hilmer traut sich an ein Stück Stadtgeschichte heran: In der Amazon-Serie "Luden" spielt er die einstige Kiezgröße Klaus Barkowsky. Ein Gespräch über den Mythos der Reeperbahn, die Parallelwelt St. Pauli und Deutschlands Sehnsucht nach einem Oscar.

Ein schwarzer Lamborghini mit Flügeltüren gehörte in den 80er-Jahren ebenso zu den Markenzeichen von Klaus Barkowsky wie dessen lang wallendes, blondes Haar. Der Reeperbahn-Playboy von einst hat sich als Rotlichtunternehmer längst zu Ruhe gesetzt und arbeitet nun als Künstler. Und doch ist ihm noch ein großer Auftritt vergönnt: Die Amazon-Dramaserie "Luden - Könige der Reeperbahn" (ab 3. März) ist inspiriert von der bewegten Lebensgeschichte der einstigen Kiezgröße. In dessen Fußstapfen tritt Schauspieler Aaron Hilmer, selbst ein waschechter Hamburger Jung. Im Interview spricht der 23-Jährige (bekannt aus dem Kinofilm "Das schönste Mädchen der Welt") über die Faszination St. Pauli, Veränderungen auf dem Kiez und er berichtet über seine Erfahrungen am Set der deutschen Oscar-Hoffnung "Im Westen nichts Neues".

teleschau: In "Luden" begeben Sie sich auf eine Zeitreise zurück in die 1980er-Jahre, also noch die Zeit vor Ihrer Geburt. Wie war das für Sie?

Aaron Hilmer: Der Kiez ist einfach so geschichtsträchtig, und so viel davon ist noch bis in die heutige Zeit aktuell. Das Rotlichtmilieu existiert weiterhin, und Bars wie der Elbschlosskeller und andere Institutionen sind immer noch am Start. In solch urigen Kneipen hat man oft das Gefühl, dass die Zeit stehengeblieben ist. In den 80er-Jahren hat das Leben gebebt auf allen Ebenen. Ich habe das Gefühl, dass gerade nach der Corona-Pandemie jetzt wieder Leben einkehrt auf der Reeperbahn.

teleschau: Sie sind in Hamburg aufgewachsen. Wie kamen Sie mit diesem Mythos Reeperbahn in Ihrer Jugend in Kontakt?

Hilmer: Ich kann mich noch erinnern, dass ich schon früh als Kind im Auto vorbeifahrend gemerkt habe, dass dort die Uhren anders ticken. Auch unter den Freunden haben irgendwann die Geschichten der damaligen Zeit auf der Reeperbahn die Runde gemacht. Mir waren die Namen, die auch in "Luden" auftauchen, durchaus schon ein Begriff.

teleschau: Welchen Stellenwert nehmen die Vergnügungsmeile Reeperbahn und der Kiez St. Pauli für die Stadt Hamburg ein?

Hilmer: Hamburg ist eine ganz spannende Stadt. Sie hat auf die Einwohnerzahl gerechnet eine sehr hohe Millionärsdichte, ist eine wahnsinnig reiche Stadt. In Blankenese und um die Alster herum ist es sehr bonzig. Gleichzeitig hat die Stadt ein Viertel wie St. Pauli, das auf den ersten Blick nicht dazu zu passen scheint. Das geht aber Hand in Hand, weil sich auch Leute mit viel Geld dort gerne aufhalten. St. Pauli und die Reeperbahn sind wie ein Melting Pot, wo verschiedene Welten zusammenkommen. St. Pauli vereint Menschen an einem Tisch, die aus ganz verschiedenen Sphären kommen.

teleschau: Sie haben sich in einem Interview einmal als "waschechten Hamburger" bezeichnet. Spürten Sie einen besonderen Druck, mit Klaus Barkowsky ein so gewichtiges Kapitel der Stadtgeschichte zu verkörpern?

Hilmer: Auf jeden Fall. Es war von Anfang an ein großes Thema, dass man sich an etwas herantraut, zu dem viele Menschen eine sehr starke Meinung vertreten. Und jeder meint genau zu wissen, wie es damals gewesen ist. Mir war klar, dass ich es eigentlich nur falsch machen kann. Das hat mir dann wiederum eine große Freiheit in meinem Spiel gegeben. Ich dachte mir: "Egal, wie ich es mache. Ich bekomme wahrscheinlich einen auf den Deckel." Ich bin mal gespannt, wie die Leute darauf reagieren. Wir sind alle mit Mut reingegangen. Ich glaube, wenn du eine Geschichte über St. Pauli erzählen willst, ist das die wichtigste Voraussetzung.

"Luden" ist an die Geschichte von Klaus Barkowsky angelehnt. Aaron Hilmer übernimmt die Hauptrolle der aufstrebenden Kiezgröße. (Bild: Prime Video)
"Luden" ist an die Geschichte von Klaus Barkowsky angelehnt. Aaron Hilmer übernimmt die Hauptrolle der aufstrebenden Kiezgröße. (Bild: Prime Video)

"Es gibt regelmäßig Schießereien zwischen Rockergruppen"

teleschau: Klaus Barkowksy selbst hat auf Instagram kundgetan, er freue sich auf die Serie. Hatten Sie in der Vorbereitung Kontakt mit ihm?

Hilmer: Ich habe ihn nicht persönlich getroffen, nur einmal haben wir kurz telefoniert. Da war ich gerade am Set. Das ging aber nur etwa zehn Minuten. Die Serie ist inspiriert von seiner Geschichte, aber es ist nicht eins zu eins seine Geschichte. In meine Arbeit war er konkret nicht involviert, aber ich habe mich natürlich vorbereitet über Fotos und Videoausschnitte.

teleschau: Barkowsky ist eine der wenigen Kiezgrößen von damals, die noch leben. Ist das Erbe der verstorbenen Luden in St. Pauli trotzdem heute noch spürbar?

Hilmer: Es war nun mal eine andere Zeit. Ich finde es total spannend, dass Hamburger und auch viele Freunde von mir ihre Begegnungen mit diesem Kosmos hatten. Es ist eine Welt, die so anders war, was mir in meinen Recherchen immer klarer wurde. Sich da jetzt mit einer Serie heranzuwagen, ist für mich sehr aufregend.

teleschau: Ihre Rolle Klaus geht einerseits mit einem breiten Grinsen und einer charmanten Art auf Damenfang, verfolgt andererseits aber knallhart auch seine Geschäfte. Worauf kam es Ihnen bei Ihrer Rolle besonders an?

Hilmer: Es war ein Seiltanz. Ich musste Klaus charmant und in seiner Art anziehend verkörpern, damit es glaubwürdig ist, warum all die Frauen für ihn gearbeitet haben. Gleichzeitig muss in bestimmten Momenten eben auch klar werden, dass er gefühllos und berechnend ist und alles für seine Vorteile ausnutzt, was nur auszunutzen ist.

teleschau: Das St. Pauli der 80er-Jahre ist heute Geschichte. Was hat sich im Kiez verändert?

Hilmer: Das stimmt, es ist nicht mehr das St. Pauli von damals. Trotzdem gibt es immer wieder Ecken, an denen die Zeit stehen geblieben ist. Ein großes Thema in der Serie ist, dass früher mit den Fäusten gekämpft wurde. Es gab eine klare Regel: keine Waffen! Allein da hat sich total viel getan. Es gibt heute regelmäßig Schießereien zwischen irgendwelchen Rockergruppen. Gleichzeitig laufen große Touristengruppen mit Guides durch die Gegend. Veränderung ist an allen möglichen Stellen zu spüren, das gehört aber auch dazu. Gleichzeitig sehe ich durch solche Touristentouren zum Beispiel aber auch die Möglichkeit, einen kritischen Blick auf Sexarbeit und die damit womöglich verbundene Unterdrückung der Arbeiterinnen zu werfen.

teleschau: Große Teile der Serien wurde nicht in Hamburg, sondern in München gedreht ...

Hilmer: Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie an diesem nachgebauten Straßenzug in München das erste Mal nachts die Lichter angingen. Da war etwas ganz Besonderes. Ich stand da und dachte: "Die Szenenbildner haben einen verdammt guten Job gemacht." Das war sehr eindrucksvoll.

Schnelle Autos, schneller Sex: Klaus (Aaron Hilmer) und Jutta (Jeanette Hain) sind bald die Stars auf dem Kiez.  (Bild: Prime Video)
Schnelle Autos, schneller Sex: Klaus (Aaron Hilmer) und Jutta (Jeanette Hain) sind bald die Stars auf dem Kiez. (Bild: Prime Video)

Aaron Hilmer über "Im Westen nichts Neues": "Es war kalt, es war physisch anstrengend"

teleschau: Ein Blick auf Ihre Filmvita verrät: Im ZDF-Dreiteiler "Preis der Freiheit" spielten Sie einen Jugendlichen in der DDR, später verkörperten Sie Rudi Dutschke. Was reizt Sie an historischen Stoffen?

Hilmer: Ich finde es toll in andere Zeiten einzutauchen. Wenn ich mir eine Superkraft wünschen könnte, dann wäre es wahrscheinlich die Möglichkeit, in der Zeit reisen zu können. Es ist total spannend zu versuchen, andere Zeiten zu verstehen und Bezüge zur heutigen Zeit herzustellen.

teleschau: Sie sind auch Teil des Ensembles von "Im Westen nichts Neues", der deutschen Oscar-Hoffnung. Wie nehmen Sie die Aufmerksamkeit rund um den Film wahr?

Hilmer: Als ich die BAFTAs gesehen habe, werde ich nie vergessen, was für eine wahnsinnig schöne Rede Produzent Malte Grunert gehalten hat. Er hat der Filmbranche auf ganz großer Bühne widergespiegelt, dass die Auseinandersetzung mit Krieg leider ein zeitloses Thema ist. Gleichzeitig hat er betont, dass "Im Westen nichts Neues" ein Anti-Kriegsfilm ist und Krieg keine Lösung ist. Ich finde es toll, dass der Film gerade eine solche Aufmerksamkeit bekommt, weil das Thema immer noch aktuell ist und es gilt, sich damit immer wieder auseinanderzusetzen.

teleschau: Welche Erlebnisse von den Dreharbeiten ist Ihnen besonders im Kopf geblieben?

Hilmer: Es war für mich eine wahnsinnige Erfahrung, an einem so großen Set dabei zu sein. Das war eine ganz besondere Arbeit, im Matsch auf diesen nachgebildeten Schlachtfeldern zu stehen. Es war kalt, es war physisch anstrengend. Was für mich auch ganz besonders ist, ist die Freundschaft, die zwischen uns Jungs durch die Arbeit am Film entstand. In dieser intensiven, anspruchsvollen Zeit haben wir uns gegenseitig toll unterstützt.

teleschau: Nach sieben Preisen bei den BAFTAs könnte für "Im Westen nichts Neues" die Krönung folgen. Haben Sie schon Pläne für die Oscar-Nacht geschmiedet?

Hilmer: Ich werde nicht nach L.A. fahren und werde die Oscars von zu Hause aus gespannt verfolgen!

teleschau: Sie sind Teil eines womöglich oscarprämierten Films und haben in "Luden" ihre erste große Serienhauptrolle gespielt. Was wünschen Sie sich für Ihre weitere Karriere?

Hilmer: Ich möchte erst einmal diesen Weg weitergehen und habe Lust auf abgedrehte Figuren und besondere Charaktere. Hoffentlich bekomme ich auch in Zukunft die Gelegenheit, in solch tollen Projekten mitwirken zu dürfen.

Mit Bernd (Noah Tinwa, links) und Andi (Henning Flüsloh, rechts) mischt Klaus (Aaron Hilmer) die Reeperbahn auf. (Bild: Prime Video)
Mit Bernd (Noah Tinwa, links) und Andi (Henning Flüsloh, rechts) mischt Klaus (Aaron Hilmer) die Reeperbahn auf. (Bild: Prime Video)