Der Abgesang auf eine deutsche Wunderläuferin

Der Abgesang auf eine deutsche Wunderläuferin
Der Abgesang auf eine deutsche Wunderläuferin

Als sich die Schauer am späten Nachmittag verzogen hatten und der Himmel über Pliezhausen aufriss, war auch Konstanze Klosterhalfens Laune wieder besser, zumindest machte sie den Anschein.

Die mit Abstand beste deutsche Läuferin der vergangenen zehn Jahre mischte sich unter ihre Fans und verteilte lächelnd Autogramme. „Es hat auf jeden Fall Spaß gemacht und ich denke, dass ich von hier aus weitermachen kann“, sagte „Koko“, nachdem sie kurz zuvor die 1.000 Meter in 2:43,11 Minuten gelaufen war.

Wäre es nicht das Naturell der spindeldürren Athletin, prinzipiell gutgelaunt durchs Leben zu laufen, Klosterhalfens Miene hätte die Gewitterstimmung vom ersten Teil des Meetings annehmen müssen.

Nachdem sie früh in der Saison schon mehrere Male vergeblich versucht hatte, die Olympianorm über 10.000 Meter zu knacken, wollte sie in der schwäbischen Provinz auf der Unterdistanz testen, was komplett in die Hose ging.

Baumann: „Es ist schon dramatisch...“

Klosterhalfens Form - man muss es so hart sagen – ist knapp einen Monat vor der EM in Rom, bei der sie über 5.000 Meter ihren Titel verteidigen will, ihrer nicht würdig.

„Es ist schon dramatisch, wenn man eine Titelverteidigerin im Land hat und dann sehen muss, dass sie so kämpft“, sagt Bundestrainerin Isabelle Baumann im Gespräch mit SPORT1.

Die Ehefrau von 5.000-Meter-Olympiasieger Dieter Baumann (1992 in Barcelona) ist als DLV-Trainerin Langstrecke zuständig für Klosterhalfen, auch wenn sie nur am Rande in die Trainingsprozesse ihres Schützlings involviert ist.

„Sie hat ein Umfeld, das gut auf sie achtet“, erklärt Baumann. „Wir tauschen uns telefonisch aus, dann gibt es auch persönliche Kontakte, wie jetzt in Pliezhausen – aber mehr auch nicht.“

Formschwäche bei Klosterhalfen? „Ich habe keine Erklärung dafür“

Mit ihren 27 Jahren müsste Klosterhalfen langsam in ein Alter kommen, in dem Mittel- und Langstreckenläuferinnen gewöhnlich ihre Leistungsmaxima abrufen – doch davon ist aktuell weit und breit nichts zu sehen.

Am vergangenen Mittwoch testete sie in Pfungstadt zunächst über 800 Meter, eine Stunde später ging Klosterhalfen über 1.500 Meter ins Rennen – auch unter Berücksichtigung der Kürze der Zeitspanne belegten die Ergebnisse (2:08,57 und 4:17,21 Minuten) eindrucksvoll ihre aktuelle Formschwäche.

„Ich habe keine Erklärung dafür, außer dass es schwierig ist, weil sie ihren Leistungen hinterherläuft“, sagt Baumann: „Damit setzt sie sich natürlich selbst unter Druck, weil sie unzufrieden ist.“

Klosterhalfens letztes großes Ausrufezeichen setzte die gebürtige Bonnerin im August 2022, als sie im Münchner Olympiastadion zum EM-Titel über 5.000 Meter stürmte.

Schon da war sie allerdings nicht mehr in der Form früherer Jahre, wie im Sommer 2019, als sie in Berlin im Alleingang den deutschen Rekord pulverisierte und wenige Monate später in Doha WM-Bronze holte.

Rekordläufe in jungen Jahren

Zu diesem Zeitpunkt hatte man den Eindruck, als habe Deutschland eine potenzielle Olympiasiegerin auf einer Strecke, in der die ostafrikanische Dominanz jahrzehntelang erdrückend war und DLV-Athletinnen meilenweit hinterherliefen.

Will man im Bild bleiben, dann scheint Klosterhalfen in ihrem vorgezeichneten Lauf in die absolute Weltspitze an mehreren Stellen falsch abgebogen zu sein.

Ihr früher Wechsel in die USA, als sie mit 21 Jahren in das höchst umstrittene und später aufgelöste Nike Oregon Project (NOP) wechselte, katapultierte sie in ein zwielichtiges Umfeld, für das sie sich fortwährend rechtfertigen musste.

Dennoch schaffte es ihr Trainer Pete Julian, mit dem sie auch nach der NOP-Auflösung zusammenarbeitete, die noch junge DLV-Athletin auf hohem Niveau zu stabilisieren. Aus dieser Zeit stammen auch die meisten deutschen Rekorde, die sie reihenweise purzeln ließ.

Mehrere langwierige Verletzungen warfen Klosterhalfen allerdings immer wieder zurück und beschleunigten ihren schleichenden Leistungsabfall. Im Oktober 2022 flackerte ein (zumindest bislang) letztes Mal ihr riesiges Talent auf, als sie bei ihrer Premiere im Halbmarathon den deutschen Rekord nur um Haaresbreite verfehlte.

Trennung von zwei Trainern

Den größten Bruch in Klosterhalfens bisherigen Karriere löste dann ihr Wechsel von Nike zu Puma im April 2023 aus - verbunden mit der Trennung von ihrem langjährigen US-Coach Pete Julian.

Im Zeitraum von einem Jahr verpasste sie nicht nur verletzungsbedingt die WM in Budapest, sondern verschliss mit Alistair Cragg und Gary Lough auch noch zwei Trainer, weil diese es nicht verstanden, die einstige Wunderläuferin zurück in die Spur zu bringen.

Trainingslager in Äthiopien lässt Fragen offen

Im Winter entschloss sich Klosterhalfen, neue Wege einzuschlagen und bezog ein zweimonatiges Trainingslager in der äthiopischen Hochebene – doch nach derzeitigem Stand verfehlte es nicht nur seine Wirkung, sondern führte sogar dazu, dass sie völlig außer Form geriet.

„Sie ist eine sehr mutige und professionelle Frau und hat offensichtlich erkannt, dass es für sie nicht funktioniert“, meint Baumann: „Das ist eine sehr schwierige Situation für sie - aber ich weiß nicht, wie und was sie in Äthiopien gelaufen ist. Momentan ist sie sicherlich nicht in der Verfassung, die ihren Fähigkeiten entspricht.“

In den vergangenen Wochen versuchte Klosterhalfen, in heimatlichen Gefilden doch noch rechtzeitig so in Form zu kommen, dass es zumindest mit der Olympia-Teilnahme klappt. Dafür müsste sie über 10.000 Meter 30:40,00 Minuten unterbieten – eine Zeit, an die sie zuletzt nicht mehr herankam.

Löst Klosterhalfen überhaupt die Olympia-Fahrkarte?

„Sie macht das jetzt selbst in ihrem Bonner Umfeld mit Unterstützung von alten Quellen, alten Trainern und einer sehr minuziös geführten Trainingsdokumentation“, verriet Baumann: „Sie wird die EM laufen, bei der sie eine Wildcard hat und sich dann - das sage ich aus Sicht der Bundestrainerin - hoffentlich für die Olympischen Spiele qualifizieren.“

Dass sie in Paris um die Medaillen mitlaufen kann, erscheint zum jetzigen Zeitpunkt utopisch - dennoch will die Bundestrainerin ihre (eigentlich) beste Läuferin nicht abschreiben. „Im Sport gibt es keine Wunder, aber ich denke, dass Koko aufgrund ihres Talentes die Chance hat, den Weg zurückzufinden. Dass das in der Kürze der Zeit nicht ganz einfach wird, ist klar.“

Zumindest weiß Klosterhalfen selbst um ihre derzeitige Situation - allem Frohsinn, den sie auch in trüben Tagen wie in Pliezhausen zur Schau stellt, zum Trotz. „In den Gesprächen finde ich sie extrem realistisch. Sie kann ihre Situation und ihren weiteren Weg gut beschreiben“, berichtet Baumann.

Am Sonntag bezog Koko das nächste Höhentrainingslager, dieses Mal in St. Moritz. In ihrer Instagram-Story postete sie ein kurzes Video mit einem Rundumblick über den Schweizer Nobelort und schrieb dazu: „When one place can make you happy.“ (Deutsch: “Wenn ein Ort dich glücklich mache kann.“)

Man kann ihr nur wünschen, dass sie in malerischen Umgebung und eingerahmt von den schneebedeckten Dreitausendern des Engadins doch noch die Kurve bekommt.

Oder wie es Isabelle Baumann formuliert: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“