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"Absolut beängstigend": Linken-Chefin schildert bei "Hart aber fair", wie sie das Erdbeben erlebte

"Ich bin aus dem Schlaf gerissen worden und mir war klar, dass das ein Erdbeben war", erinnerte sich Linken-Chefin Janine Wissler. (Bild: ARD)
"Ich bin aus dem Schlaf gerissen worden und mir war klar, dass das ein Erdbeben war", erinnerte sich Linken-Chefin Janine Wissler. (Bild: ARD)

Eigentlich war Janine Wissler in die Türkei gereist, um einen Prozess gegen Politiker der prokurdischen HDP zu verfolgen. Die schweren Erdbeben trafen auch die Bundestagsabgeordnete, die am Montagabend bei "Hart aber Fair" von der Situation vor Ort berichtete.

Das Erdbeben in der Türkei sei "absolut beängstigend" gewesen, berichtete Janine Wissler am Montagabend bei "Hart aber Fair". Die Co-Vorsitzende der Linken, die dem ARD-Talk per Video zugeschaltet war, hatte sich zum Zeitpunkt des Bebens in der Großstadt Diyarbakır im Osten der Türkei aufgehalten, um am folgenden Tag ein politisches Gerichtsverfahren zu beobachten.

"Ich bin aus dem Schlaf gerissen worden und mir war klar, dass das ein Erdbeben war. Es war aber nicht nur heftig, sondern dauerte auch sehr, sehr lange. Alles hat gewackelt, alles hat geknarzt", erinnerte sich die Politikerin. Das wahre Ausmaß der Zerstörung sei Wissler jedoch erst bewusst geworden, als sie auf die Straße gegangen sei: "In der Nacht war es ziemlich chaotisch. Es gab kaum Einsatzfahrzeuge, die ich wahrgenommen habe. Ich habe mitbekommen, wie Menschen versucht haben, mit den bloßen Händen ihre Angehörigen aus den Trümmern zu holen."

Wisslers Augenzeugenbericht war der eindrücklichste Teil der Spezialausgabe von "Hart aber Fair" am Montagebend. Eigentlich hätte es in der Sendung um Geschlechter-Gleichberechtigung gehen sollen, die Tragödie im syrisch-türkischen Grenzgebiet veranlasste die Redaktion aber zu einer kurzfristigen Änderung. "Wie können wir helfen?", wollte Moderator Louis Klamroth von seinen weiteren Gästen wissen. Eine klare Antwort bekam er jedoch nicht - mit Ausnahme des wiederholten Aufrufs aller Anwesenden, für die Betroffenen zu spenden.

"Das Wichtigste ist nun, dass wir schnell helfen", betonte Cem Özdemir (rechts) im Gespräch mit Louis Klamroth. (Bild: ARD)
"Das Wichtigste ist nun, dass wir schnell helfen", betonte Cem Özdemir (rechts) im Gespräch mit Louis Klamroth. (Bild: ARD)

Cem Özdemir: "Während wir hier reden, kämpfen Leute um ihre Angehörigen"

Auch Cem Özdemir, der wie Wissler ins Studio zugeschaltet war, appellierte an die Spendenbereitschaft der Zuschauerinnen und Zuschauer. "Das Wichtigste ist nun, dass wir schnell helfen", mahnte der Bundeslandwirtschaftsminister. Klamroths Fragen zum bevorstehenden Wahlkampf in der Türkei wehrte Özdemir ab. "Während wir hier reden, kämpfen Leute um ihre Angehörigen", betonte der Grünen-Mann. Dies sei "nicht der Moment dafür", die türkische Regierung zu kritisieren. Irgendwann werde der Zeitpunkt kommen, um sich mit nicht eingehaltenen Gesetzen zum erdbebensicheren Bauen auseinanderzusetzen. "Jetzt ist der Moment der Hilfe - und wir helfen. Darauf können sich die Menschen in der Türkei verlassen", versprach Özdemir.

Nicht alle Gäste zeigten sich überzeugt von den Worten des Ministers. Dass Özdemir ausschließlich von der Türkei gesprochen hatte, beanstandete der im Studio anwesende WDR-Reporter Farah Elias. "Herr Özdemir hat Syrien nur am Rande erwähnt", monierte er. "Keiner denkt an Syrien." Die Menschen, die vor Bombardierungen an die Grenze Syriens geflohen seien und nun im "Niemandsland" lebten, seien Elias zufolge "vergessen" worden - auch von der deutschen Bundesregierung. Er selbst habe Angehörige im Katastrophengebiet: "Ein Teil meiner Familie lebt in der betroffenen Region. Ich habe ein paar Stunden gezittert, aber ihnen geht es gut. Trotzdem ist der Tag sehr traurig, weil viele gestorben sind."

WDR-Reporter Farah Elias kritisierte die deutsche Bundesregierung: "Keiner denkt an Syrien." (Bild: ARD)
WDR-Reporter Farah Elias kritisierte die deutsche Bundesregierung: "Keiner denkt an Syrien." (Bild: ARD)

THW-Präsident Gerd Friedsam: "Es ist extrem kalt"

Weiterhin offen blieb die Frage, wie den betroffenen Menschen denn nun zu helfen sei. Qualifiziert, um eine Antwort zu geben, schien vor allem Gerd Friedsam. "Man muss die Situation insgesamt beachten. Es ist extrem kalt, deshalb ist es auch wichtig, dass relativ schnell die Rettungskräfte vor Ort kommen", erklärte der Präsident des Technischen Hilfswerks. Grundsätzlich sei es etwa 72 Stunden lang realistisch, Menschen aus den Trümmern zu retten. Als Einsatzleiter bei früheren Erdbeben wisse er jedoch auch von längeren Suchen: "Es gab in der Vergangenheit auch Fälle, in denen lebende Menschen nach fünf Tagen oder zwei Wochen gefunden wurden."

Es werde lange dauern, in den Erdbebengebieten wieder Normalität herzustellen, betonte Friedsam. "Letzten Endes geht es dann auch ums Weiterleben. Die Energieversorgung ist zusammengebrochen, Trinkwasser steht nicht zur Verfügung. Es geht darum, den Menschen Überlebenshilfe zur Verfügung zu stellen." Nun sei es vor allem an der EU, alle geforderten Leistungen auch zu liefern.

Einen Blick in die Zukunft warf indes Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar: "In Japan können dank Vorwarnungen Hochgeschwindigkeitszüge gestoppt und die kritische Infrastruktur gestoppt werden, bevor das Erdbeben kommt", berichtete er. Auch die Türkei müsse damit beginnen, sich - beispielsweise mit entsprechenden Smartphone-Frühwarnsystemen - besser auf Erdbeben vorzubereiten. Zudem brauche es in der Türkei mehr "Einsicht, Neubauten wirklich erdbebensicher zu bauen und Altbauten nachzurüsten". Laut Yogeshwar sei es besonders wichtig, eine Lehre aus der Katastrophe zu ziehen: "Wir müssen auch in Zukunft an Erdbeben denken - und nicht nur an diesem einen Abend."

"Es ist extrem kalt, deshalb ist es auch wichtig, dass relativ schnell die Rettungskräfte vor Ort kommen", erklärte Gerd Friedsam. (Bild: ARD)
"Es ist extrem kalt, deshalb ist es auch wichtig, dass relativ schnell die Rettungskräfte vor Ort kommen", erklärte Gerd Friedsam. (Bild: ARD)