Bundesländer sperren sich - Deutschland ignoriert seit 30 Jahren ein Gesetz – das kann jetzt Millionen kosten

Ein Traktor fährt mit einem Streuwagen über ein Feld und bringt Dünger aus.<span class="copyright">dpa</span>
Ein Traktor fährt mit einem Streuwagen über ein Feld und bringt Dünger aus.dpa

Das neue Düngergesetz sollte eigentlich eine seit 30 Jahren überfällige EU-Verordnung umsetzen. Doch elf der 16 Bundesländer stoppten die Verabschiedung im Bundesrat, Grund: Zu viel Bürokratie. Darunter sind ausgerechnet die Bundesländer, die am meisten von Nitratrückständen im Boden betroffen sind.

Seit 1991 gilt die europäische Nitratverordnung, die vorschreibt, dass Nitratwerte zurückgehen müssen. Heißt: Weniger Dünger, sauberes Grundwasser. Doch obwohl diese Regelung bereits seit über 30 Jahren gilt, hat Deutschland es bislang noch nicht geschafft, sie umzusetzen. Die EU-Kommission drohte gar schon mit einem Vertragverletzungsverfahren. Das Ganze sollte eigentlich mit einem neuen Düngergesetz sein Ende finden, das bereits im Bundestag beschlossen wurde. Nun hat der Bundesrat das Gesetz jedoch abgelehnt.

Appell im Bundesrat: „Der Aufwand zahlt sich aus“

Bereits im Vorfeld war klar, dass ein Großteil der Bundesländer sich gegen das Gesetz stellen würde. Das Vorhaben sei „ein Tropfen auf dem heißen Stein“, kritisierte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) in der Bundesrats-Debatte am Freitag. „Die Bundesregierung sagte für die Kürzung des Agrardiesels ein Entgegenkommen zu. Doch das ist mit dem neuen Düngegesetz nicht vorhanden.“ Mit den betroffenen Landwirten habe es keinen Dialog gegeben. „Sie sind es, die maßgeblich zur Sicherung unserer Ernährung beitragen“, sagte Rhein. Doch der Entwurf garantiere keinerlei Planungssicherheit. Rhein kündigte an, dass Hessen dem Entwurf nicht zustimmen würde.

Auch Peter Hauk (CDU), Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg, kritisierte den Entwurf. So würden derzeit viele Betriebe in belasteten Gebieten durch umfangreiche Dokumentationspflichten belastet – ohne dass überhaupt eine Reduzierung der Nitratbelastung erreicht werde. „Mit dem Düngegesetz wird Bürokratie aufgebaut statt abgebaut“, sagte Hauk im Plenum des Bundesrates. Unter den Landwirten sorge das für Frustration – „das ist kontraproduktiv, weil genau diese Leute brauchen wir. Wir haben ja alle ein gemeinsames Ziel, nämlich die Nitratwerte zu reduzieren. Aber das können wir nur zusammen mit den Landwirten.“

Zum Ende der Debatte hin appellierte Ophelia Nick (Grüne), Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), an den Bundesrat, dem Gesetz zuzustimmen. Die Nitratwerte seien immer noch zu hoch und die Kosten für die Trinkwasserreinigung müsste am Ende die Bevölkerung tragen. „Erst 2023 wurde das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingestellt, weil wir neue Düngeregeln in Abstimmung mit den Verbänden erarbeitet haben“, so Nick. „Der Aufwand zahlt sich aus, nicht nur aufgrund der Forderungen der EU und des Vertragsverletzungsverfahren mit hohen Strafzahlungen.“ Nick appellierte an die Ministerinnen und Minister, das Gesetz „nicht auf die lange Bank zu schieben“.

Weniger Nitrat, Kontrollen & Co.: Das sollte mit dem Entwurf passieren

Kern des neuen Gesetzesentwurfs waren die Grenzwerte für Nitrat im Grundwasser. Das wiederum kommt hauptsächlich von Nitratdüngern, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden – zum Beispiel für Felder. Derzeit beträgt der Grenzwert 50 Milligramm pro Liter. Dieser Grenzwert darf nicht überschritten werden, da der Mensch sonst Nitrat über das Grundwasser aufnimmt, was wiederum Schäden im menschlichen Körper anrichten kann . Aber auch für Tiere werden zu hohe Nitratwerte zum Verhängnis: Entlang der Ostseeküste gibt es regelrechte „Todeszonen“, in denen kein Fisch mehr überleben kann, weil sie aufgrund der hohen Nitratbelastung ersticken.

Das Gesetz wäre außerdem die Grundlage gewesen, um die EU-Verordnung von 1991 umzusetzen. Damit solle die sogenannte „Stoffstrombilanz“ landwirtschaftlicher Betriebe verbessert werden, also: Die Differenz zwischen Zu- und Abgabe von Düngern auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Damit das kontrolliert werden kann, sollen laut dem Gesetz auch Betriebe ab 15 Hektar entsprechende Aufzeichnungen führen. Das galt bislang nur für Betriebe mit einer Größe ab 20 Hektar.

Maximilian Zinnbauer vom Thünen-Institut ist zuständig für das Monitoring der Düngeverordnung und begrüßt den Tenor des Gesetzes. „Deutschland stand bereits vor einem Vertragsverletzungsverfahren und konnte sich mit der Kommission einigen. Doch dafür müssen wir auch mal EU-Recht umsetzen, und das erfordert Gesetzesänderungen", sagt Zinnbauer zu FOCUS online Earth. Sollte Deutschland es nicht schaffen, die Nitrat-Verordnung umzusetzen, drohen hohe Strafzahlungen an die EU.

Ausgerechnet stark betroffene Bundesländer mauern

Gegner des bereits im Bundestag beschlossenen Entwurfs waren vor allem die unionsgeführten Bundesländer – aber auch das schwarz-grün regierte Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, wo eine Koalition aus SPD und der Linkspartei regiert. So kündigte Mecklenburgs Landwirtschaftminister Till Backhaus (SPD) bereits am Donnerstag an, dass sein Bundesland dem Gesetz nicht zustimmen würde.

Backhaus kritisierte das Herzstück der Novelle, die Stoffstrombilanz: Sie ermögliche keine direkten Informationen über tatsächliche Stickstoffüberschüsse im Boden und brächte „keinen Mehrwert“ für den Gewässerschutz. Es handle sich dabei, so Backhaus, lediglich um eine rechnerische Größe. Die verursache einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand. Das kritisierte auch der niedersächsische Landwirtschaftsminister Werner Schwarz (CDU) und fordert mehr Entlastungen für die Landwirte.

Es sträuben sich also ausgerechnet die Bundesländer, die besonders betroffen sind: Laut Umweltbundesamt (UBA) verzeichnen gut ein Viertel aller Messstellen zu hohe Nitratwerte, in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern betrifft dies fast ein Drittel der Fläche. In manchen Regionen wurden daher sogenannte „Rote Gebiete“ ausgewiesen, wo Landwirte 20 Prozent weniger als notwendig düngen müssen, damit die Nitratkonzentration nicht weiter steigt. Das gilt dann auch wiederum für Landwirte, die die Grenzwerte gar nicht überschreiten. Der Haken: Diese Beschränkungen blieben bislang ohne Ergebnis.

Ob der kritisierte bürokratische Aufwand wirklich so hoch ist, wie von Kritikern moniert, ist außerdem fragwürdig. In einer Vorlage des damals CSU-geführten Landwirtschaftsministerium von 2017 zur Stoffstrombilanz beziffert der sogenannte Normenkontrollrat der Bundesregierung den zusätzlichen Aufwand auf 4,8 bis 5,3 Stunden – pro Jahr. „Das Monitoring ist kein zusätzlicher Bürokratieaufwand, sondern beruht auf bestehenden Verwaltungsdaten“, sagt Experte Zinnbauer. „Trotzdem sollte das Düngerecht entbürokratisiert werden, dafür wird es aber Abstimmung mit der EU-Kommission brauchen.“

Die Beschwerden des Bauernverbandes, das Verzweifeln der Gewässerverbände

Auch der Bauernverband moniert, dass die Stoffstrombilanz „vertane Chance für den Bürokratieabbau“ sei und fordert, darauf im Sinne einer zukunftsfähigen Landwirtschaft zu verzichten. Außerdem kritisiert Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, dass Betriebe in den Roten Zonen, die gar nicht über den Grenzwerten liegen, keine Ausnahmeregelungen erhalten.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hingegen warnt den Bundesrat davor , eine „historische Chance“ zu verspielen. BDEW-Hauptgeschäftsführer Martin Weyand betont, wie wichtig das Monitoring sei, um Nitrat verursachergerecht" zu identifizieren. Dieser Ansicht ist auch Zinnbauer. Die Europäische Kommission hatte bei den Verhandlungen zur Beilegung des Verfahrens mehrere Forderungen an die Bundesregierung, dazu gehörte ein Monitoring über die Wirksamkeit der Maßnahmen. Darin sieht Zinnbauer den Schlüssel: Kann man mittels Monitoring glaubhaft machen, dass die Maßnahmen wirken, können erneute Vertragsverletzungsverfahren abgewendet werden, glaubt er. Doch das hängt auch an der Kooperation der Landwirte und der zuständigen Landesbehörden.

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Und jetzt?

Für Deutschland könnte die Situation etwas brenzlig werden. Bis 2027 müssen die Gewässer gemäß der Wasserrahmenrichtlinie einen guten ökologischen Zustand aufweisen, sonst droht ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren. Im Worst Case-Szenario wäre Deutschland dann mit zwei solcher Verfahren zu hohen Strafzahlungen konfrontiert: Denn zu den drohenden, hohen Strafzahlungen aufgrund der Versäumnisse bei der Umsetzung der Nitratverordnung käme dann eben die Wasserrahmenrichtlinie hinzu.

Viel Zeit bleibt also nicht mehr. „Bis man den Effekt politischer Maßnahmen in unseren Gewässern spürt, dauert es vielerorts Jahre, weil die Wirkung erst zeitverzögert auftritt", sagt Zinnbauer. "Das hängt unter anderem mit der Fließgeschwindigkeit des Wassers im Boden zusammen. Beim Grundwasser kann das wenige Jahre bis Jahrzehnte dauern.“

mit AFP-Material