Analyse: Die Politiker und das liebe Geld

Sigmar Gabriel. (Bild: Abdulhamid Hosbas/Anadolu Agency via Getty Images)
Sigmar Gabriel. (Bild: Abdulhamid Hosbas/Anadolu Agency via Getty Images)

Die Fleischaffäre von Sigmar Gabriel ist nur ein i-Tüpfelchen in der langen Geschichte, wie Politiker ihre Kontakte vergolden.

Eine Analyse von Jan Rübel

Zugegeben, das Politikerdasein ist ein harter Job. Unterbezahlt ist es auch. Über „die da oben“ lästern, das ist einfach wie ungerecht. Doch immer wieder tritt an die Oberfläche, wie Politiker oder ehemalige Politiker Geld verdienen, indem sie „Beratungen“ vornehmen. Es sind keine schwarzen Schafe, sondern nahezu Bestätigungen einer Regel.

Jüngstes Beispiel: SPD-Urgestein Sigmar Gabriel ist mal wieder in den Schlagzeilen, weil eine Beratertätigkeit bekannt geworden ist, und zwar für den Fleischgiganten Tönnies, gerade noch mehr in den Schlagzeilen wegen Ausbeutung seiner Arbeiter und dem Ausbruch von Corona in seinen Massenbetrieben. Um die 10.000 Euro mal so, für die Eruierung von Absatzchancen in China.

Für Gabriel wie für andere Politiker gilt: Natürlich erarbeiten sie sich eine Menge Erfahrungen und Kompetenzen. Warum sollten Unternehmen nicht davon profitieren? Die Antwort darauf ist einfach. Was die Manager haben wollen, ist kein „Insiderwissen“, sondern sind die Telefonbücher. Den Zugang zu anderen Entscheidungsträgern. Es ist eine stille Macht, die sich da ein Netzwerk knüpft. Und es ist nah am Missbrauch der Verantwortung, die Politiker tragen oder trugen. Dafür gewählt haben wir sie nämlich nicht.

Lesen Sie auch: Heil kritisiert Gabriel wegen Tönnies-Beratervertrag

Um andere Beispiele zu suchen, braucht man nicht lange in die Vergangenheit zu schweifen.

Philipp Amthor. (Bild: Sean Gallup/Getty Images)
Philipp Amthor. (Bild: Sean Gallup/Getty Images)

Philipp Amthor

Noch wenige Wochen frisch ist Philipp Amthor von der CDU, der meinte mit dem Briefkopf seines Bundestagsmandats Werbung für eine Firma machen zu können – und dies nicht aus Überzeugung von einem Nutzen für die Gesellschaft, sondern weil er dort einen Direktorenposten innehatte.

Max Straubinger

Der CSU-Abgeordnete handelte sich im April eine Art Rüge der Bundestagsverwaltung ein, weil er seit Jahren seine Nebentätigkeiten verspätet meldete. Die Verstöße betreffen seine Engagements als Generalvertreter der Allianz-Versicherung, die er im Herbst 2019 beendete, und als Beirat des bayerischen Sparkassenverbandes sowie als Landwirt. Nach Angaben auf seiner Bundestagsseite erhielt der CSU-Politiker für diese Tätigkeiten seit 2011 mehr als 700.000 Euro brutto – über etliche Zahlungseingänge wurde die Öffentlichkeit mehrere Monate bis Jahre im Unklaren gelassen.

Lesen Sie auch: US-Richter hebt Verbot von Enthüllungsbuch von Trump-Nichte auf

Karin Strenz

Beeindruckend dreist handelte die CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz. Sie soll Geld aus zweifelhaften aserbaidschanischen Quellen entgegen genommen haben. Dem Regime bescheinigte sie faire Wahlen und sprach sich nach Angaben des NDR auch gegen die Freilassung politischer Gefangener aus. In einem Interview erklärte sie einmal, "sie habe ihr Herz in Aserbaidschan verloren." Schön, dass dieses Herz offenbar vergoldet wurde.

Hildegard Müller. (Bild: Sven Hoppe/dpa)
Hildegard Müller. (Bild: Sven Hoppe/dpa)

Hildegard Müller

Die ehemalige CDU-Politikerin arbeitete mal als Staatsministerin im Kanzleramt, galt als nah dran an Angela Merkel. Dann entschied sich der Shootingstar für eine Karriere außerhalb der Politik – zuerst in der Energie- und Wasserwirtschaft, nun ist sie Präsidentin der deutschen Autohersteller. Keine Frage: Müller ist kompetent und talentiert. Aber die Autobosse wollten sie auch, weil sie eine Nähe zur Politik brauchen – hofften sie doch zum Beispiel auf eine erneute Kaufprämie im Rahmen des anstehenden Konjunkturhilfepakets. Vorvorgänger Müllers war übrigens Matthias Wissmann, ein ehemaliger CDU-Bundesminister.

Florian Hahn

Der CSU-Bundestagsabgeordnete sitzt im Verteidigungsausschuss – und saß auch im Aufsichtsrat einer Rüstungsfirma. Er soll sich für Projekte eingesetzt haben, von denen das Unternehmen profitierte. Kein Problem für Hahn; nach Bekanntwerden seiner beidseitigen Engagements ließ er das Aufsichtsratsmandat ruhen. Warum eigentlich? Weil es öffentlich wurde?

Die Liste lässt sich endlos erweitern, da braucht es keinen Verweis auf Ex-Kanzler Gerhard Schröder und seine Liebe zu „lupenreinen Demokraten“ wie Wladimir Putin. Die Website „Lobbypedia“ vermerkt die Wechsel in Aufsichtsräte, bei denen man sich fragt, was Politiker da eigentlich zu suchen haben. Es fällt auf: Wer einmal Staatssekretär in den Bundesministerien für Wirtschaft oder für Verkehr war, der hat ausgesorgt. Dem winken zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten.

Diese bereitet ein Heer von Lobbyisten vor. Die „tagesschau“ schätzt sie allein in Berlin auf rund 6000. Was macht man als Lobbyist so den lieben langen Tag? Nach Angaben der Transparenzorganisation „Abgeordnetenwatch“ haben 778 von ihnen eine Akkreditierung zum Betreten des Bundestags. Es ist eine zweifelhafte Nähe.

Im Video: Merkel: Corona-Hilfsprogramm der EU muss "wuchtig" sein