Analyse vom Parteitag - In Essen feiert sich AfD als neue SPD - für Wagenknecht kursiert ein böser Name

AfD-Parteitag in Essen: Voller Genugtuung berichtete die Parteispitze über die Ergebnisse der Europawahl<span class="copyright">IMAGO/DeFodi</span>
AfD-Parteitag in Essen: Voller Genugtuung berichtete die Parteispitze über die Ergebnisse der EuropawahlIMAGO/DeFodi

Die Alternative für Deutschland will sich auf ihrem Parteitag harmonisch und geschlossen als Partei für nahezu alle Wählerschichten empfehlen - gerne auch für jene, die früher bei der SPD zu Hause waren. Und dann kursiert da noch ein Name: Sahra Wagenknecht.

Guido Reil ist zufrieden. Der frühere Europaabgeordnete und heutige Essener Kommunalpolitiker der AfD hat bei deren Parteitag ein Heimspiel und berichtet stolz, dass seine Partei bei der Europawahl im Essener Norden stärker abgeschnitten habe als die SPD.

Reil, früher in der SPD aktiv, steht in der Essener Grugahalle vor einem Plakat, auf dem die von ihm geleitete Parteiorganisation „Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer“ (AVA) mit einem Zitat aus der Tageszeitung „Die Welt“ für sich wirbt: „Die AfD ist Deutschlands neue Arbeiterpartei“. Das sei ganz logisch, sagt Reil, denn: „Arbeiter lieben ihre Familie, ihren Glauben und ihr Land“ - ganz wie AfDler halt.

Vordringen ins Gewerkschaftsmilieu reklamiert

Voller Genugtuung berichtet die Parteispitze über die Ergebnisse der Europawahl, jeder zehnte vorherige SPD-Wähler sei zur AfD gewechselt. Bei der AVA wollen sie schon seit Längerem einen Trend festgestellt haben, nach dem auch Gewerkschaftsmitglieder sich inzwischen zunehmend für die AfD erwärmen. Das gelte freilich nur fürs „Fußvolk“, nicht für die Funktionäre.

Nachdem die AfD der CDU Wähleranteile aus bürgerlichen Schichten abgeluchst hat, erschließt sie sich nun offenbar auch Schichten, die sich früher eher der SPD zugewandt haben. Als Gründe nennt die AVA beständig steigende Lebenshaltungskosten, sinkende Realeinkommen und Angst um die Rente. Das sind Sorgen, die auch der Rechtspopulistin Marine Le Pen in Frankreich derzeit stark in die Hände spielen.

Große Vorbehalte gegen Wagenknecht - aber keine Brandmauer

Um die Klientel mit solchen Besorgnissen konkurriert die AfD in Ostdeutschland mit der Linken und nun auch mit dem neuen Bündnis Sahra Wagenknecht - auf das man deshalb in großen Teilen der Partei nicht allzu gut zu sprechen ist. Die Bündnisgründerin wird in diesen Kreisen mit dem Spitznamen „Dame ohne Unterleib“ tituliert - weil ihrer Bewegung jeder echte programmatische Unterbau fehle. Auch von „Etikettenschwindel“ ist die Rede - Wagenknechts Gefolgschaft habe sich nicht wirklich von der Ideologie der Linken abgewendet, wolle nur rechtzeitig das sinkende Schiff verlassen.

„Am Ende des Tages sind die sozialistisch“, sagt Reil über das Bündnis. „Ich halte es nicht für sozial, das Geld anderer Leute zu verteilen.“ Dennoch erkennt er Schnittpunkte mit den Wagenknecht-Leuten und verweist darauf, dass es keinen Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei gegen eine Zusammenarbeit mit ihnen gebe.

Chrupalla empfiehlt AfD als Partei für nahezu jedermann

„Wir bauen keine Brandmauern“ ist ein Satz, den man in Essen öfter von AfDlern hört. Co-Parteivorsitzende Alice Weidel hält solche Barrieren, mit denen die anderen Parteien agieren, um die AfD von politischer Verantwortung fernzuhalten, für „unsäglich“.

Ihr Mitvorsitzender Tino Chrupalla, mit etwas größerem Stimmanteil als Weidel im Amt bestätigt, beschreibt die AfD im Volkspartei-Modus als politische Heimat für so gut wie jedermann in Deutschland, als „Partei der Wertschöpfer“ - das umfasse Arbeitnehmer wie -geber, den Mittelstand und Handwerker.

Demonstration von Harmonie und Selbstbewusstsein

Neben dem Bemühen um demonstrative Geschlossenheit und Harmonie bestimmt ein starker Ton des Selbstvertrauens diesen Parteitag zwischen Europawahl und ostdeutschen Landtagswahlen. Chrupalla und Weidel gehen betont liebenswürdig miteinander um, schlagen sich gegenseitig zur Wiederwahl vor. Weidel lobt, dass in den Bundesvorstand der AfD in den vergangenen zwei Jahren deutlich mehr Ruhe eingezogen sei.

Selbstkritik klingt kaum an. Chrupalla gibt allerdings zu: „Wir müssen unsere Kandidaten künftig genauer ansehen.“ Der Europawahlkampf hatte unter Affären rund um gleich zwei Spitzenkandidaten der AfD gelitten.

Chrupalla kündigt an: „Diese Partei wird dieses Land ändern, das verspreche ich.“ Unter den Delegierten ist nach den jüngsten Erfolgen eine Stimmung spürbar, die er in die Worte kleidet: „Jetzt sind wir an der Reihe.“ Man freut sich auf ein politisches Rollback in der Bundesrepublik, das Ende des Einflusses der 68-er, die zum erfolgreichen Marsch in die Institutionen angesetzt hatten und sie nach dem Willen der AfD nun wieder räumen sollen.

„Sonne der Regierungsverantwortung“ nicht nur ersehnt

Wie viel Verantwortung die AfD selbst auf sich nehmen sollte, ist in der Partei jedoch durchaus noch in der Diskussion. Chrupallas Anspruch lautet zwar: „Im Osten muss die Sonne der Regierungsverantwortung für uns aufgehen“.

Doch gibt es in der AfD durchaus auch die Position, damit könne man sich derzeit noch übernehmen. Man habe gar nicht genug geeignetes Personal und solle deshalb lieber zunächst über Tolerierungsmodelle Einfluss ausüben.

Wahr dürfte in jedem Fall sein, was Weidel sagt und damit nicht nur die schwere Erreichbarkeit der von Gegendemonstranten umzingelten Grugahalle meint: „Wir sind hier, und wir werden bleiben.“