Analyse: Warum sich die Autokraten dieser Welt zum großen Kuscheln treffen

Eine neue Phase der globalen gegenseitigen Annäherung beginnt: Potentaten rücken zusammen. Das kann einige Probleme beseitigen. Aber es geht auch auf Kosten des "Westens". Nun bezahlt er die Rechnung für etwas, das er vor genau 20 Jahren begann – die Invasion im Irak im Jahr 2003.

Russlands Präsident Wladimir Putin (links) und Chinas Präsident Xi Jinping bei einem Gipfeltreffen in Samarkand im September 2022 (Bild: Sputnik/Sergey Bobylev/Pool via REUTERS)
Russlands Präsident Wladimir Putin (links) und Chinas Präsident Xi Jinping bei einem Gipfeltreffen in Samarkand im September 2022. (Bild: Sputnik/Sergey Bobylev/Pool via REUTERS)

Ein Kommentar von Jan Rübel

In der Regel sind Autokraten untereinander unversöhnlich. Immerhin will jeder von ihnen die größte Schaufel im Sandkasten. Und weil sie es mit Demokratie nicht so haben, gelingen ihnen weniger Kompromisslösungen. Das endet meist mit Sand in der Luft.

Nun aber das: Chinas Machthaber Xi Jinping besucht den Kreml. Der dortige Diktator Wladimir Putin lobt im vornherein die Zurückhaltung Pekings bei seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Und die Stühle zwischen den Regimen in Iran und Saudi-Arabien rücken zusammen, endlich: Die Rivalität beider Staaten um die regionale Dominanz rund um den Golf dauert seit Jahrzehnten an – nun scheint nach Exzessen echter Feindlichkeit gerade in den vergangenen Jahren eine Blume des Verständnisses zu blühen. Und damit nicht genug: Der Herrscher der Vereinigten Arabischen Emirate macht sich dafür stark, dass Syriens Gewaltfürst Baschar al-Assad wieder in die Arabische Gemeinschaft aufgenommen wird; seit 2011 ist dieser eigentlich geächtet, hat er doch Proteste mit desaströser Gewalt niedergeschlagen.

Werden all diese Autokraten plötzlich nett & friedensliebend, entwickeln sie eine überraschende Vorliebe für Eierkuchen?

Die Gründe für dieses große Kuscheln liegen woanders

Zum einen müssen einige von ihnen anerkennen, dass sie ihre Karten überreizt haben. Dass diese ständigen Kriegereien irgendwann zu viel kosten. Und zum anderen merken die Autokraten dieser Welt, das der globale Norden, also der "Westen", letztlich nicht mehr mit seiner moralischen Überlegenheit daherkommt, weil er sie in Teilen verloren hat. Das lässt die Schurken dieses Planeten zusammenrücken.

China erntet nun die Früchte seiner Äquidistanz zum international geächteten Russland. Putins Machtsystem ist derart geschwächt, dass er sich mit Müh und Not ins Pekinger Lager schleppt. Denn eines haben diese Potentaten gemein: Sie hacken dem anderen nur ein Auge aus, wenn es sich für sie lohnt. Ansonsten verfahren sie nicht ungern so, als säßen sie gemeinsam in einem Glashaus. Da wirft keiner rasch den ersten Stein.

Abnutzungserscheinungen fordern ihren Tribut

Und der Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien schwelt seit langer Zeit ohne Aussicht auf ein Ende, auf einen Sieger. Das Mullahregime in Teheran ist aktuell geschwächt, weil intern unter Druck. Noch nie wurde seine Herrschaft derart stark von den Bürgern herausgefordert wie in diesen Wochen. Und Riad hat auch eine Menge Stressmanagement zu absolvieren: Im Libanon und in Syrien läuft es nicht wie erwünscht, während der Krieg im Jemen, in den die saudischen Potentaten viel "investieren", erst recht keine geplanten Ergebnisse zeitigt. Assad schließlich, der Schlächter seines eigenen Landes, sitzt den Krieg schlicht aus – mit Hilfe Putins, dessen Soldaten in Syrien lernen konnten, was sie nun in der Ukraine anwenden.

All diese Staaten erkennen, dass die "Weltmacht" USA angeschlagen ist. China wächst stark und realisiert eine pragmatische Außenpolitik auf reiner Machtbasis, wie die alten Falken in Washington D.C. nur vor Neid erblassen können. Das Signal an die Volksbetrüger aller Länder: Nun geht es ungenierter.

Auf der Strecke bleibt damit der "Westen". Europa, die EU, kann sich nicht recht auf eine gemeinsame Außenpolitik einigen. Nur bei der Ukraine gelingt, nach langem Zögern und unterschiedlichen Geschwindigkeiten, der Schulterschluss mit den angegriffenen Opfern.

Hochmut benötigt Fehlerfreiheit

Doch nun rächt sich, dass die demokratisch verfassten Länder des Nordens nicht uneingeschränkt moralisch daher laufen können. Denn die Werte von Gerechtigkeit und Frieden haben sie selbst nicht immer eingehalten. Allein vor 20 Jahren gerieten die USA in einen Sündenfall: Der Angriff gegen den Irak im März 2003 lässt die Amerikaner zurecht als Kriegsverbrecher dastehen. Diese Invasion war mit Lügen und Manipulationen begründet worden, das weiße Haus wollte sie schlicht unbedingt. Auch die Besatzung Afghanistans als Reaktion auf die Terroranschläge der von den Taliban unterstützten Terrorgruppe al-Qaida war alles andere als verhältnismäßig. Dann die Luftangriffe auf Libyen mit dem nachfolgenden Chaos bis heute: Diese miese Machtpolitik geriet zu einem einzigen Fail. Wer es damals so bezeichnete, stand lange allein.

Daraus folgt leider, dass den USA nun weniger zugehört wird, obwohl sie in Sachen Freiheit eine Menge zu sagen haben. Und im Schlepptau agiert eine geschwächte EU. Dabei hat der "Westen" noch immer das Beste vorzuweisen, was der Menschheit geschehen kann. In diesen neuen Wettbewerb mit den Autokratengangs dieses Planeten ist einzusteigen. Den Blick auf die Vergangenheit haben wir dabei auszuhalten. Und auch manche Ungerechtigkeit: Dass die Amerikaner einst in Vietnam einmarschierten, können wir den Ukrainern ruhig verzeihen.

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