Anja Reschke: "Ich werde in meinem Alter keine Jugend-Influencerin mehr"
"Panorama"-Frontfrau Anja Reschke präsentiert mit "Reschke Fernsehen" ein neues ARD-Format zwischen "Late Night", Politsatire und Information. Im Interview spricht sie über den Unterschied zu Jan Böhmermann und das Misstrauen gegenüber Frauen, wenn es um Humor geht.
Anja Reschke wagt sich mit "Reschke Fernsehen" (Donnerstag, 2. Februar, 23.35 Uhr, ARD) auf neues Terrain vor. In zunächst fünf Sendungen, die man sich wohl ein bisschen wie den "gefürchteten" monothematischen Themenblock von Jan Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" vorstellen kann, geht die 50-jährige NDR-Journalistin ("Panorama") am späten Donnerstagabend und über die ARD-Mediathek auf Sendung. Im Interview erklärt Anja Reschke nicht nur die Idee ihres in Deutschland immer noch ungewöhnlichen Formats. Sie prangert die männliche Humor-Dominanz in den Medien an und erklärt, warum vertrauenswürdige "Influencer" auch für ältere Zielgruppen wichtig sind.
teleschau: In "Reschke Fernsehen" wollen Sie Politik und Entertainment verbinden. Auch das Wort "Late Night" taucht in der Ankündigung auf. Was erwartet Zuschauerinnen und Zuschauer genau?
Anja Reschke: Seit ich "Panorama" mache, also seit fast 20 Jahren, überlege ich immer wieder, wie man Recherchen auch noch auf andere Art an Zuschauerinnen und Zuschauer vermitteln könnte. Anders als in einem Magazin oder einer Doku, die ja immer eine gewissen Formatstrenge mit sich bringen. Aber vielleicht kann man einen anderen Teil des Publikums auch noch anders erreichen. Die Unterscheidung zwischen Information und Unterhaltung ist ohnehin oft Quatsch ...
teleschau: Wie meinen Sie das?
Anja Reschke: Naja, weil Unterhaltung ja auch Informationen beinhaltet. Bei einer Quizshow etwa lernt man ja auch was. Genauso hat Information auch oft was Unterhaltendes. Wenn Autoren vom Dreh kommen, erzählen sie oft, was sie erlebt haben, was sich Unterhaltsames auch nebenbei zugetragen hat, obwohl es um ernste Themen ging. Das hat aber in einem Magazinbeitrag oft keinen Platz. Es ist ein bisschen so, als würde jemand zu dir an den Küchentisch kommen und einfach erzählen: "Weißt du, was der Söder oder der Scholz da heute gemacht haben?" Trotzdem erhält man bei einer solchen Erzählung extrem interessante Informationen. In unserer neuen Sendung versuchen wir, auch so etwas Raum zu geben.
"Wir bleiben Journalisten und Böhmermann ist ein Comedian"
teleschau: Es sind erst einmal fünf Sendungen, und jede widmet sich einem Thema. Wie kann man sich den Ablauf vorstellen?
Anja Reschke: Man kann sich "Reschke Fernsehen" wie einen langen Magazinbeitrag vorstellen, nur statt Bildern sieht man eben viel mich und das Studio. Ich erzähle eine Recherche, ein Thema - und wir unterfüttern das Ganze mit Film-Einspielern, Bildern, Tweets und so weiter. Das macht es leichter, lockerer, lustiger. In den USA gibt es dieses TV-Genre schon lange, da fällt es auch unter die Rubrik "Late Night". Die bekannteste Sendung dort ist "Last Week Tonight with John Oliver". Bei uns versteht man den Begriff "Late Night" immer etwas enger. Da muss dann jemand vorne stehen, fast immer ein Mann. Es geht mit Stand-up-Witzen los, ein Gast kommt, eine Band spielt, und man hangelt sich so durch die Späße der Woche. Das wird es bei uns erst mal nicht geben.
teleschau: Trotzdem klingt ihre Beschreibung ein bisschen wie der monothematische Block bei Jan Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" ...
Anja Reschke: Ich finde Böhmermann wirklich gut. Er kann eine bestimmte Tonart wahnsinnig gut bespielen und verdient als Fernsehmacher höchsten Respekt. Die Sendungen haben oft eine interessante Dramaturgie und sind kreativ produziert. Trotzdem werden wir natürlich nicht das Gleiche machen. Wir bleiben Journalisten und Böhmermann ist ein Comedian, ein Satiriker.
teleschau: Wo liegt für Sie der Unterschied?
Anja Reschke: Comedians machen heute viel mehr "Inhalt" als früher. Das heißt, auch sie bedienen sich journalistischer Instrumente wie der Recherche. Doch wenn Comedians und Satiriker "Inhalt" machen, warum sollen dann Journalisten nicht auch lustig sein dürfen?
"Loriot bediente anderen Humor als etwa heute Mario Barth"
teleschau: Ein Comedian kann sich journalistische Instrumente wie Recherche draufschaffen. Aber ist "komisch sein" nicht ein Talent, das eventuell nur schwer zu erlernen ist?
Anja Reschke: Journalismus kann man sich nicht einfach mal schnell "draufschaffen". Journalismus ist ein komplexes Handwerk, zu dem unter anderem ein kritisches Durchdenken komplexer Themen gehört. Um gut zu sein, braucht es zudem Erfahrung. Natürlich kann man sich eine Redaktion "holen", aber auch da stehen die guten Leute nicht einfach so auf der Straße herum. Wir haben im NDR Redaktionen mit ausgezeichneter journalistischer Kompetenz, wie "Panorama", die Investigation, STRG-F oder die Dokus. Und dazu haben wir im Haus satirische Expertise mit "extra 3" und auch noch eine Unterhaltungsabteilung. Dieser ganze Erfahrungsschatz fließt in die Sendung ein. Die erste Fernsehmoderation meines Lebens war bei "extra 3" - und Komik ist ja ein weites Feld. Loriot bediente anderen Humor als etwa heute Mario Barth. Irgendwo auf dieser "Range" werde ich mich schon einsortieren.
teleschau: Ist die Schnittmenge jener Menschen, die sowohl Politmagazine als auch ambitioniertere Unterhaltungsformate sehen, groß oder eher klein?
Anja Reschke: Grundsätzlich erreichen beide Formen ganz sicher eher Menschen, die auch Interesse haben, sich mit politischen oder gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen. Aber die Hoffnung ist, mit "Reschke Fernsehen" noch mal andere Zielgruppen zu erreichen - einfach, weil es anders erzählt wird als etwa "Panorama" oder eine Doku. Ich glaube, Politik und Unterhaltung können absolut komplementär funktionieren.
teleschau: Das heißt, Sie machen auch mit "Panorama" in der gewohnten Form weiter?
Anja Reschke: Ja, natürlich. Beides kann parallel stattfinden und ein breiteres Interesse für ein und dasselbe Thema erzeugen. Im Magazin haben wir in der Regel so um die acht Minuten Zeit für ein Stück. Bei den monothematischen "Reschke Fernsehen"-Folgen kann man dann etwas mehr mit dem Thema spielen. Und die Autoren haben oft so viel mehr recherchiert oder erlebt - was man dann gar nicht immer alles zur Aufführung bringen kann.
"Politische Inhalte in einer etwas lustigeren Art verkaufen fast nur Männer"
teleschau: Bei jüngeren Zielgruppen ist sehr entscheidend, wer ihnen etwas erzählt. Stichwort: Influencer. Da scheint der Überbringer von Information mittlerweile wichtiger zu sein als die Information oder die Güte der Information selbst. Ist das ein Problem für uns und unser demokratisches System?
Anja Reschke: Der Utopie, dass ich nun 15-Jährige erreiche, nur weil wir ein etwas anderes Format machen, der gebe ich mich nicht hin. Ich werde in meinem Alter keine Jugend-Influencerin mehr. Die Idee wäre zwar schick, aber es wird nicht passieren. Trotzdem, da haben Sie recht, ist der Präsentator von Information, auch in erwachsenen Zielgruppen übrigens, durchaus ein Thema. Gerade das politisch-satirische Genre ist nach wie vor sehr männlich besetzt. Und ich bin eine Frau. Vielleicht spricht meine Art zu erzählen, noch mal ganz andere Zielgruppen an.
teleschau: Und die Gefahr fürs demokratische System ...?
Anja Reschke: Ich glaube nicht, dass das attraktive Präsentieren von Informationen ein Problem für unser demokratisches System ist. Es gibt ja genügend Nachrichten und reine Informationssendungen. Auch die leben übrigens von Präsentatoren, denen das Publikum vertraut, also Caren Miosga oder Ingo Zamperoni etwa. Wichtig ist, dass Informationen gecheckt und journalistisch sauber eingeordnet werden.
teleschau: Sind Frauen im deutschen Humor unterrepräsentiert?
Anja Reschke: Ja, auf jeden Fall. Nicht nur in Deutschland. Aber bleiben wir ruhig hier. Schauen Sie sich diese ganze Late-Night-Satire-Comedy-Fernsehwelt an: Da gibt es Klaas Heufer-Umlauf, Tommi Schmitt, Sebastian Pufpaff, Jan Böhmermann, Dieter Nuhr, Florian Schröder und so weiter - alles Männer. Und was gibt es an Frauen? Nur Carolin Kebekus und Mai Thi Nguyen-Kim. Relevante politische Inhalte in einer etwas lustigeren Art verkaufen fast nur Männer.
"Frauen, die im Job Witze erzählen, werden als weniger kompetent wahrgenommen"
teleschau: Politische Talkshows werden mittlerweile von Männern und Frauen moderiert, auch Anchorwomen bei den Nachrichten gibt es einige. Warum hat ausgerechnet beim Humor das Patriarchat Bestand?
Anja Reschke: Es gibt viele Studien zu dem Thema, dass Männer im Vergleich zu Frauen als lustiger gelten. Bei Humor am Arbeitsplatz ist es zum Beispiel wissenschaftlich untersucht, dass Frauen, die im Job Witze erzählen, als weniger kompetent wahrgenommen werden. Bei Männern, die dasselbe tun, stärkt dieser Zug - in der Wahrnehmung - ihren Charakter und ihre Führungskompetenz. Vielleicht hat das unterschwellig auch Einfluss auf Programmentscheidungen.
teleschau: Wie meinen Sie das?
Anja Reschke: Wenn Sie sich mal die Comedy-Szene anschauen, ist sie immer noch unglaublich männlich geprägt. Frauen, die sich dort durchsetzen wollen, müssen einen langen Atem haben. Ich glaube, da ist die Erwartungshaltung - auch aus dem Publikum - an Frauen viel höher als etwa an männliche Moderatoren. Nach dem Motto: Na, wenn Du in dem Genre als Frau mitspielen willst, dann streng Dich mal an!
teleschau: Glauben Sie, dass sich Beharrlichkeit auch beim Humor auszahlt?
Anja Reschke: Beharrlichkeit zahlt sich aus - gerade bei Humor. Die "heute show" mit Oliver Welke ist ein gutes Beispiel dafür. Als die anfingen, waren die Quoten lange nicht so hoch wie heute. Auch "extra 3" hat quotenmäßig kleiner angefangen. Solche Formate müssen sich entwickeln können, und das Publikum muss sie erst mal finden und liebgewinnen. Durchhaltevermögen, gerade bei seriellen Unterhaltungsformaten, ist ein ganz entscheidender Faktor.