"Anonymisierter Schmutz": Julian Reichelt wehrt sich bei "Chez Krömer" gegen Vorwürfe
Kurt Krömer trifft im Verhörraum seiner RBB-Show auf Julian Reichelt - mehr Reibungsfläche ist bei einem Talk kaum denkbar. In 30 erkenntnisarmen Minuten wurden etliche Vorwürfe und noch mehr Dementis laut. Der Ex-"Bild"-Chef gefiel sich in der Rolle als Opfer "abstoßender Methoden".
Wer ein vertiefendes Gespräch über die Verantwortung von Journalismus erwartet hatte, kennt die RBB-Show "Chez Krömer" schlecht. Wer umgekehrt damit gerechnet hatte, das Aufeinandertreffen von Gastgeber Kurt Krömer und Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt würde in einen wüsten Kulturkampf-Showdown münden, sieht sich jedoch gleichfalls getäuscht. Was nicht daran lag, dass die Kontrahenten der auf Konfrontation gebürsteten Verhörraumshow friedfertig gestimmt ins Rede-Duell gingen. Sie hauten nur verlässlich aneinander vorbei.
Kostprobe: Ob "Bild" mit dem Amtsantritt des Chefredakteurs Reichelt nicht nach rechts gerückt sei, unterstellte Krömer. Reichelt: "Ein Klischee!" Mit dem Anstieg der Rügen vom Presserat unter seiner Verantwortung muss Julian Reichelt auch schon mal einer konfrontiert haben. Die ungerührte Replik: "Ich betrachte den Presserat als politisiert, sodass man die Rügen nicht ernst nehmen kann."
"Chez Krömer": Julian Reichelt streitet alle Vorwürfe ab
Heikler sind da schon die Vorwürfe des Machtmissbrauchs, die zu Reichelts Entlassung als "Bild"-Chefredakteur 2021 führten. "Pures Talent, nehm ich mal an", ätzte Krömer am Beispiel einer Auszubildenden, die nach einer Affäre mit Reichelt befördert worden sein soll. Reichelt, der seit diesem Jahr einen YouTube-Kanal betreibt, bestritt dies wie überhaupt alles an "Compliance"-Vorhaltungen vehement. "Ich betrachte diese abstoßende, verleumderische Berichterstattung als Teil einer Kampagne, die sich meines Privatlebens bemächtigt hat. Deshalb werde ich dazu nichts sagen."
Dass Reichelt einer anderen Freundin einen Job bei "Bild" verschafft haben soll: "Auch das ist falsch! Ich weiß, es stand so im 'Spiegel'", konzedierte der Boulevardjournalist und wandte den Duktus der "Bild"-Kritik recht durchsichtig gegen die Widersacher vom Hamburger Nachrichtenmagazin. "Bitter genug, dass mit dieser Methodik inzwischen gearbeitet wird!" Krömer parierte das Manöver mit Ironie: "Schmierige Methoden! Schweinejournalismus?" Reichelt beteuerte leutselig: "Ich habe bei 'Bild' von Anfang an dafür gesorgt, dass wir über die Privat- und Intimsphäre von Menschen nicht mehr berichten, wenn diese Menschen nicht zustimmen."
Kurt Krömer: "Lassen Sie uns über Machtmissbrauch reden!"
Krömers Nachfrage "Nehmen Sie Drogen?" mag sich an der Stelle aufgedrängt haben. Reichelt indes wiederholte auch hier ein Dementi, das er bereits an Eides statt gegenüber dem Springer-Konzern versichert hatte. "Dieses Compliance-Verfahren war ein unfassbarer Einbruch in meine Privat- und Intimsphäre", wählte der ehemals mächtige Redaktionsboss wiederum die Opferrolle. "Wir haben da von einer Betroffenen was anderes gehört", erklärte Krömer und spielte den anonymisierten Bericht einer - so erklärte er - ehemaligen Mitarbeiterin Reichelts ein.
"Anonymisierter Schmutz!", bellte da Reichelt auf seinem Verhörraumstuhl. "Sie verwenden hier Methoden, die dem Raum entsprechen!" - "Dafür ist er ja da", insistierte der Gastgeber und versuchte es weiter: "Mit wie vielen Frauen aus dem Axel-Springer-Universum hatten Sie was?" - "Lassen Sie uns über Machtmissbrauch reden!" Der Kontrahent war da längst tief eingegraben in seiner Verteidigungsstellung: "Sie machen hier etwas, was unlauter ist, das verbitte ich mir. Sie benutzen Methoden, die Sie eigentlich abstoßend finden. Das macht Sie und Ihre Methoden abstoßend."
Dass Krömer nun eine "Klageschrift aus den USA" aufblätterte, brachte ihn ebenfalls nicht weiter. "Laufendes Verfahren, zu dem ich nichts sagen werde, außer dass die darin erhobenen Vorwürfe vollständig erfunden und erlogen sind", kam es vom Gegenüber. Krömer, so Reichelt, mache sich "auf sehr ekelhafte Weise zum willigen Vollstrecker dieser Vorgehensweise". In einem Land wie Deutschland gehe es "darum, was bewiesen werden kann".
Reichelt kennt den Grund für sein "Bild"-Aus "bis heute nicht"
Warum Springer-Chef Mathias Döpfner ihn letztlich fallen ließ, wisse er "bis heute nicht", beteuerte Reichelt gegen Ende von eigenartig lang anmutenden 30 Minuten. Nur dass er die Ermittlungen gegen sich als "Teil einer massiven Kampagne" empfunden habe. Von seinem langjährigen Vorgesetzten und Geistesverwandten Döpfner sei er "schon enttäuscht", gab er immerhin zu. "Wenn man sich in sehr vielen Dingen so einig war und in der Wahrnehmung gelebt hat, für gewisse Dinge einzustehen, ist man sehr enttäuscht."
Einigermaßen enttäuscht darf man auch von diesem Aufeinandertreffen sein, das im Fußball wohl ein taktisch geprägtes Null zu Null auf durchwachsenem Niveau gewesen wäre. Noch bevor die Sendezeit ganz abgelaufen war, pfiff Kurt Krömer die Begegnung gleichsam als Schiedsrichter in eigener Sache ab. Es gab auch für niemanden mehr etwas zu gewinnen.
Die "Chez Krömer"-Folge mit Julian Reichelt ist abrufbar in der ARD-Mediathek und wird im RBB am Dienstag, 15.11., um 22.15 Uhr gezeigt.
Im Video: Entlassung von "Bild"-Chefredakteur Reichelt: Vorwürfe auch gegen Döpfner