Antidepressiva sind eine effektive Behandlung psychischer Krankheiten –warum sind sie also mit so vielen Vorurteilen belegt?

Eine neue Umfrage hat ergeben, dass Antidepressiva effektiv gegen Depressionen helfen. [Bild: Getty]
Eine neue Umfrage hat ergeben, dass Antidepressiva effektiv gegen Depressionen helfen. [Bild: Getty]

Die Medikamente wirken. Das ergab eine neue, groß angelegte Studie zur Effektivität von Antidepressiva in der Behandlung von psychischen Erkrankungen wie Depressionen bei Erwachsenen.

Eine Untersuchung der Oxford University, bei der 116.000 Patienten an 522 Versuchen teilnahmen und deren Ergebnisse in The Lancet veröffentlicht wurden zeigte, dass alle 21 getesteten Antidepressiva besser wirkten, als ein Placebo.

Das ist also der Beweis – falls dies jemals nötig war –, dass Antidepressiva eine effektive Behandlungsmöglichkeit für Personen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Zwangsstörungen sind.

Warum haben dann trotzdem so viele Menschen das Gefühl, die Einnahme geheim halten zu müssen?

„Unsere Forschung zeigt uns, dass die Mehrheit der Menschen mit einer psychischen Erkrankung noch immer Vorurteilen oder Diskriminierung ausgesetzt ist“, erklärt Sue Baker, Trägerin des Order of the British Empire und Leiterin von „Time to Change“, einer Anti-Stigma Kampagne für psychisch Erkrankte, die von den Wohltätigkeitsorganisationen Mind und Rethink Mental Illness ins Leben gerufen wurde.

„Das kann Menschen davon abhalten, sich in Behandlung zu begeben oder darüber zu sprechen, was dazu führt, dass zu viele ‘still leiden’, aus Angst verurteilt oder isoliert zu werden.“

Es ist schwer zu glauben, dass die Einnahme von Pillen zur Behandlung einer psychische Erkrankung noch immer als dunkles Geheimnis angesehen wird, vor allem wenn man bedenkt, wie vielen Menschen tatsächlich Antidepressiva verschrieben werden.

Laut neuesten Statistiken verschrieb der britische Gesundheitsdienst (NHS) 2016 eine Rekordhöhe an Antidepressiva und bestärkt damit den Trend, dass die Anzahl der Pillen, die Patienten verabreicht wird, sich im vergangenen Jahrzehnt verdoppelte.

Warum sind Antidepressiva noch immer mit Vorurteilen belegt?
Warum sind Antidepressiva noch immer mit Vorurteilen belegt?

Eine andere Umfrage ergab, dass mindestens einer von elf britischen Erwachsenen mittlerweile Antidepressiva nimmt.

„Da gibt es definitiv noch ein Stigma zur Einnahme von Antidepressiva“, sagt Doctify-Psychologin Gabriela van der Hoven.

„Dieses Stigma hat mit Stereotypen und Vorurteilen zu tun, die nicht nur in Bezug auf die Einnahme von Antidepressiva existieren, sondern auch rund um psyschische Erkrankungen an sich.“

„Das hat mit unterschiedlichen sozialen, finanziellen und kulturellen Faktoren zu tun, die sowohl Ärzte als auch Patienten haben können.“

Laut ihr sind es oft diese Hürden, aufgrund derer Menschen mit psychischen Erkrankungen ihre Probleme in Isolation bekämpfen, was zu noch größeren Problemen und sogar zu Selbstmord führen kann.

Was kann man also tun, um dieses Stigma zu beseitigen?

„Der erste Schritt, um das Stigma und die Angst zu überwinden, ist, um eine Behandlung zu bitten. Probleme mit einem Allgemeinmediziner oder einem Berater zu besprechen hilft, das Stigma und die Ängste in einem ersten Schritt zu überwinden, indem man anerkennt, dass es da etwas gibt, das nicht funktioniert und das ist der erste Schritt zur Heilung“, erklärt Gabriela van der Hoven.

Warum sind Antidepressiva noch immer mit so vielen Vorurteilen belegt? [Bild: Getty]
Warum sind Antidepressiva noch immer mit so vielen Vorurteilen belegt? [Bild: Getty]

Auch die neuen Statistiken, die die Effektivität von Antidepressiva als potenzielle Behandlungsmöglichkeit betonen, können dabei helfen.

„Ich glaube diese neuen Statistiken könnten dazu beitragen, wie Menschen und vor allem Ärzte die Verschreibung von Antidepressiva zusätzlich zu einer Psychotherapie einschätzen“, sagt sie.

„Ärzte spielen eine wichtige Rolle dabei, der Bevölkerung bei der richtigen Entscheidung in Bezug auf psychische Erkrankungen und ihren Behandlungsmöglichkeiten, zu helfen.“

Sue Baker hält einen Wandel in Bezug auf die Art, wie generell über psychisch Erkrankungen gesprochen wird, ein wichtiger Schritt ist, um das Stigma rund um die Einnahme von Antidepressiva anzugehen.

„Nur wenn wir die Art und Weise ändern, wie wir über psychische Erkrankungen denken und wie wir damit umgehen, kann jeder offen darüber sprechen und sich ohne Angst vor Verurteilung wegen psychischer Probleme in Behandlung begeben“, sagt sie.

Baker stimmt zu, dass die neuen Forschungsergebnisse förderlich sein könnten, um die Ansichten der Menschen über psychische Erkrankungen zu verändern.

„Diese neuen Forschungsergebnisse sind sehr hilfreich, um das Stigma, das psychische Erkrankungen umgibt, zu beseitigen, denn sie verstärken die Botschaft, dass Depression echt und eine potenziell lähmende Erkrankung ist, wegen der sich Menschen falls notwendig in Behandlung begeben sollten“, erklärt sie.

Und wie die neuen Forschungsergebnisse nahelegen können Antidepressiva für viele Menschen extrem effektiv sein, um eine psychische Erkrankung zu behandeln und einen wesentlichen Bestandteil der Heilung darstellen.

Aber sie sind keineswegs die einzige Möglichkeit.

„Es ist wichtig anzumerken, dass Antidepressiva zwar für manche effektiv sein können, sie allerdings nicht die Standardlösung sein sollten“, sagt Sue Baker. „Was Menschen hilfreich finden, um ihre psychische Erkrankung in den Griff zu bekommen, variiert von Mensch zu Mensch – egal ob es Medikamente sind, Therapien, Veränderungen des Lebenswandels, etwa mehr Sport, oder eine Mischung von all dem.“

Können wir die Art, wie wir über Antidepressiva reden, ändern? [Bild: Getty]
Können wir die Art, wie wir über Antidepressiva reden, ändern? [Bild: Getty]

Dieser Aussage stimmt auch die gemeinnützoge Organisation für psychische Erkrankungen MIND zu.

„Was Menschen hilfreich finden, um ihre psychische Erkrankung in den Griff zu bekommen, variiert von Mensch zu Mensch – egal ob es Medikamente sind, Therapien, Veränderungen des Lebenswandels, etwa mehr Sport, oder eine Mischung von all dem“, sagt Rachel Boyd, Information Managerin bei Mind.

„Jeder, der in Betracht zieht, Antidepressiva zu nehmen, sollte sich der möglichen Nebenwirkungen bewusst sein und seine Behandlung regelmäßig überprüfen lassen“, fügt sie hinzu.

Rachel hält es außerdem für wichtig, die Faktoren genauer zu betrachten, die in den vergangenen Jahren zu dem Anstieg der verschriebenen Antidepressiva geführt haben.

„Es ist essenziell, dass wir die Gründe hinter diesem kontinuierlichen Anstieg verstehen. Dazu zählt auch, wie viele Menschen Antidepressiva einnehmen, für wie lange und ob sie zusätzlich andere Behandlungen und Therapien angeboten bekommen“, sagt sie.

„Menschen die Wahl der Behandlung zu geben ist wichtig, egal ob das Medikamente, Gesprächstherapien, Alternativen wie Kunsttherapie oder Sport, oder eine Kombination mancher davon sind. Jemand, der sich seinen psychischen Problemen stellt, sollte als ganzheitliche Person betrachtet werden und Zugang zu jeglicher Behandlung oder Kombination von Behandlungen haben, die am besten für ihn funktioniert.“

Fakt ist, dass psychische Erkrankungen genauso Erkrankungen sind wie alle anderen auch und mit dem gleichen Respekt behandelt werden sollten.

Das bedeutet auch, dass man die Behandlungsform wählt – ob nun Medikamente oder andere Formen – die einem am besten auf dem Weg der Genesung hilft.