ARD-Bericht: Görlitzer Hebamme schlägt "purer Hass entgegen" - weil sie bei den Grünen ist
Aufstehen gegen Rechtsextremismus - in vielen deutschen Städten gehört schon jetzt viel Mut dazu. Ein ARD-Bericht zeigt am Beispiel einer Görlitzer Hebamme, wie viel Hass und Verrohung stellenweise an der Tagesordnung sind: "Es haben viele einfach echt Angst."
Hunderttausende demonstrierten in den letzten Tagen gegen die drohende rechtsextreme Unterwanderung der liberalen Demokratie in Deutschland. In Großstädten wie Hamburg, München und Berlin ergaben sich die eindrucksvollsten Drohnenaufnahmen gewaltiger Menschenmassen. Gewiss nicht weniger imposant ist aber das, was sich auf vielen kleineren Marktplätzen des Landes abspielte.
In Görlitz im Osten Sachsens etwa versammelten sich am Sonntag vorvergangener Woche geschätzte 2.000 Menschen, um Flagge gegen Rechtsextremismus zu zeigen. Wie viel Mut dazu gehört, in einem Ort gegen rechts aufzustehen, in dem die AfD bei den letzten Bundestagswahlen die stärkste politische Kraft war, zeigte am Dienstagabend (30. Januar) ein Bericht aus dem vom BR verantworteten ARD-Magazin "Report München".
Baby wird als "Schimpanse" bezeichnet": "Wird's nicht leicht haben in der Oberlausitz"
Eine der Rednerinnen bei der Görlitzer Demo war Kristina Seifert, Stadträtin der Grünen. Im Vorfeld der Kundgebung schilderte die Hebamme der ARD-Reporterin die dramatische Lage vor Ort. Das Büro ihrer Partei sei inzwischen ganztägig abgesperrt, nachdem Gewalttätige eingedrungen und Mitarbeiter bedroht hätten. Auch aus dem erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis schlage ihr "der pure Hass entgegen". In der Konsequenz seien Freundschaften zerbrochen. "Das macht mich traurig, aber trotzdem würde ich nie was an meinem Verhalten ändern, denn: Wehret den Anfängen ..." Dann bricht ihre Stimme.
Noch schlimmer sei für sie die Situation seit der Geburt ihres siebten Kindes geworden. Es hat dunkle Haut. Das Baby werde als "Affe" und "Schimpanse" bezeichnet. "Jetzt ist er ja doch so dunkel, schämst du dich?", werde sie gefragt - und von anderen gewarnt: "Der wird's ja nicht leicht haben bei uns in der Oberlausitz." Solche "Sprüche", glaubt Kristina Seifert, seien "nicht böse gemeint, aber die machen natürlich was mit einem". Natürlich überlege sie, ob sie mit ihrer Familie in Görlitz weiterleben könne.
Vom Besuch der Demo habe ihr vor allem die Mutter abgeraten - aus Sorge um die Sicherheit der Familie, sagt die Grünen-Stadträtin. Auch habe man ihr geraten, nicht zu dicht an der Demo zu parken, damit niemand das Auto kenne, falls sie verfolgt werde: "Es haben viele einfach echt Angst."
"Es sind Grenzen überschritten worden, das können wir so nicht zulassen"
Am Ende kamen in Görlitz nicht wie erhofft 500 bis 1.000 Menschen zur Demo, sondern mindestens doppelt so viele. Einer von ihnen war der CDU-Bürgermeister. "Gesicht zeigen, das ist wichtig, auch als Familie", sagt Octavian Ursu, gebürtiger Rumäne, der sich 2019 in der Stichwahl gegen den AfD-Kandidaten durchsetzte, im ARD-Beitrag. Die bekannt gewordenen "Remigrations"-Pläne haben Ursu tief schockiert. "Es sind Grenzen überschritten worden, das können wir so nicht zulassen."
Anderntags findet in Görlitz eine ganz andere Kundgebung statt: die allwöchentliche Montagsdemo. Dessen Organisationsteam stuft der sächsische Verfassungsschutz als extremistisch ein. Hier ins Gespräch zu kommen, ist für die ARD-Reporterin ungleich schwerer. "Nee, nee, Lügenpresse", bekommt sie zu hören.
Immerhin zwei Männer äußern sich vor der Kamera. Einer beklagt, dass - offenbar meint er seinen "andersdenkenden" Bekanntenkreis - mit ihm das Gespräch verweigert werde. Ein anderer gibt sich als Partner einer Krankenschwester zu erkennen, die im Beruf unter Sparmaßnahmen leide, aber selbst nicht zur Demo kommen wolle. "Weil sie denkt, das bringt hier nichts. Aber ich sage mir, irgendwo muss ein Anfang gemacht werden. Deswegen bin ich jeden Montag hier."
Görlitz, eine beispielhaft gespaltene Stadt? Stefanie Patron vom SPD-Ortsverein gibt dem "Report München"-Team zuletzt viel Ratlosigkeit mit auf die Heimreise: "Da sind ganz viele, wo wir sagen, das funktioniert nicht mehr. Das ist ein zu hoher Kraftaufwand, da Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber gleichzeitig sagen wir: Wir müssen mit den Menschen reden."