ARD-Doku beleuchtet saudischen Fußball-Boom: "Sie alle akzeptieren, den Mund zu halten"

Cristiano Ronaldo grüßt den Präsidenten von Al-Nassr, Musalli Al-Muammar. Der portugiesische Superstar verdient sein Geld in Saudi-Arabien - viel Geld! (Bild: 2023 Getty Images/Yasser Bakhsh)
Cristiano Ronaldo grüßt den Präsidenten von Al-Nassr, Musalli Al-Muammar. Der portugiesische Superstar verdient sein Geld in Saudi-Arabien - viel Geld! (Bild: 2023 Getty Images/Yasser Bakhsh)

ARD-Nahost-Korrespondent Ramin Sina schaute sich für die Doku "Nimmt uns Saudi-Arabien den Fußball?" das Land aus der Nähe an. Wie populär ist der Sport dort wirklich? Schaffen es Ronaldo, Benzema und Co., dass sich das autoritäre Regime öffnet? Oder ist alles nur Propaganda?

In der "Weltspiegel Doku: Nimmt uns Saudi-Arabien den Fußball?" (ab sofort in der ARD-Mediathek) untersucht Nahost-Korrespondent und Fußballer Ramin Sina Fankultur sowie politische, wirtschaftliche und sportliche Ambitionen des reichen Wüstenstaats. Das Besondere: Der 34-Jährige - des Arabischen mächtig - reiste durchs Land, traf Fans, Funktionäre, aber auch eine saudische Dissidentin im Ausland sowie kritische Newcastle-United-Fans, deren Premier League-Club dem saudischen Staatsfonds gehört.

Welches Bild ergibt sich nach 45 Minuten Doku aus dem neuen Fußball-Wunderland? Öffnet sich das autoritär regierte Saudi-Arabien, das in zehn Jahren wohl die Fußball-WM ausrichten wird, durch die Nähe zum ganz großen Fußballgeschäft? Oder lässt sich der Westen lediglich von der Saudi-Propaganda verhaften?

Auch der französische Stürmer und Ex-Weltfußballer Karim Benzema nahm ein lukratives saudisches Angebot an. Er spielt für Al-Ittihad. (Bild: 2024 Getty Images/Yasser Bakhsh)
Auch der französische Stürmer und Ex-Weltfußballer Karim Benzema nahm ein lukratives saudisches Angebot an. Er spielt für Al-Ittihad. (Bild: 2024 Getty Images/Yasser Bakhsh)

Ronaldo verdient in Saudi Arabien gut 200 Millionen Euro pro Jahr

Im Sommer 2023 wechselten Cristiano Ronaldo, Weltfußballer Karim Benzema und Brasilien-Idol Neymar in die global-sportlich bis dato bedeutungslose Saudi Pro League. Dazu kamen Dutzende weitere Namen des Weltfußballs wie Aleksandar Mitrovic, N'golo Kanté, Roberto Firmino, Luiz Felipe, Sadio Mané oder Riyad Mahrez. Auf einmal hörte man immer wieder für europäische Ohren bislang fremde Vereinsnamen wie Al-Hilal, Al-Ittihad oder Al-Nassr.

Der Grund? Das Geld, welches in der Saudi Pro League so üppig über den Tisch wandert wie wohl nirgendwo sonst. Die Doku nennt ein paar Zahlen: Umgerechnet 215 Millionen Euro soll Cristiano Ronaldo pro Saison bei Al-Nassr verdienen. Benzema soll bei Ittihad 70 Millionen einstreichen, Neymar lässt sich seine Dienste dem Vernehmen nach 86 Millionen kosten. Und Lionel Messi, der bekanntlich in Miami die Karriere ausklingen lässt? Er erhält aus Saudi-Arabien immerhin noch 22 Millionen für seine Dienste als Tourismus-Botschafter.

FIFA-Chef Giovanni Infantino (Zweiter von links) und der saudische Fußballpräsident Yasser Al-Misehal zeigen sich gemeinsam im Stadion in Bahaian. Die "Weltspiegel Doku: Nimmt uns Saudi-Arabien den Fußball?" untersuchte Fankultur sowie politische, wirtschaftliche und sportliche Ambitionen des reichen Wüstenstaats. (Bild: SWR)
FIFA-Chef Giovanni Infantino (Zweiter von links) und der saudische Fußballpräsident Yasser Al-Misehal zeigen sich gemeinsam im Stadion in Bahaian. Die "Weltspiegel Doku: Nimmt uns Saudi-Arabien den Fußball?" untersuchte Fankultur sowie politische, wirtschaftliche und sportliche Ambitionen des reichen Wüstenstaats. (Bild: SWR)

Kronprinz Mohammed bin Salman regiert mit Zuckerbrot und Peitsche

Ramin Sina, der sich im Film immer wieder als offener, gut gelaunter und kickender Fußball-Enthusiast vor der Kamera zeigt, ist nicht angetreten, um den neuen saudischen Fußball-Boom vor vornherein zu verurteilen. Er trifft Fans von Al-Ittihad in der Metropole Dschidda, dem derzeit Viertplatzierten der Liga, bei dem Karim Benzema kickt.

Die Fußballbegeisterung hier ist echt: Die Fans strömen zum funkelnd bunten Stadion, auch Tausende von Frauen sieht der Reporter im Publikum. Immerhin vier der 18 Erstliga-Clubs haben derzeit einen sehr ordentlichen Zuschauerschnitt von 18.000 bis 24.000 Besuchern. Dahinter wird es allerdings statistisch dünn - 8.600 beim Fünftplatzierten Al-Fateh bis 1.600 Fans bei Zuschauer-Schlusslicht Al-Riyadh.

Über 35 Millionen Einwohner hat Saudi-Arabien, davon sind 80 Prozent unter 30 Jahre jung - ein Land der Zukunft also, das vom jungen Machthaber, Kronprinz Mohammed bin Salman, nach Zuckerbrot-und-Peitsche-Manier regiert wird. Unter dem 38-Jährigen, so die Doku, habe sich die Zahl der Hinrichtungen fast verdoppelt. Den Mord am Journalisten Khashoggi soll er in Auftrag gegeben haben.

Keine Fans bei den Spielen in Saudi-Arabien? Dieser Fanblock des saudischen Fußballvereins Ittihad FC in Dschiddah, Saudi-Arabien, sieht zumindest gut gefüllt aus.  (Bild: SWR)
Keine Fans bei den Spielen in Saudi-Arabien? Dieser Fanblock des saudischen Fußballvereins Ittihad FC in Dschiddah, Saudi-Arabien, sieht zumindest gut gefüllt aus. (Bild: SWR)

Drei Top-Clubs gehören dem Staat

MBS, wie der Machthaber genannt wird, will jedoch als Reformer wahrgenommen werden. Seine Vision fürs ausgerufene Ziel 2030: Die Wirtschaft soll umgebaut werden, vom Öl hin zu anderen Erwerbsquellen, zu denen auch Sport als Wirtschaftszweig und Unterhaltung fürs Volk dienen soll.

Eine Unterhaltung, die im Land, in dem Fußball die Nummer-eins-Sportart ist, begeistert aufgenommen wird. Mithilfe eines Staatsfonds investiert MBS Milliarden in die Formel 1, Boxen, Golf- und Radsport. Und natürlich in den Fußball. Dem Staatsfonds gehören die Clubs Al-Hilal (aus Riad), Ronaldo-Club Al-Nasr (ebenfalls Riad) und auch Ittihad.

Die Fußball-Asienmeisterschaft 2027 wird im Wüstenstaat stattfinden und - ungleich wichtiger - die Fußball-WM 2034, da andere Bewerber wie Australien zurückgezogen haben. FIFA-Präsident Gianni Infantino, ein Freund der reichen Golfstaaten, ist ein gern gesehener und häufiger Gast in den Stadien der Pro League und gibt Reporter Ramin Sina sogar ein kurzes, wenn auch belangloses Interview.

"Benzema, Neymar, Cristiano - alle akzeptieren, den Mund zu halten"

Tatsächlich trifft der reisende Reporter in Saudi-Arabien nur auf stolze, zufriedene Fußballer und Fans. Man schaut einem launigen Treffen mit dem in die Pro League gewechselten ehemaligen HSV-Profi Khaled Narey zu, der sich mit seiner Familie im Land sehr wohl fühlt. Auch ein gemeinsames öffentliches Kicken und Interview mit der weltoffenenen saudischen Influencerin Saja Kamal ist möglich. Mittlerweile gibt es im Land sogar eine landesweite Liga der Frauen, über die das Fernsehen live berichtet. Das ist der Betonung wert: Erst seit 2018 dürfen Frauen in Saudi-Arabien Auto fahren. Es hat sich also etwas getan im Land.

Der Film bringt aber auch kritische Stimmen zu Gehör, die der Reporter bezeichnenderweise im Ausland sammelt. Für Regime-Kritikerin Lina-al Hathloul von der Menschenrechtsorganisation ALQST ist Saudi-Arabien ein Polizeistaat. "Sie haben meine Familie im Visier, sie darf das Land nicht verlassen. Natürlich weiß ich, dass ich auch beobachtet werde". Die junge Frau klagt die Fußball-Stars an: "Benzema, Neymar, Cristiano - alle, die nach Saudi-Arabien gehen, akzeptieren, den Mund zu halten. Und da wird es wirklich gefährlich. Denn diese Bilder stehen letztendlich für Saudi-Arabien. Wenn sie ruhig bleiben, akzeptieren sie die Regierung".

"Damit spiele ich für sie genau die Rolle, die ich spielen soll"

Vielleicht am deutlichsten wird das saudische Wirken bei einem Besuch im Nordosten Englands. Beim Traditionsverein Newcastle United haben seit 2021 die Saudis das Wort. Die Trikots sind plötzlich grün, die Farbe des Wüstenstaates. Beim ambitionierten Premier League Club bezahlt der saudische Staatsfonds PIF, mit 555 Milliarden Euro sechstgrößter Staatsfonds der Welt. Insgesamt 320 einflussreiche Firmen im Weltsport werden vom PIF entscheidend mitfinanziert.

Zwei eingefleischten, politisch wachen Newcastle-Fans, die der Reporter im Pub trifft, war das alles zu viel. Sie schauen sich keine Spiele ihres Lieblingsvereins mehr im Stadion an - aus Protest. Einer vor ihnen bringt die komplexe Gemengelage zwischen dem Wunsch der Fan-Seele nach sportlichem Erfolg und ethischer Verantwortung auf dem Punkt.

Er findet es unmöglich, dass sein lebenslanger Lieblingsclub plötzlich einem Staat gehört. "Wir sollten Newcastle repräsentieren, sonst nichts. So bin ich an den Wochenenden ein - wenn auch ein sehr kleines - Propaganda-Werkzeug für Saudi-Arabien. Damit spiele ich für sie genau die Rolle, die ich spielen soll - auf ihrem Weg in den Westen."

Die "Weltspiegel Doku: Nimmt uns Saudi-Arabien den Fußball?" ist am Montag, 22. April, 23.35 Uhr im Ersten zu sehen und vorab in der ARD-Mediathek.