ARD-Reportage zeigt deutsches Abschiebe-Dilemma: "Drei Tage später sind vier neue da"
"Kriminelle Ausländer abschieben!" hier, "Abschiebung ist Rassismus!" dort. Wenige Debatten werden in Deutschland heftiger geführt, als die sogenannte Abschiebedebatte. Christoph Kürbel zeigt in seiner Reportage "Deutschland schiebt ab", dass das nicht so einfach ist, wie der Titel vermuten lässt.
Es muss mehr abgeschoben werden. Da ist sich die Bundesregierung relativ einig, die Innenministerkonferenz sogar sehr einig. Jeder soll ein Bleiberecht erhalten. Sagen dagegen zum Beispiel die Mitglieder des Vereins "Jugendliche ohne Grenzen", die 500 Mann und Frau stark in Berlin demonstrieren, während die Innenministerkonferenz tagt. Christoph Kürbel wurde für seine Reportage "Rabiat: Deutschland schiebt ab" (ARD) zum Wandler zwischen den Welten und den Extremen. Er traf beiderseits Betroffene - Menschen, die abschieben wollen und sollen, Menschen, die abgeschoben wurden oder werden soll(t)en.
Da ist, logisch bei einem Sujet, das Flucht, Hoffnung und Angst vor dem Fremden behandelt, viel Tragisches dabei. Schicksale rühren, einige machen fassungslos. Abdullah, der aus dem Irak über Belarus und Polen nach Sachsen floh, nur um quasi am nächsten Tag direkt in der Abschiebehaft und 23 Tage später wieder im Irak zu landen. Widerrechtlich, wie er sagt. Er habe Asyl beantragt. Nein, sagt die sächsische Bundespolizei, weshalb die Abschiebung rechtens gewesen sei. Ob die Fesseln auf dem Rückflug nötig waren? Man weiß es nicht.
"Worte wie 'Dreckspack' fallen schon"
Sugar MMFK ging es besser. Weil es für ihn ein Happy End gab, kann man seine Situation auch kurios nennen und muss sie nicht als tragisch bezeichnen. João Michel Diau, so heißt der Rapper aus Bonn bürgerlich, kam Anfang 1993 nach Deutschland. Im Bauch seiner hochschwangeren Mutter, die gerade mit zwei älteren Kindern die Flucht aus Angola überlebt hatte.
João wuchs in Bonn auf ("Wir waren die Exoten"), ohne deutschen Pass, aber mit deutschem Gefühl. Das aber reicht nicht. Weil der junge Mann ein bisschen zu heftig mit der Kleinkriminalität flirtete, wurde er plötzlich zum "kriminellen Ausländer", der abgeschoben werden sollte. Gut, dass João grade als Rapper durchstartete - eine Petition zur Vereitelung seiner Abschiebung unterschrieben 40.000 Fans. Die Behörden knickten ein.
Andere nehmen anderes in Kauf. Machen so lange und dreist - ein Polizeibeamter: "Die pissen und scheißen sich ein, randalieren." - Theater, wenn sie in den Abschiebe-Charterflieger steigen sollen, bis der Kapitän den Transport verweigert. Oder sind so verzweifelt, dass sie Reinigungsmittel trinken oder sich die Pulsadern aufschneiden. "Die wollen nicht sterben", sagt eine Leiterin einer Ausländerbehörde, "die wollen nur nicht hier weg".
Das Klima, das sagt die Ausländerbehördenbeamtin auch, aber nur anonym, wird düsterer. "Worte wie 'Dreckspack' fallen schon", sagt sie, wenn wieder einmal Mitarbeiter der Ausländerbehörde einen "Kunden" abholen und ihm auch beim Packen helfen, wenn er/sie zickt. "Manche behandeln die Menschen wie Dreck. Das hat sich gesteigert. Und das macht mir Sorgen."
Das Damoklesschwert "Abschiebung" ist für 50.000 Menschen allgegenwärtig
Die sind auch berechtigt. Aktuell gibt es in Deutschland 300.000 sogenannte Ausreisepflichtige, davon haben 250.000 eine Duldung, zum Beispiel, weil sie krank sind, ihre heimischen Ausweisdokumente nicht vorliegen oder sie hierzulande eine Ausbildung machen. 50.000 leben ohne Duldung, dafür aber mit der Gewissheit, dass jede Minute das Abschiebe-Kommando anrücken könnte. Und dennoch: Nur 13.000 Abschiebungen wurden 2022 realisiert.
Im Fokus stehen derzeit vor allem die Straftäter. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) konzentriert sich auf diese Klientel, denn das stützt die Politik. Er sagt offen, dass die Zeit der Inhaftierung zum Beispiel eines Drogendealers genutzt werden soll, um die anschließende Abschiebung verwaltungstechnisch in Gang zu bringen.
Immerhin: 34 ausländische Straftäter wurden 2022 aus Bremen abgeschoben. Mäurer feiert den Erfolg nicht. "Das System funktioniert. Aber: Selbst wenn wir abschieben können, müssen wir sagen, drei Tage später vier neue da." Und teuer ist's auch. So ein Platz im Abschiebe-Jet kann bis zu 20.000 Euro kosten. Und oft genug bleibt der ja - siehe oben - auch leer.
Lösungen kann auch "Rabiat: Deutschland schiebt ab" nicht bieten
Abdullah, der gegen seinen Willen zurück in den Irak geschafft wurde, will nicht mehr kommen. Er arbeitet im Irak als Baggerfahrer seine Schulden ab, die er machte, um fliehen zu können. Aus dem Irak will er trotzdem immer noch weg, nur nicht mehr nach Deutschland.
Darwish ist freiwillig in den Irak zurückgekehrt. Frau und Kind sind noch in Deutschland, hängen in Asylverfahren und Flüchtlingsunterkunft fest, aber seine Mutter ist krank, also kam er. Klaglos. Er hat ein Feld, aber kein Geld, um es ordentlich zu bewirtschaften. Die im Zuge des Projektes "Start Hope" zugesagten Gelder kamen nicht alle. 1.000 Euro stehen derzeit aus. Jside Darwish, einst vor dem IS geflohen, ist arm, aber zufrieden. "Ich glaube an den Frieden und Segen für alle."
Seine Einstellung sollte man haben, sie könnte hilfreich werden. Denn bei aller Betroffenheit: Lösungen bietet auch Christoph Kürbel in seiner Reportage (verfügbar in der ARD-Mediathek) nicht. Kann er auch nicht. Dabei sollten schnellstmöglich welche gefunden werden.