Aufstieg und Fall eines ikonischen Machthabers: Das sind die Kino-Highlights der Woche

Eine gigantische Herausforderung: Ridley Scott widmet Napoleon Bonaparte (verkörpert von Joaquin Phoenix) eine große Filmfiografie. (Bild: 2023 Apple/Sony Pictures)
Eine gigantische Herausforderung: Ridley Scott widmet Napoleon Bonaparte (verkörpert von Joaquin Phoenix) eine große Filmfiografie. (Bild: 2023 Apple/Sony Pictures)

"In voller Blüte", "The Old Oak" und "Napoleon", eine Filmbiografie über die legendäre Titelfigur mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle: Das sind die Kino-Neustarts am 23. November.

Schwierige, komplexe, nicht selten neurotische Figuren haben ihn schon immer fasziniert. Nur wenige US-Schauspieler sind in ihrer Arbeit so sehr mit den Abgründen der menschlichen Seele beschäftigt wie Joaquin Phoenix, der für sein fiebriges Porträt des Batman-Widersachers Joker zahlreiche Preise erhielt, darunter ein Oscar und ein Golden Globe. Sein internationaler Durchbruch gelang ihm mit dem Sandalenepos "Gladiator" (2000), das ihn als wahnhaft durchtriebenen römischen Kaiser Commodus zeigte. Unter der Regie Ridley Scotts lief Phoenix damals zu Höchstform auf - und wirft sich nun, mehr als zwanzig Jahre später, in seiner zweiten Zusammenarbeit mit dem britischen Regiealtstar kopfüber in eine saftige historische Rolle: Dieses Mal leiht er dem ikonischen französischen Autokraten Napoleon Bonaparte sein markantes Gesicht.

Außerdem neu im Kino: das von wahren Begebenheiten inspirierte Drama "In voller Blüte", in dem Michael Caine ein letztes Mal zu großer Form aufläuft, und "The Old Oak", ein Plädoyer für Toleranz, mit dem sich auch Filmemacher Ken Loach sehr wahrscheinlich in den Ruhestand verabschiedet.

Es ist eine der spektakulärsten Kampfsequenzen des Films: die Schlacht bei Austerlitz. (Bild: 2023 Apple/Sony Pictures)
Es ist eine der spektakulärsten Kampfsequenzen des Films: die Schlacht bei Austerlitz. (Bild: 2023 Apple/Sony Pictures)

"Napoleon"

Mitte 80 und kein bisschen müde! Selbst im hohen Alter stellt sich Ridley Scott gigantischen Herausforderungen. Nichts anderes ist nämlich die für Apples Streaming-Dienst entstandene Verfilmung über das Leben und Wirken Napoleon Bonapartes, einer der wohl schillerndsten historischen Persönlichkeiten überhaupt. Nachdem Joaquin Phoenix als Joker famos abgeliefert hatte, erhob ihn Scott schnell zu einem der Favoriten für die Wahl des Feldherrn und Kaisers, dessen Aufstieg in den Wirren der Französischen Revolution begann.

Eben dort setzt auch das toll ausgestattete Epos ein, das vor allem in der ersten Hälfte seiner 158-minütigen Laufzeit im Galopp wichtige Stationen Napoleons abklappert. Die Befreiung der von Royalisten und britischen Kräften belagerten Hafenstadt Toulon im Jahr 1793, ein niedergeschossener Aufstand, der Feldzug nach Ägypten, zu dem der Ehrgeizling 1798 aufbrach, und schließlich die Kaiserkrönung im Dezember 1804, mit der der gebürtige Korse die Regierung seines Heimatlandes endgültig an sich riss - Napoleon kennt nur eine Richtung: die nach oben.

Parallel zu den oft etwas nebulös bleibenden politischen und militärischen Operationen des Titelantihelden will der Film auch die Geschichte einer komplizierten, aber innigen Ehe schildern. Napoleons Liebe zu Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby) ist immer mal wieder Thema und bildet einen Kontrast zu den wuchtig inszenierten Schlachtsequenzen. Sein ganzes Können beweist Ridley Scott vor allem in den Kampfpassagen, die sich in ihrer Kernigkeit von den heute üblichen digitalen Spektakeln abheben.

Joaquin Phoenix liefert eine eindringliche, zwischen stoischer Ruhe, kindlicher Bockigkeit und Geckenhaftigkeit pendelnde Performance ab. Auch seine Leistung kann jedoch nicht kaschieren, dass die Hauptfigur und ihr Wirken für einen zweieinhalbstündigen Film zu groß sind. Womöglich bügelt Scott erzählerische und charakterliche Leerstellen in seinem angeblich viereinhalb Stunden langen Director's Cut aus, der irgendwann nach dem Streaming-Start bei Apple TV+ erscheinen soll.

Auf dem Weg in den Ruhestand: In dem Film "In voller Blüte" spielt Sir Michael Caine seine letzte große Kinorolle. (Bild: Leonine)
Auf dem Weg in den Ruhestand: In dem Film "In voller Blüte" spielt Sir Michael Caine seine letzte große Kinorolle. (Bild: Leonine)

In voller Blüte

Ob Michael Caine Mitte der 1950er-Jahre schon ahnte, dass er zu einem Kinostar aufsteigen würde? Wahrscheinlich nicht. Bemerkenswert sind die Spuren, die der inzwischen 90-jährige, zweifach Oscar-prämierte Brite in der Filmgeschichte hinterlassen hat, dennoch. Einem jüngeren Publikum dürfte der schlanke, hochgeschossene Darsteller besonders als Bruce Waynes diskreter Butler Alfred in Christopher Nolans Batman-Trilogie bekannt sein. Beruflich umtriebig war Caine, der als Maurice Joseph Micklewhite geboren wurde, auch in den letzten Jahren noch. Doch damit soll nun Schluss sein.

Mit in "In voller Blüte" gibt er seine Abschiedsvorstellung auf der großen Leinwand. In einer Rolle, die ihm auf den Leib geschneidert ist. Als Vorlage für das von Oliver Parker inszenierte Drama diente die wahre Geschichte des britischen Weltkriegsveteranen Bernard Jordan, der hochbetagt sein Pflegeheim verließ, um in Frankreich an der Feier zum 70-jährigen Gedenken an die Landung der Alliierten in der Normandie teilzunehmen. Angespornt von seiner Ehefrau Irene (Glenda Jackson) macht sich Caines Figur, mit Rollator und Kriegsorden ausgestattet, auf die nicht gerade komfortable Bus- und Schiffsreise.

"In voller Blüte" erzählt eine einfache, aber aufsehenerregende Geschichte, wie sie das Kino liebt. Historische Erlebnisse, persönliche Traumata und eine Liebesbeziehung verschmelzen auf eher leichtfüßige Weise. Eine besondere Note bekommt der Film, weil er gleich zwei beachtliche Karrieren beschließt. Neben Michael Caine gibt sich auch die kurz nach den Dreharbeiten verstorbene Glenda Jackson ein letztes Mal die Ehre. Schade, dass wir auf zwei solche Leinwandkönner in Zukunft verzichten müssen.

Weltkriegsveteran Bernard Jordan (Michael Caine) kann auf die Unterstützung seiner Gattin Irene (Glenda Jackson) zählen. (Bild: Leonine)
Weltkriegsveteran Bernard Jordan (Michael Caine) kann auf die Unterstützung seiner Gattin Irene (Glenda Jackson) zählen. (Bild: Leonine)

The Old Oak

Es ist nicht vermessen, Ken Loach als das soziale Gewissen des britischen Kinos zu bezeichnen. Immer wieder nimmt der linke Filmemacher in seinen Werken die sogenannten einfachen Leute in den Blick. Jene Menschen, die besonders unter den Mühlen und dem Druck des Systems leiden. Bereits mehrfach dachte Loach über einen Rückzug nach. Mit dem in Cannes uraufgeführten Drama "The Old Oak" möchte er nun tatsächlich einen Schlusspunkt unter eine bemerkenswerte Laufbahn setzen.

Der Film könnte dabei nicht typischer für den inzwischen 87-Jährigen sein. Zentrum der Geschichte ist der titelgebende Pub in einer einst florierenden Bergbaugemeinde im Norden Englands, der als letzter Anlaufpunkt für die verbliebenen Bewohner dient. Die Ankunft syrischer Flüchtlinge im Ort lässt die Stimmung hochkochen. TJ Ballantyne (Dave Turner), der Besitzer des Lokals, bemüht sich allerdings, die Neuankömmlinge mit offenen Armen zu empfangen, und baut ein vertrauensvolles Verhältnis zu einer jungen Frau namens Yara (Ebla Mari) auf.

Wie eigentlich immer setzt Loach nicht auf billige Polemik. Wohltuend unaufgeregt seziert er stattdessen die Tücken des Systems sowie die Enttäuschungen der Menschen und arbeitet heraus, in welcher Form sich ihre aufgestaute Wut entlädt. Einheimische und Flüchtlinge bekommen dabei gleichermaßen ihren Raum. Gerade in aufgeregten Zeiten wie diesen braucht es Regisseure, die vehement für Toleranz und Gemeinschaftlichkeit eintreten. Keine Frage, Ken Loach und sein humanistisches Arbeiterkino werden fehlen!

Wirt TJ Ballantyne (Dave Turner) greift Yara (Ebla Mari) und ihren Landsleuten unter die Arme. (Bild: Wild Bunch Germany 2023)
Wirt TJ Ballantyne (Dave Turner) greift Yara (Ebla Mari) und ihren Landsleuten unter die Arme. (Bild: Wild Bunch Germany 2023)