Aurel Manthei liebt Wacken: "Habe noch nie so viele Leute so friedlich, so freundlich, so in sich ruhend gesehen"
"Wenn ich Pop höre, werde ich aggressiv", sagt Schauspieler Aurel Manthei. Der Mann liebt Heavy Metal, ging schon als Teenager mit Maiden-Kutte in die Schule - die Idealbesetzung für eine Serie namens "Legend of Wacken". Manthei und Charly Hübner sind die Stars des Sechsteilers, der bei RTL+ dem Mythos "W:O:A" nachspürt.
Es ist vermutlich das berühmteste 2.000-Seelen-Dorf der Welt: Wacken, ein Kaff mit viel Klinkerstein- und Reetdachcharme, mitten in der norddeutschen Wilstermarsch zwischen Itzehoe und Friedrichstadt gelegen, kennt man auf der ganzen Welt. Wacken - das ist ein Mythos, seit 1990 auf den umliegenden Kuhwiesen erstmals das "Wacken Open Air" veranstaltet wurde und nach und nach ungeahnte Dimensionen annahm. Jährlich pilgern nun rund 80.000 Metal-Fans in die sonst beschauliche Gemeinde im Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein. Gerade rechtzeitig vor dem 32. "W:O:A", wie das Festival, das von 02.08. bis zum 05.08. die saftigen Weiden zum Beben bringen wird, unter Eingeweihten heißt, erzählt nun erstmals eine Fernsehserie die ganze Geschichte. "Legend of Wacken" (ab 7. Juli bei RTL+) rückt die Festival-Gründer Holger Hübner und Thomas Jensen in den Fokus.
Inspiriert von wahren Begebenheiten wird mit viel Liebe zum Sujet und jeder Menge trockenem Humor geschildert, wie die nach wie vor aktiven Wacken-Bosse das Unmögliche möglich gemacht und ihren Traum zum Leben gebracht haben. Schauspieler Aurel Manthei (49) spielt Thomas Jensen, sein Kollege Charly Hübner (50) schlüpfte in die Rolle seines Namensvetters Holger Hübner; die jüngeren Versionen der beiden Figuren werden nicht weniger kongenial von Sammy Scheuritzel und Sebastian Doppelbauer verkörpert. Was Wacken ausmacht? - Es ist Liebe: "Die Leute gesunden dort oben auf der Kuhwiese aneinander. Das ist religiös. Andere haben Mekka, Metal-Fans haben Wacken", erklärt der glühende Motörhead-Fan Manthei im Interview.
teleschau: Der echte Thomas Jensen sagt: "Wer einmal in Wacken war, der kommt wieder!" - Wie ist das bei Ihnen: Waren Sie vor dem Dreh schon mal auf dem Holy Ground?
Aurel Manthei: Nein, leider nicht. Als Teenager hatte ich die Kohle nicht für solche Späße, später war ich dann durchaus auf Festivals wie dem "Dynamo" in den Niederlanden - das lag näher an meinem damaligen Wohnort im Ruhrgebiet. Wacken stand zwar immer auf der Agenda, es hatte sich nur nicht ergeben. Als ich es im vergangenen Jahr mit Ende 40 dann doch noch hingeschafft habe, war ich total geflasht. Ich kann Thomas Jensen nur beipflichten: Dieses Jahr bin ich wieder da. Die werden mich nicht mehr so schnell los.
teleschau: Werden Sie im Zelt nächtigen?
Manthei: Nein, in meinem kleinen Transporter, mit dem ich hochfahre. Viel geschlafen wird da sowieso nicht (lacht). Es gibt ja einiges zu feiern. Ich freue mich total auf das Wiedersehen mit all den Leuten, die ich 2022 da oben kennenlernen durfte.
"Wir sind da raus, wir reckten die Pommesgabel in die Luft und brüllten: 'Moin, Wacken!"
teleschau: Also dann: Wie war der Dreh?
Manthei: Aufregend - aus so vielen Gründen. Unter anderem standen Charly Hübner und ich in unseren Rollen auch auf der Bühne. Vor über 70.000 Menschen. Wir sind zwar alte Bühnenhasen, aber da ging uns ordentlich die Flatter. Aber was willst du machen - wir sind da raus, wir reckten die Pommesgabel in die Luft und brüllten: "Moin, Wacken!" Dann brach der Jubelorkan los. Ein unbeschreibliches Gefühl.
teleschau: Da werden Teenagerträume wahr, oder?
Manthei: Absolut. Du bist für fünf Minuten Rockstar und hast noch Stunden danach mit dem Adrenalinschub zu tun. Da wir beide in unserer Verkleidung tatsächlich aussahen wie die echten Wacken-Chefs, kam es auf dem Festivalgelände zu vielen weiteren absurden Momenten. Wir wurden erkannt, man klopfte uns auf die Schultern, wünschte Glück für die kommenden Tage oder fragte nach einem Selfie ... Wir waren da oben total bekannt - nur eben nicht als Charly Hübner und Aurel Manthei, sondern als Thomas Jensen und Holger Hübner. Irgendwann haben wir auch aufgehört, die Sache aufzuklären und uns unserem Schicksal ergeben (lacht).
"Da war schon ein gewisser Druck"
teleschau: Sie sehen in der Rolle wirklich aus wie ein Doppelgänger von Thomas Jensen. Wie war das, als er Sie zum ersten Mal in der Maske gesehen hat?
Manthei: Sehr lustig. Er stand bei einer Szene am Rande und schaute zu - ein wahnsinniger Moment. Wir bemerkten uns etwa gleichzeitig, jeder zeigte direkt mit dem Finger auf den anderen, wir liefen aufeinander zu, schüttelten uns lachend die Hände und haben sofort miteinander geschnackt.
teleschau: Stand Ihnen als Schauspieler, der das Leben einer real existierenden Person erzählen soll, nicht auch erst mal die Ehrfurcht im Weg?
Manthei: Das war ein großes Thema, ja. Spiele ich das so, dass Thomas am Ende zufrieden ist, oder kotzt der Mann im Strahl? - Diese Frage beschäftigte mich zunächst sehr. Ich wollte Thomas und seiner Geschichte gerecht werden. Vor allem wollte ich der ganzen Legende Wacken gerecht werden. Da war schon ein gewisser Druck. Dass Thomas ein lockerer Kerl ist und wir ganz gut miteinander konnten, hat es dann geschmeidig gemacht. Hätte er gesagt: "Was will denn der Lappen da?", wäre es ein Horrordreh geworden.
teleschau: Welchen Eindruck hatten Sie von den Wacken-Bossen?
Manthei: Dass sie absolute Arbeitstiere sind. Sie scheinen auf dem Festival überall gleichzeitig zu sein, um dies und das zu regeln oder direkt selbst Hand anzulegen. Die sind für alles und alle immer da. Wahrscheinlich hat jeder von denen tatsächlich ein paar Doppelgänger (lacht).
teleschau: Haben Sie die Geschichte des Festivals jetzt eigentlich verstanden? "Legend of Wacken" setzt tief in den 80er-Jahren an. "Am Anfang war nur Acker", sagt Thomas Jensen in der Serie nicht ohne Grund. Da war nichts. Wie konnten die beiden es schaffen, dieses Festival hinzustellen?
Manthei: Mit Beharrlichkeit! Am Anfang stand ja die rigorose Vision, sich die Welt, die sie so sehr liebten, nämlich den Metal, in ihr kleines Dorf zu holen. So etwas gab es noch nie, und natürlich wurden sie erst mal für verrückt erklärt. Es gab so viel Gegenwind und heftige Tiefschläge, auch finanzieller Art. Irgendwann hätte sich da wohl jeder unterkriegen lassen. Jensen und Hübner nicht. Die waren anders als andere, die haben ihr Ding einfach durchgezogen. Dazu kam diese nordische Art, es war so ein bisschen wie bei "Werner" und Brösel ... - So konnte aus dem totalen Nichts ein Riesending entstehen. Genau so begründet man einen Mythos. Man spürt die Geschichte immer noch, wenn man aufs Wacken Open Air geht.
teleschau: Das wäre die nächste Frage gewesen: Was macht das Wacken Open Air Ihrer Meinung nach so besonders?
Manthei: Dass da nichts gekünstelt wirkt! Da ist alles echt - angefangen bei den Machern bis hin zu den Dorfbewohnern, die sich mehrheitlich unheimlich liebevoll mit "ihrem" Festival arrangiert haben. Das hat alles sehr viel Charme.
teleschau: Ihre Serie wirkt nicht zuletzt wie eine Hommage an die gepflegte Männerfreundschaft ...
Manthei: Das ist volle Absicht, ohne Freundschaft wäre es nie so weit gekommen. Aber natürlich ist " Legend of Wacken" in erster Linie eine Hommage an den Heavy Metal.
teleschau: Hätte all das auch mit einer komplett anderen Musikrichtung funktionieren können?
Manthei: Ich glaube eher nicht. Popmusik zieht auch die Massen an, keine Frage, aber sie passt wohl mehr ins Urbane, in die Großstädte. Rock'n'Roll, Punk, Metal - das ist ein anderer Schnack. Das ist Musik, die mehr als Katalysator denn als Unterhaltung dient. Da geht es darum, auch mal die Sau rauszulassen. Abend für Abend Bier in signifikanter Menge zu trinken, im Zelt zu pennen und wenn es sein muss auch mal tagelang im Schlamm zu waten und dabei trotzdem Spaß zu haben - das ist eine Attitüde, die schon eher in die Provinz passt, finde ich. Wacken ist der exakte Gegenentwurf zur schicken Popwelt. Hier ist niemand aus Zucker, und dort, unter Tausenden Gleichgesinnten, muss sich niemand mehr rechtfertigen - das Festival ist eine einzige Selbstvergewisserung, die Bestätigung all dessen, was das Dasein als Metal-Fan ausmacht. So schmutzig das Ganze mithin ist - die Leute fahren gereinigt von Wacken nach Hause. So war es immer, und so wird es auch bleiben.
teleschau: Das klingt jetzt fast nach Gottesdienst ...
Manthei: Genau das will ich zum Ausdruck bringen. Die Leute gesunden dort oben auf der Kuhwiese aneinander. Das ist religiös. Andere haben Mekka, Metal-Fans haben Wacken. Ich habe noch nie zuvor so viele Leute so friedlich, so freundlich, so hilfsbereit, so in sich ruhend gesehen wie in jener Woche in Wacken. Und viele in Metall, Lack und Leder - darunter fraglos auch ein paar Zeitgenossen, bei denen jeder Normalbürger hektische Flecken bekommen würde. Aber es ist der freundlichste Menschenschlag, der hinter der Maskerade steckt. Im Ernst: Wer das alles mal mit vollen Sinnen erlebt, muss seine Vorstellung von Sozialstrukturen ganz neu denken. Das erste Mal Wacken macht etwas mit einem. Ein Phänomen, das mich nachhaltig beeindruckt hat.
"Das Metal-Gathering übernimmt eine kathartische Aufgabe"
teleschau: Was hören Sie eigentlich zu Hause?
Manthei: Metal. Schon immer. Wenn ich Pop höre, werde ich aggressiv. Metal nimmt mir etwaige negative Energien, verarbeitet den Druck - sodass ich ihn nicht mehr haben muss. Nach Wacken hat sich das noch mal verstärkt. Es hat mich so sehr inspiriert, dass ich nun ein eigenes Label gründen werde - mit dem Namen: "!"
teleschau: Ihr Ernst?
Manthei: Absolut. Ich will mit Charity-Organisationen zusammenarbeiten und einen Teil der Erlöse für gute Zwecke spenden.
teleschau: Wäre die Gesellschaft ohne Heavy Metal und solche Events wie Wacken eine andere?
Manthei: Hundertprozentig - und sie wäre keine bessere! Das Metal-Gathering übernimmt eine kathartische Aufgabe. Wer's nicht glaubt: Das Buch von Nico Rose, "Hard, Heavy & Happy: Heavy Metal und die Kunst des guten Lebens", führt den beinahe wissenschaftlichen Beweis. Eigentlich müsste Metal staatlich gefördert werden (lacht).
teleschau: Sagt ausgerechnet einer, der im schicken Hamburger Westen aufgewachsen ist ...
Manthei: Ja, dort ging man als Kind mit der Familie zum Segeln oder Golfspielen. Am Gymnasium fiel ich mit meinen langen Haaren und der Iron-Maiden-Kutte unter den ganzen Pullunderträgern schon auf ... Ich war voll der Freak, bin natürlich auch in keine angesagte Party reingekommen. Und so passiert es eben, wenn man jung und ein bisschen schräg ist: Man trifft Gleichgesinnte, denen es genauso geht, hängt zusammen ab, geht in die angesagten Rock-Läden, besucht die ersten Konzerte ...
teleschau: Was war Ihre Live-Premiere?
Manthei: Motörhead - da war ich 13. Mein Handballtrainer hat mich reingeschummelt. Dann kamen die Ramones, AC/DC ... Es ging gut los. Und wenn man mal unglücklich verliebt war, hat man nachts im Bett die Metal-Balladen von Accept oder Yngwie Malmsteen mit dem Walkman im Ohr gehabt. Sie sehen: Um mich war es schon früh geschehen.
teleschau: Inwiefern formt eine solche Sozialisierung den Charakter?
Manthei: Sie meinen, wenn die anderen sagen: "Schaut, da kommt der Assi?" - Gute Frage. Ich habe das in Kauf genommen - mich hat das im Glauben eher noch bestätigt. Ich kam wirklich nie auf die Idee, die Kutte gegen College-Schühchen und rosa Hemden einzutauschen. Vielleicht macht es ja ein gerades Rückgrat, wenn man in der Jugend erst mal der Außenseiter ist ...
teleschau: Wäre aus Ihnen ein anderer Mensch geworden, wenn Sie damals House oder Disco-Musik gehört hätten?
Manthei: Schwer zu sagen ... Es hat schon auch viel mit den Menschen zu tun, mit denen man in diesen wichtigen Lebensjahren seine Zeit verbringt. Gute Freundschaften können vermutlich auch bei Disco und House entstehen. Was man sagen muss: Harter Rock ist sicherlich nicht so hedonistisch wie die Spielarten der Popmusik. Wir Metal-Jungs waren weniger auf unser Äußeres bedacht, wir haben humanistische Werte jedenfalls schon sehr früh sehr hoch gehalten - vielleicht nur, weil wir hoffnungslose Romantiker waren (lacht).
"Die Rolf-Zuckowski-Phase gab's bei uns nie"
teleschau: Gibt es die eine Band, die Ihr Leben mehr als alle anderen bestimmt hat?
Manthei: Ja, Motörhead. Die waren immer dabei. Ich hätte Lemmy Kilmister gerne mal kennengelernt, es war mir nicht vergönnt. Aber ich denke mal, dass er wirklich der integerste, geradlinigste und authentischste Rock'n'Roller aller Zeiten war. Thomas Jensen und Holger Hübner, die ihn gut kannten, lassen nichts auf ihn kommen.
teleschau: Mit welcher Musik wurden und werden eigentlich Ihre drei Kinder groß?
Manthei: Also, die Rolf-Zuckowski-Phase gab's bei uns nie. Ich bin immer gleich mit Elvis, Beatles oder Rolling Stones eingestiegen ... Die haben das ganz gut weggesteckt und inzwischen eigentlich auch einen ganz guten Musikgeschmack. Findet der Papa, der jetzt schon auch mal ein Auge zudrückt und drei, vier Songs von James Blunt über sich ergehen lässt (lacht).
teleschau: Warum sind Sie eigentlich nicht Rockstar geworden?
Manthei: Ich wollte ja - total. Ich war Schlagzeuger, und wir hatten sogar eine Band im Hamburger Westen damals - die Kaputtnix. Das ließ sich auch gar nicht so schlecht an. Es gab einige grandiose Schulaula-Konzerte. Bis es sich dann zerschlug. Das Komische ist ja: Viele verhinderte Musiker werden Schauspieler, und ich weiß von einigen Musikern, die gerne Schauspieler geworden wären. Fragen Sie mich bitte nicht, warum. Fakt ist: Würde ich heute noch mal eine Band aufmachen, dann wäre ich der Sänger - ich liebe die Bühne, da kann ich, wie ich heute weiß, auch gerne mal die Sau rauslassen. Vollgas! Das Innerste muss nach außen, und das geht live on stage am besten (lacht).
(Alle sechs Folgen sind ab Freitag, 7. Juli auf RTL+ verfügbar. Free TV-Premiere feiert "Legend of Wacken" am Dienstag, 11. Juli, und Mittwoch, 12. Juli, bei NITRO. Der Sender zeigt jeweils drei Folgen ab 20.15 Uhr.)