Frankreich-Wahl: Mehr als 200 Kandidaten entscheiden sich für taktischen Rückzug

Fünf Tage vor der entscheidenden Runde der Parlamentswahl in Frankreich haben sich mehr als 200 Kandidaten aus der Stichwahl zurückgezogen, um eine Machtübernahme der Rechtspopulisten zu verhindern. (Ludovic MARIN)
Fünf Tage vor der entscheidenden Runde der Parlamentswahl in Frankreich haben sich mehr als 200 Kandidaten aus der Stichwahl zurückgezogen, um eine Machtübernahme der Rechtspopulisten zu verhindern. (Ludovic MARIN)

Fünf Tage vor der entscheidenden Runde der Parlamentswahl in Frankreich haben sich mehr als 200 Kandidaten aus der Stichwahl zurückgezogen, um eine Machtübernahme der Rechtspopulisten zu verhindern. Bis zum Ablauf der Frist am Dienstagabend verzichteten mindestens 214 Kandidaten auf die Teilnahme an der entscheidenden Runde am kommenden Sonntag, wie eine Zählung der Nachrichtenagentur AFP ergab.

Wegen der hohen Wahlbeteiligung hatten sich im ersten Wahlgang am Sonntag in mehr als 300 von 577 Wahlkreisen je drei Kandidaten für die Stichwahl qualifiziert. In knapp der Hälfte lag dabei der Kandidat der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN) vorn. Wenn sich nun der jeweils drittplatzierte Kandidat zurückzieht, verringert dies die Chance für den RN-Kandidaten, die Stichwahl zu gewinnen.

Nach einer ersten Prognose der Website "Le Grand Continent" könnte der Rückzug der Kandidaten dazu führen, dass der RN in der zweiten Runde nicht die absolute Mehrheit erreicht. Tatsächlich ist dies aber sehr schwer einzuschätzen, weil Wähler sich nicht unbedingt an Wahlempfehlungen halten. Außerdem kommt es sehr auf die Höhe der Wahlbeteiligung an.

"Am Ende entscheiden die Franzosen nach ihrem Gewissen und nicht nach Wahlempfehlungen", sagte ein Berater von Präsident Emmanuel Macron. "Aber rein rechnerisch verringert sich das Risiko einer absoluten Mehrheit für den RN."

Zu denen, die bei der zweiten Runde nicht antreten, zählen auch einige wenige RN-Kandidaten. Diese könnten sich von den Kandidaten, denen sie dadurch möglicherweise zum Sieg verhelfen, später Unterstützung in der Nationalversammlung erwarten.

Unterdessen erklärten die Rechtspopulisten, dass sie auch ohne absolute Mehrheit eine Regierung bilden wollen. Dazu sollten auch Unterstützer aus anderen Parteien und Vertreter der Zivilgesellschaft ernannt werden, sagte Ex-Parteichefin Marine Le Pen am Dienstag dem Sender France Inter. "Es wird eine kompetente Regierung sein", betonte sie. "Wenn wir eine Mehrheit bekommen, dann werden wir natürlich tun, wofür die Wähler uns gewählt haben."

Damit rückte Le Pen von der bisherigen Linie des Parteichefs Jordan Bardella ab, der das Amt des Premierministers nur im Fall der absoluten Mehrheit übernehmen wollte. "Wenn wir etwa 270 Sitze haben und noch 19 Abgeordnete brauchen, dann werden wir auf die anderen zugehen", sagte Le Pen. "Mehrere rechte, aber auch linke Abgeordnete haben eine Nähe zu unseren Positionen gezeigt."

Allerdings mehren sich Berichte über RN-Kandidaten, die Zweifel an ihrer Kompetenz aufkommen lassen. So zog eine Kandidatin ihre Teilnahme an der Stichwahl zurück, nachdem ein Foto von ihr mit einer Schirmmütze der NS-Luftwaffe samt Hakenkreuz bekannt wurde. Ludivine Daoudi war in der ersten Runde im nordfranzösischen Calvados auf 20 Prozent gekommen.

Ein weiterer Kandidat des RN kann im Fall eines Wahlsiegs in der zweiten Runde sein Mandat möglicherweise nicht antreten, da er wegen psychischer Probleme einen gesetzlichen Betreuer hat. Der 65-Jährige war im westfranzösischen Jura mit 33 Prozent auf den zweiten Platz gekommen.

Eine RN-Kandidatin im Département Mayenne wies Rassismus-Vorwürfe gegen ihre Partei zurück, indem sie erklärte, dass ihr Zahnarzt Muslim und ihr Augenarzt Jude sei. Eine weitere Kandidatin hatte nach einem Medienbericht vor einigen Jahren mit einer bewaffneten Geiselnahme im Rathaus von Ernée Aufsehen erregt.

In der Stichwahl am kommenden Sonntag entscheidet sich die Sitzverteilung in der Nationalversammlung. Für eine absolute Mehrheit sind 289 von 577 Sitzen nötig.

kol/mid