Authentischer Blick in einen Mikrokosmos: Serie über jüdisches Leben in Deutschland
David Haddas so humorvolle wie tiefgründige Familien-Dramedyserie möchte mit Stereotypen aufräumen und einen authentischen Einblick in die Lebensrealität jüdischer Menschen in Deutschland geben. Beim internationalen "Canneseries"-Festival wurde sie gerade als Beste Serie des Jahres ausgezeichnet.
Familie kann eine echte Herausforderung sein. So auch für "Die Zweiflers" in der gleichnamigen Dramedyserie. Die Konflikte der drei Generationen, die nicht selten mit ihrem kulturellen Erbe zusammenhängen, stehen im Mittelpunkt des sehenswerten Sechsteilers, in dem Showrunner und Creator David Hadda ("Deadlines") die Lebensrealität von Juden in Deutschland authentisch darstellen wollte. Dafür konnte er einen hochkarätigen, internationalen Hauptcast verpflichten: Fast alle Darstellerinnen und Darsteller haben jüdische Wurzeln, und jede(r) einzelne entdeckte laut eigener Aussage im Drehbuch Parallelen zu eigenen Lebenserfahrungen. Beim internationalen Serienfestival "Canneseries" Anfang April konnte die Serie gleich drei der neun zu vergebenden Preise gewinnen: für die Beste Serie und die Beste Musik, zudem gab es den High School Award for Best Series von einer Jury aus Schülerinnen und Schülern. Bereits eine Woche vor dem linearem TV-Start am 10. Mai im Ersten feiern "Die Zweiflers" am 3. Mai VoD-Premiere in der ARD-Mediathek.
"Lass mich raten: Deine Mutter mischt sich überall ein, und du hasst es. Aber wenn sie es einen Tag nicht macht, bist du verunsichert. Deine Großeltern können nicht über ihre Gefühle und Traumata reden, ihr Glück ist von deinem Glück abhängig. Aber dein individuelles Glück zählt nicht. Ihr alle leidet unter diesem unlösbaren Dilemma, aber am Ende des Tages verehrst du sie." - "Ziemlich gut. Du hast also schon Juden kennengelernt?" Mit diesem Dialog zwischen Samuel (Aaron Altaras), Zweifler der dritten Generation, und der Köchin Saba (Saffron Coomber) setzt David Hadda in der Auftaktepisode nicht nur den bei aller Tiefe humorvollen Ton der Serie, sondern er versorgt die Zuschauer auch gleich mal mit dem nötigen Wissen über die Protagonisten und ihre Dynamik untereinander.
Großvater Symcha Zweifler (gespielt vom jüdisch-amerikanischen Bühnenstar Mike Burstyn) hatte in Frankfurt am Main nach dem Krieg das Delikatessen-Imperium der Familie aufgebaut. Als er nun verkündet, es verkaufen zu wollen, stürzt das besonders seine exaltierte Tochter Mimi (Sunnyi Melles) in eine Sinn- und Identitätskrise. Denn das Geschäft war das Wichtigste im Leben der Zweiflers - neben ihren Traditionen. Zu diesen gehört auch die "Bris", die Beschneidung eines neugeborenen Jungen, die seinen Eintritt in die jüdische Gemeinschaft markieren soll.
"Seit Tausenden Jahren machen wir es so"
Als Saba, mittlerweile Samuels Freundin, schwanger wird, ist die Freude groß - und für die älteren Zweiflers völlig klar, dass die Britin mit karibischen Wurzeln zum Judentum konvertieren und das Kind selbstverständlich beschnitten werden wird. Und so löst Sabas unerwartete Weigerung eine handfeste Krise in der Familie aus. Im Auge des Orkans: der werdende Vater Samuel, der zwischen seiner Familie und Saba zu zerreißen droht. "Tradition ist eh nur Illusion. Was ist daran falsch, neue Wege zu gehen?", fragt er seinen Großvater. "Seit Tausenden Jahren machen wir es so, und du willst jetzt damit aufhören?", gibt Symcha zurück. Ein ziemlich typischer Dialog unter Zweiflers.
Das Dilemma rund um die Beschneidung ist ein zentraler Konflikt im Sechsteiler, aber natürlich nicht der einzige. Wie es sich für eine gute Familienserie gehört, hat jedes einzelne Mitglied weitere, ganz persönliche Baustellen: Großvater Symcha etwa wird mit seiner Vergangenheit erpresst (von einem herrlich plakativ-bösen Martin Wuttke), der zweite Enkel Leon (Leo Altaras) protestiert mit seiner Kunst gegen Familie und Tradition, Mimi wird von ihrem Mann Jackie (Mark Ivanir) betrogen, Oma Lilka (Eleanor Reissa) hat gesundheitliche Probleme, und Tochter Dana (Deleila Piasko) steckt in einer Lebens- und Identitätskrise, die sie aus Israel in den Schoß der Familie zurückführt.
Aufklären ohne zu belehren
"Die Mehrheit der Deutschen weiß sehr wenig über die jüdischen Menschen, die heute in Deutschland leben", erklärt Showrunner David Hadda, der mit seinem Koproduzenten Martin Danisch bereits mit der von Daniel Donskoy moderierten Talkshow "Freitagnacht Jews" diesbezüglich Aufklärungsarbeit betrieb. "Sie wissen wenig über ihre Kultur, ihre Herkunft, über ihre Geschichte und ihre Lebensrealität." Das wollte er mit "Die Zweiflers" ändern und "eine Familiengeschichte erzählen, die einen authentischen Einblick in diesen Mikrokosmos gibt und die Ambivalenz des jüdischen Selbstverständnisses in Deutschland auf tragisch-humoristische Weise verhandelt".
Ein kulturelles Stereotyp wolle er aber auf jeden Fall vermeiden, betont Hadda. Die Zweiflers sollen nicht exemplarisch für irgendjemanden stehen. Die Serie bildet also eine mögliche Version einer Familie in Deutschland ab, die zufällig eben jüdisch ist. Ohne Verallgemeinerung - und auch ohne Belehrung bei "Fragen nach Identität, Religion und Kultur". Denn, so David Hadda: "Unsere Serie will vor allem unterhalten und hat sich das Recht rausgenommen, sich nicht erklären oder gar eine Antwort auf all diese Fragen liefern zu wollen."