Berliner Manifest: Einflussreiche Ökonomen fordern mehr Staat und weniger Markt, um die Demokratie gegen Populisten zu stärken

Mehr Umverteilung und mehr staatliche Ausgaben für die Industriepolitik: Forderungen eines Manifestes einflussreicher Ökonomen. - Copyright: © Thomas Krych/ZUMA Press Wire
Mehr Umverteilung und mehr staatliche Ausgaben für die Industriepolitik: Forderungen eines Manifestes einflussreicher Ökonomen. - Copyright: © Thomas Krych/ZUMA Press Wire

Bei der Europawahl am 9. Juni könnten Populisten deutliche Gewinne erzielen. Italien, die Niederlande oder Argentinien regieren sie bereits. Bei der US-Wahl im November ist Donald Trump die Rückkehr ins Weiße Haus zuzutrauen. Dahinter steht nach Ansicht einer Gruppe international einflussreicher Ökonomen eine „Welle an Misstrauen gegenüber liberalen Demokratien“. Auslöser sei ein Gefühl vieler Menschen, sie oder ihr Staat verliere angesichts rasanter Veränderungen die Kontrolle. Als Gegenmittel fordern die Ökonomen einen aktiveren Staat, der mit gezielter Industriepolitik Arbeitsplätze schaffe, die Ungleichheit von Vermögen und Einkommen ausgleiche und „eine bessere Globalisierung“ gestalte.

„Um größere Schäden für die Menschheit und den Planeten abzuwenden, müssen wir dringend die Ursachen des Unmuts der Menschen angehen“, heißt es in dem Manifest, das das Forum New Economy anlässlich der Berliner Konferenz „Winning back the People“ veröffentlichte. Zu den Unterzeichnern gehören einflussreiche Ökonomen wie Harvard-Professor Dani Rodrik, Mariana Mazzucato vom Londoner University College, Columbia-Ökonom Adam Tooze, die mit ihren Kapitalismus-kritischen Büchern erfolgreichen Ökonomen Thomas Piketty und Branko Milanovic, der frühere IWF-Chefökonom Olivier Blanchard sowie die Deutschen Jens Südekum, Isabella Weber und Maja Göpel. Sie nehmen für sich in Anspruch, als Ökonomen neue Wege außerhalb des Mainstreams „orthodoxer" Denkschulen zu suchen.

Generell fordert die Gruppe ein neues Gleichgewicht zwischen „Märkten und kollektivem Handeln“. Sie setzen also auf mehr Staat und weniger Markt. Dabei müssten „selbstzerstörerische Sparmaßnahmen“ vermieden werden. Der Staat selbst solle innovativ sein.

„Die Regierungen sollten sich stärker darum bemühen, dem gefühlten oder tatsächlichen Kontrollverlust vieler Menschen zu begegnen. Dazu empfehlen die Experten unter anderem, in Krisen früher mit staatlichen Maßnahmen zu versuchen, neue Unternehmen anzuziehen und Arbeitsplätze zu sichern, die Ungleichheit von Vermögen und Einkommen abzubauen und eine bessere Globalisierung zu gestalten.

Der Aufruf entstand im Umfeld einer Konferenz des Forum New Economy, bei der 80 Experten neue Ergebnisse der Forschung zum Zusammenhang zwischen Ökonomie und Populismus diskutierten. Titel: „Winning back the people" - wie können die Menschen zurückgewonnen werden.

„Das verbreitete Gefühl der Machtlosigkeit wurde durch Schocks ausgelöst, die aus der Globalisierung und dem technologischen Wandel resultieren und nun durch den Klimawandel, Künstliche Intelligenz und den Inflationsschock noch verstärkt werden“, heißt es in dem Aufruf. „Jahrzehntelang schlecht gemanagte Globalisierung, übermäßiges Vertrauen in die Selbstregulierung der Märkte und Austerität haben die Fähigkeit der Regierungen ausgehöhlt, wirksam auf solche Krisen zu reagieren.“

Weniger Markt, mehr Staat: Die Vorschläge des Berliner Manifests

„Wir geben nicht vor, endgültige Antworten zu haben“, schreiben die Ökonomen. Als Lehren aus dem ihrer Beobachtung nach zunehmenden Misstrauen schlagen aber einen Katalog von Maßnahmen vor:

  • Es müsse ein „neues Gleichgewicht zwischen Märkten und kollektivem Handeln“ geben. Staaten sollten „selbstzerstörerische Sparmaßnahmen“ vermeiden. Der Staat solle „wirksam innovativ" sein.

  • Politik und Institutionen sollten „nicht mehr in erster Linie auf wirtschaftliche Effizienz“ ausgerichtet werden, sondern „auf die Schaffung von gemeinsamem Wohlstand und sicheren, hochwertigen Arbeitsplätzen.“

  • Der Staat solle die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen bekämpfen. Dazu könnten die „Macht von Geringverdienern“ gestärkt, hohe Einkommen und Vermögen stärker besteuert oder alle Menschen mit einem „sozialen Erbe“ ausgestattet werden.

  • Eine staatliche Industriepolitik solle „Umwälzungen proaktiv begegnen, indem sie neue Industrien unterstützt und Innovationen auf die Schaffung von Wohlstand für viele Menschen ausrichtet“.

  • Subventionen und staatliche Kredite sollten weniger in Wirtschaftsbereich gelenkt werden um diese zu erhalten, sondern denen helfen, die investieren, um Ziele wie KIimaneutralität zu erreichen.

  • Global sollten „die Vorteile des Freihandels mit dem Schutz der Schwachen und des Klimas in Einklang“ gebracht werden. Staaten sollten die nationale Kontrolle über ihre strategische Interessen behalten.

  • Die Klimapolitik solle eine CO2-Bepreisung mit Anreizen zur Verringerung der CO2-Emissionen und mehr Investitionen in die Infrastruktur kombinieren.

  • Es müsse sichergestellt werden, dass auch die Entwicklungsländer über finanzielle und technologische Ressourcen verfügten, um den Übergang zum Klimaschutz in Angriff nehmen zu können.

  • Die Marktmacht einzelner Unternehmen auf stark konzentrierten Märkten solle verringert werden.