Letzte Generation mit 20 Straßenblockaden in Berlin
Schon länger hatte die Letzte Generation für September große Straßenblockaden in Berlin angekündigt. Die Aktionen sollten ein «Wendepunkt» sein. Letztlich wurden die Blockaden schnell aufgelöst.
Berlin - Die meisten Autofahrer nahmen die Blockaden gelassen, manche schimpften laut, einzelne wurden handgreiflich. Ein Autofahrer, der am Montagmorgen in Berlin im Stau stand, griff gar zum Pfefferspray. Die Klimaschutzgruppe Letzte Generation machte ihre Drohungen wahr und blockierte nach langer Pause wieder zahlreiche Kreuzungen im Berliner Berufsverkehr, indem sich Demonstranten an der Straßen festklebten. Zum Teil konnten sie erst nach Stunden von Polizisten abgelöst und weggetragen werden. Zuspruch bekamen die Klimaschützer von manchen Radfahrern oder Fußgängern.
Am Sonntag hatten die Letzte Generation das Brandenburger Tor großflächig mit oranger Farbe aus Feuerlöschern besprüht. Die Reinigung begann noch am Sonntag. Bis zum Marathon am Wochenende sollten «die Farbpigmente (...) vollständig aus dem Sandstein entfernt» und das Tor wieder sauber sein.
Die Polizei sprach von 20 Straßen- und Kreuzungsblockaden und 7 versuchten Blockaden, die von Polizisten verhindert worden seien. Es kam auf vielen Durchgangsstraßen im Berufsverkehr zu Behinderungen und Staus. Betroffen waren mehrere Autobahnausfahrten, verschiedene Bundesstraßen und auch der Busverkehr. «Bitte nutzt, wenn möglich, die S- und U-Bahn», baten die Verkehrsbetriebe (BVG).
Mehr als 150 Blockierer
155 Blockierer seien festgestellt worden, so eine Polizeisprecherin. Viele hatten sich an die Straße geklebt. Die meisten von ihnen werden wegen Nötigung und Widerstands gegen die Polizei angezeigt. Gegen 7.00 Uhr hatten die Blockaden auf Durchgangsstraßen in zahlreichen Stadtteilen begonnen. Viele Straßen waren bereits um 9.00 Uhr wieder frei, weil die Polizei die mit Sekundenkleber befestigten Hände der Blockierer mit Speiseöl ablösen konnte.
An manchen Orten benutzen die Demonstranten laut Polizei ein besonders hartnäckiges Klebstoff-Gemisch, dessen Anwendung die Letzte Generation auf ihren Internetseiten ausführlich beschreibt. Dort dauerte das Ablösen länger. «An einigen Stellen ist die Straße beschädigt und muss noch repariert werden», schrieb die Polizei. Den gesamten Tag über seien bis zu 500 Polizisten im Einsatz, hieß es.
Viele Autofahrer protestierten, weil sie zur Arbeit mussten. An der Frankfurter Allee rief ein Mann mit grauen Haaren den Blockierern zu: «Macht nur weiter so, mit eurer Hilfe kommt die AfD über 25 Prozent. Ihr nehmt Autofahrer in Geiselhaft und begeht Straftaten.» Einer der festgeklebten Blockierer, ein junger Mann mit Bart, diskutierte und hielt laut einen langen Vortrag über die weltweiten Gefahren durch den Klimawandel und fordert alle Umstehenden zum Protest auf. Eine junge Frau schob ihr Fahrrad vorbei und rief den fünf Blockierern zu: «Danke, dass ihr so mutig seid.»
Berlin: Fast 3000 Verfahren nach Klimaprotesten
Währenddessen lösten Polizisten, die auf der Straße knieten, geduldig einen Finger der Blockierer nach dem anderen vom Asphalt. Schließlich führten oder trugen sie die Menschen von der Straße, der junge Mann mit Bart verzog schmerzverzerrt sein Gesicht. Zusammen saßen die Demonstranten danach auf dem Gehweg, eine junge Frau weine.
Aggressiver Autofahrer mit Reizgas
In Einzelfällen versuchten wütende Autofahrer, auf eigene Faust die Straßen frei zu räumen. Bei einer Blockade in Prenzlauer Berg besprühte ein Mann Demonstranten mit Reizgas und versuchte, sie zu treten, berichtete die Polizei. Die Letzte Generation postete ein Video, auf dem ein Mann zu sehen war, der mehrere noch stehende Blockierer besprühte und rief: «Weg ihr Penner.» Einem Blockierer, der sich hinsetzte, sprühte er direkt ins Gesicht. Die Straße wurde dadurch aber nicht frei. Die Polizei kennt das Video und ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung.
Pfefferspray gegen Aktivisti #berlin #LetzteGeneration pic.twitter.com/85siTAzWUU
— SAINT77📯 🇺🇦 💚 🏳️🌈🏳️⚧️ (@GlueckderIren) September 18, 2023
In Spandau stoppte die Polizei einen Autofahrer, der selbst einen Klimademonstranten von der Straße lösen wollte. Sie appellierte: «Wir haben Verständnis, wenn Sie von den Protesten genervt sind, aber bitte greifen Sie nicht ein oder wenden gar Gewalt an.»
Kritik an Aktion am Brandenburger Tor
Das Besprühen des Brandenburger Tores am Sonntag sorgte für Unverständnis und teils scharfe Kritik. 14 Mitglieder der Letzten Generation wurden danach festgenommen. Zwei davon wurden am Montag einem Richter vorgeführt. Einer wurde freigelassen, weil er versicherte, sich nicht mehr an Aktionen zu beteiligen. Ein Weiterer blieb bis Montagabend im sogenannten Polizeigewahrsam.
Neben Straßenblockaden seit Anfang 2022 gehörten immer wieder Farbattacken zu den Aktionen der Klimaaktivisten. In Berlin hatten sie unter anderem das Grundgesetz-Denkmal, Parteizentralen, Luxus-Läden und ein Privatflugzeug beschmiert. Die Gruppe fordert, dass Deutschland ab 2030 auf fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl und Erdgas verzichtet. Die Bundesregierung peilt das Jahr 2045 für eine klimaneutrale Wirtschaft an.
454 Liter Raps- und Sonnenblumenöl
Proteste und Blockaden kündigte die Letzte Generation für die gesamte Woche an. Ob sie auch die Marathonläufe der Skater am Samstag und der Läufer am Sonntag im Visier hat, war noch nicht klar. Anders aber als bei der Klimaschutzbewegung Fridays for Future, die in Berlin am Freitag mehr als 12.000 Demonstranten mobilisierte, agieren bei der Letzten Generation weiterhin nur einige hundert Menschen.
Bei der Berliner Staatsanwaltschaft führte ihr Protest inzwischen zu knapp 2500 Ermittlungsverfahren (Stand: 15. September). Die Berliner Polizei sammelte seit 2022 mehr als 480.000 Einsatzstunden zu dem Thema. 454 Liter Raps- und Sonnenblumenöl wurden zum Ablösen der festgeklebten Demonstranten eingesetzt.
VIDEO: Ist die "Letzte Generation" ein Fall für den Verfassungsschutz?