Überraschende Einblicke - Mutter inszeniert Höcke in bizarrem Blog als „lieber Junge“ - Experte: „Völliger Bullshit“

Screenshot der Seite afd-bjoern-hoecke.de
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In einem Blog eröffnet der thüringische AfD-Chef Björn Höcke überraschende Einblicke in sein Privatleben. Die PR in eigener Sache wirkt wie Realsatire – aber der Möchtegern-Landesvater verfolgt damit ein ambitioniertes Ziel.

Björn Höcke war ein übermütiges Kleinkind, das man keine Sekunde aus den Augen lassen konnte. Dass aus ihm mal etwas werden würde, will seine Mutter schon lange geahnt haben, bevor ihr Sohn nach Thüringen auswanderte, um Karriere als Landeschef der AfD zu machen. So jedenfalls suggeriert es ein Beitrag, den sie für seinen neuen Blog verfasst hat. Unter afd-bjoern-hoecke.de/ueber-mich schreibt sie, er habe schon in jungen Jahren gern die Führung übernommen und wenn nötig, sich mit den Fäusten verteidigt.

Björn Höcke mit Schultüte

Ein Foto zeigt Höcke, wie ihn die breite Öffentlichkeit noch nicht gesehen hat, mit einer riesigen Schultüte im Arm. Er klammert sich daran fest. Wie ein Draufgänger sieht er nicht gerade aus. Eher wie einer, der am liebsten weglaufen würde.

Kann sich eine Mutter so in ihrem Kind täuschen? Oder hat sie den Beitrag gar nicht selbst geschrieben, sondern, sagen wir, der Praktikant einer PR-Agentur, der den Auftrag hatte, das ramponierte Image des Rechtsaußen aufzupolieren: Zeig mal, dass der privat ein total netter Typ ist? Oder handelt es sich bei der neuen Homepage um Satire, um einen neuen Streich, mit dem Höcke-Kritiker den AfD-Politiker mitten im Wahlkampf lächerlich machen wollen? Bei Höcke muss man mit allem rechnen – oder genauer: bei seinen Gegnern. 2017 hatten Aktivisten vom Zentrum für Politische Schönheit ein Miniatur-Holocaust-Mahnmal auf dem Nachbargrundstück seines Hauses aufgebaut. Der Provokateur, er wurde selbst provoziert.

Screenshot der Seite afd-bjoern-hoecke.de
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AfD bestätigt Echtheit

Nun, was den Blog betrifft: Der ist echt. Das hat Höckes Sprecher Robert Teske gegenüber FOCUS online bestätigt. Ja, die Kinder- und Jugendbilder zeigten wirklich den Mann, der Thüringens neuer Ministerpräsident werden möchte. Schnippische Gegenfrage: „Wen sollten die Bilder denn sonst zeigen?“

Es ist ein rosamunde-pilchereskes Bild, das die Mutter von ihrem Clan zeichnet. Die Höckes, eine schrecklich nette Familie. Und so normal. Die Großeltern, aus Ostpreußen geflüchtet. Hart arbeitende Leute, die immer für ihre Enkel da waren. Liebe. Wärme. Fürsorge. Wäre der Blog ein Kinofilm, würden jetzt satte Streicher einsetzen.

Dass ihr Mann die verbotene antisemitische Zeitung „Die Bauernschaft“ abonniert hatte, dass Nachbarn berichten, der Vater sei oft lauter geworden,  einmal sei auch die Polizei gekommen - kein Wort davon. Ein „lieber Junge“ sei der Björn gewesen. Einer, der auch mal heimlich Bier auf einer Klassenfahrt getrunken habe, aber nur dunkles, natürlich. Der nicht mehr für die Schule lernte, als er musste. Habe er auch nicht gebraucht, sagt die Mutter. „Ich wusste immer um die Klugheit meiner Kinder.“

Höcke und sein angebliches Faible für Philosophen

Andere in seinem Alter pinnten sich Bravo-Poster von Samantha Fox an den Schrank. Bei Höcke waren es angeblich Aphorismen großer Philosophen. Sagt die Mutter. Sie zitiert Nietzsches Zarathustra: „Mutig, unbekümmert, spöttisch, gewalttätig – so will uns die Weisheit: Sie ist ein Weib und liebt immer nur einen Kriegsmann“ Wenn das damals nicht auf den Schrank gepasst haben sollte, hat es die PR-Agentur jetzt passend gemacht. Höcke, so die Botschaft, sei schon immer ein Überflieger gewesen. So einer kann nicht nur Ministerpräsident.

Screenshot der Seite afd-bjoern-hoecke.de

Der Lehrer Höcke erscheint in dem Blog, inklusive Sonnenbrillen-Foto vor dem Reichstag, wie John Keating (Robin Williams), der Lehrer aus dem Kinofilm „Der Club der Toten Dichter“. Empathisch, Verständnisvoll, hilfsbereit, engagiert. So beschreibt ihn eine ehemalige Kollegin von einer Gesamtschule in Hessen, an der der AfD-Politiker Geschichte und Sport unterrichtet hat. Ehemalige Schüler wurden sicherheitshalber nicht befragt. Der Heiligenschein hätte sonst vielleicht Kratzer bekommen.

Die meisten erinnern sich an einen Lehrer, der alles hasste, was aus Amerika kam. Der allen Ernstes forderte, sie sollten lieber deutsche Musik als Rap hören. Dem FOCUS-Magazin hat einer gesagt, Höcke habe zwar tatsächlich mit Freude unterrichtet. Aber nur Themen, die in sein Weltbild gepasst hätten. Den Holocaust habe er in der 9. Klasse übersprungen.

Und dann ist da noch der Politiker Höcke. Seinen Weg in den Thüringer Landtag beschreibt der gebürtige Rheinländer auf dem Blog als eine Mission. Schon mit vierzehn trat er der Jungen Union bei. Doch ach, die „geistig-moralische Wende“, die der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl der wiedervereinigten Republik versprach, sie kam und kam nicht. Stattdessen: „Gender-Irrsinn“, „Windräder“ und „Zwangsimport nicht integrierbarer, kulturfremder Menschen.“ Als Vater von vier Kindern habe er erkannt, dass er in die Politik gehen müsse, weil er nicht mehr tatenlos zusehen wolle, „wie unser Land Stück für Stück abwärts driftet.“

Es ist derselbe unheilvoll dräuende Sound, in dem er in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ laut über einen System-Wechsel nachdenkt, über „brandige Glieder“, derer man sich entledigen muss, weil das Boot irgendwann voll wird. Nur formuliert er kürzere Sätze und benutzt weniger Fremdworte.

Kommunikationsexperte kritisiert Höcke-Auftritt

Aber was soll dieser Blog? Auf seinem Facebook-Account – mit 92.713 Followern – behauptet er, die sozialen Netzwerke seien schon lange „ein unsicherer Ort“, wenn es um kritische Posts gehe. Längere Beiträge werde er künftig auf seinem Blog veröffentlichen. Von „Zensurmaßnahmen“ ist die Rede.

„Das ist völliger Bullshit“, sagt Martin Fuchs, der Politiker berät, wenn es um digitale Kommunikation geht. Zwar beklagten sich auch seine Klienten darüber, dass ihre Reichweiten gesunken seien, weil soziale Medien wie TikToK politische Themen „herunterranken“. Aber sinkende Klickraten oder Zensur seien nicht Höckes Problem. Dafür sei er schon zu lange im Geschäft.

Fuchs sagt, das Blog sei „wie aus dem Baukasten für Legitation PR“. Höckes Image habe Kratzer bekommen, seit er schon zum zweiten Mal zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil er öffentlich die NS-Parole „Alles für Deutschland“  verbreitet habe. Er müsse mit weiteren Verfahren rechnen.

Das Blog sei der Versuch, schon präventiv einen Schutzschirm aufzuspannen, um das öffentliche Urteil zu beeinflussen. Höcke, das Opfer der Justiz. Höcke, das Opfer der Medien. Höcke, das Opfer der „Alt-Parteien“. Mit diesem Narrativ könne er zumindest seine Fans an sich binden.

Fuchs sagt, die persönlichen Texte über Höcke und von Höcke hätten ihm überhaupt nicht gefallen. „Die triefen vor Pathos und Patriotismus.“ Aber er sei nicht der Maßstab. Bei Höckes Anhängern komme dieser Sound gut an. Dass der Politiker sie jetzt in sein digitales Wohnzimmer bitte, ohne zu viel von sich zu verraten, sei ein cleverer Schachzug. „Der Mann will schließlich Ministerpräsident von Thüringen werden. Und hey, als Landesvater muss man auch mal Familienbilder herausholen.“