Jauch TV-Kritik: Pegida-Frontfrau bei der "Lügenpresse"

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Kathrin Oertel, Mitglied im Organisationsteam von Pegida (Bild: dpa)

Bei "Günther Jauch" gab es den ersten Auftritt einer Führungsfigur von "Pegida" vor der „Lügenpresse“: Der Fernsehtalk mit Kathrin Oertel geriet zum spannenden Showdown. Doch nicht alle schlugen auf die Pegida-Sprecherin ein. Die traf sich meistens selbst.

Eine TV-Kritik von Jan Rübel

Kathrin Oertel stand am Sonntagabend im Rampenlicht. Viele wollten von ihr wissen, wie Pegida tickt – jene Bewegung der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, die (eigentlich) jeden Montag in Dresden auf die Straße viele tausende Menschen auf die Straßen zieht. Nicht jeden. Heute fällt die Demonstration aus, abgesagt von der Polizei, wegen Hinweisen auf eine Anschlagsgefahr aus dem islamistischen Milieu. Also war der TV-Talk von Günther Jauch im Berliner Gasometer mächtig aufgeladen, als der Moderator vor die Kameras trat.

Eines vorweg: Man lernte in dieser Sendung einiges. Zu einem einzigen Haudrauf geriet der Talk nicht, man redete über weiten Strecken fair miteinander. Und es gab Gäste, die ließen weit Schrägeres los als Oertel.

Eingeladen hatte die Redaktion zum Titel „Politik trifft Protest“. Dabei waren neben Oertel Alexander Gauland, Vize-Bundessprecher der rechtspopulistischen AfD, Frank Richter, Direkter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, der SPD-Politiker Wolfgang Thierse und Jens Spahn, Präsidiumsmitglied der CDU und Bundestagsabgeordneter.

"Ganz normale Frau aus dem Volk"

Großes Thema zu Beginn der Sendung war natürlich die abgesagte Demo und die Terrorhinweise. Es wäre ein leichtes für Oertel gewesen, sich laut über diesen Einschnitt zu beschweren, eine Terrorgefahr herauf zu beschwören und sich als Jeanne d’Arc zu stilisieren. Doch die 36-Jährige blieb sachlich, holte nicht die Zündhölzer heraus. Sie bemühte sich konsequent um Understatement. Das tat gut an dieser Stelle. Oertel blieb während der ganzen Sendung in einem Schützengraben, argumentierte defensiv und wagte nur dann und wann einen Schuss in die weite Ferne. „Ich bin eine ganz normale Frau aus dem Volk“, sagte sie. Die Pegida-Demonstranten seien „Bürger, die ganz normal ihr Leben führen“.

Vom Volk sollte sie öfters reden, das beanspruchte sie oft für sich, aber dazu später. Warum sie überhaupt ins Studio gekommen war, wo die Leute von Pegida doch Interviews mit Medien als „Lügenpresse“ generell ablehnten, erklärte sie mit den Worten: „Die Menschen verdienen, objektiv informiert zu werden.“ Objektiv heißt hier: von ihr persönlich. Eine etwas überdehnte Selbstwahrnehmung, die mehr subjektiv erscheint. Geschenkt.

Wo Oertel Zurückhaltung zeigte, ging Gauland in die Offensive. Der AfD-Intimus aus dem Osten bemüht sich derzeit, seine Partei auf einen nationalkonservativen Kurs zu trimmen, da kommt ihm Pegida gerade recht. Zur Demo-Absage sagte er, es sei ein Grundrecht ausgehebelt worden. „Und es ist der Beginn einer Islamisierung, wenn wir eines unserer Grundrechte nicht ausüben können.“ Wenn-Sätze sind in der Politik gefährlich. Mit ihnen kann man alles sagen, um nachher zu rufen: Das habe ich alles nicht so gemeint. Es war der Moment, an dem Spahn von der CDU zum ersten Mal hineingrätschte und feststellte: Wenn überhaupt, dann gebe es eine Bedrohung islamistischen Terrors und keine Islamisierung. Doch Gauland machte unbeirrt weiter.

Gauland nimmt Pegida in Schutz

Kanzlerin Angela Merkel zieh er der „Kälte und Gnadenlosigkeit“, weil sie in ihrer Neujahrsansprache Pegida kritisiert hatte. Er selbst habe während seiner Teilnahme an einer Pegida-Demo „keinerlei rassistischen Äußerungen gehört“. Und überhaupt, die Leute würden im Fernsehen sehen, was im Westen, wahrscheinlich meinte er Westdeutschland, an Parallelgesellschaften geschehe. Man hätte gern nachgefragt, wo denn die Parallelgesellschaften in Deutschland genau seien. Aber eine Talksendung ist kein Therapie-Gespräch. Da sprechen mehrere miteinander, und so konnte auf manch Schräges keine kritische Gegenfrage gestellt werden. Ein Versäumis - auch von Moderator Jauch. Spahns Verdienst war es, Gaulands Gerede zu analysieren: „Sie erklären die Dinge nicht“, sagte er dem ehemaligen CDU-Spitzenpolitiker, „Sie versuchen den Frust auf Ihre Mühlen zu bringen“.

Man hätte auch gern erfahren, was Oertel meinte, als sie sagte: „Es gab Frust, wie das Volk überhaupt nicht mehr wahrgenommen wird“, und zählte dann als Belege wiederum „Parallelwelten“ und islamische „Friedensrichter“ auf. Von beidem wird es in Sachsen nicht viel zu sehen geben. Und warum Friedensrichter, also „zivile“ und durchaus in ihrem Wirken zwielichtige „Richter“ abseits des Gesetzes eine solche Gefahr darstellen, dass Tausende auf die Straße gehen, blieb ein Rätsel. Ebenso Oertels Beschwörungen: „Es gibt Themen, die absolut tabu waren. Asyl darf man nicht in den Mund nehmen, über Migration darf man nicht sprechen.“ Man bekommt ja, gerade in diesen Tagen, zuweilen eher den Eindruck, es werde viel zu viel darüber geredet.Geschenkt

Als Oertel auf die kriminelle Vergangenheit des Pegida-Hauptorganisators Lutz Bachmann angesprochen wird – der hatte mit Körperverletzung, Einbruch und Diebstahl zu tun – , meinte sie zu Recht, jeder brauche eine zweite Chance. Sie nennt aber als Beleg dafür den „Steineschmeißer“ Joschka Fischer und den Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir, der sich mal neben einer Hanfpflanze fotografieren ließ. Was hat ein Foto mit Einbruch zu tun? Geschenkt. Als Moderator Jauch sie fragte, warum man in Dresden gegen die Islamisierung demonstriere, wo es doch nur 0,4 Prozent Muslime dort gebe, konterte sie: „Es wird in Deutschland auch für den Regenwald demonstriert“, obwohl es den hier nicht gebe. Ob Oertel nun meinte, in Dresden werde für ganz Deutschland vorausschauend auf einen drohenden Islam- statt Klimawandel aufmerksam gemacht? Geschenkt.

Manchmal wurde die Pegida-Frontfrau unfair unterbrochen. Man hatte aber den Eindruck, sie war dann nicht undankbar, musste sie nun nicht weiterreden und womöglich Verfängliches sagen.

Ein Gast gab Rätsel auf

Nähme man diese Sendung, packte sie in ein Tuch und drehte sie fest ein – als Destillat tropfte als einzige geäußerte politische Forderung von Gauland und Oertel diese heraus: abgelehnte Asylbewerber sollten abgeschoben werden. Geht man deshalb auf die Straße? Oder trauten sich die beiden, in solch einer Sendung nicht mehr zu sagen und zu fordern?

Letztlich ging es darum, in ein Gespräch einzusteigen. Spahn suchte mehrmals den Dialog und fand ihn zuweilen, kündigte am Ende der Sendung an, nach Dresden zu fahren. Und Thierse, der sich über weite Strecken – ganz Senior – vornehm zurückhielt, hielt ein flammendes Plädoyer für die Demokratie, welche langsam sei und Geduld erfordere. Er rief die Pegida-Demonstranten dazu auf: „Auch ihr könnt mal den Politikern zuhören“, Politik sei manchmal schwer.

Nur ein Gast gab komplett Rätsel auf. Was Frank Richter von der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung wollte, sagte er uns nicht. Er forderte nur auf, zuzuhören. Wiederholte, wie oft er am Montag mitgelaufen sei, um zu verstehen. „90 Prozent der Mitlaufenden sind besorgte Bürger.“ Nun ja. Auch ich bin ein besorgter Bürger. Hört Herr Richter auch mir zu? Und da Richter vorgab, am besten zu verstehen, was die demonstrierende sächsische Seele bewege, legte er sich gleich mit Merkel an und nannte ihre Neujahrsansprache eine „kardiologische Ferndiagnose“. Klar, Richter sieht sich als einer, der Bescheid weiß. Nur was er damit anstellen will, außer sich toll zu finden – das verriet er nicht.

Am Ende bleibt der Eindruck: Mit Oertel ließe sich gut reden, allein. Gauland versucht sich als Profiteur. Thierse appelliert an das Gute im Menschen, Spahn zeigte Rückgrat und Offenheit. Richter fordert den Dialog mit sich selbst und Günther Jauch zeigte einen seiner besseren Auftritte. Davon bitte mehr.