Bollerwagen-Café in Hannover: Obdachlosenhilfe ohne Berührungsängste
Wir stellen ab heute jede Woche Organisationen und Aktivisten vor, die sich für eine besser Welt einsetzen – auf ganz unterschiedliche Weise, aber immer mit Herzblut und Einfallsreichtum.
Pünktlich um 16.30 Uhr fährt Sandra Lüke (49) mit ihrem weißen Lieferwagen am Raschplatz in der Innenstadt von Hannover vor. Wie jeden Dienstag werden sie und weitere Freiwillige hier Kaffee, Suppe und andere Lebensmittel an Bedürftige verteilen. Seit 2015 ist Lüke mit ihrem Bollerwagen-Café unterwegs. Den Bollerwagen gab es allerdings nicht lange, da das Projekt schnell an Größe gewann.
“Packt mal mit an”, ruft Sandra Lüke (49) von der Ladenfläche nach draußen. Zwei Helfer nehmen ihr die randvollen Kisten ab. Acht Klapptische werden aneinandergereiht aufgestellt. Hinter dem provisorischen Ausgabetresen stapeln sich Müslipackungen, Aufbackbrötchen, Joghurt, Schokolade, Chips, Obst und Gemüse. Verteilt wird erst ab 17 Uhr, doch schon jetzt treffen die ersten Hungrigen ein. Die Lebensmittel sind Spenden eines Rewe-Marktes.
“Ich will Menschen helfen, die einfach nicht genug zum Leben haben”, erklärt Lüke. Vor rund vier Jahren erfuhr sie über Facebook von einer Hilfsaktion für Obdachlose. “Das war aber eine einmalige Sache”, so die Altenpflegerin. Das reichte ihr nicht. “Ich wollte dauerhaft etwas für diese Menschen tun”, sagt sie. So belud sie kurzerhand ihren Bollerwagen mit Kaffee, heißer Brühe und belegten Broten und verteilte die Lebensmittel in Hannover.
“Hallo Chefin”, wird Lüke von einem jungen Mann mit rotem Sweatshirt begrüßt. Die meisten kommen regelmäßig. “Deshalb kenne ich auch fast alle”, sagt die Projekt-Initiatorin. Unter zwei Wartenden entsteht eine lautstarke verbale Auseinandersetzung. Lüke geht dazwischen und schlichtet den Streit. “Der Ton auf der Straße ist rau”, sagt sie. Damit kann sie gut umgehen. Berührungsängste sind ihr fremd. Trotzdem gibt es ein paar Regeln, die beim Bollerwagen-Café gelten. “Wir begegnen uns mit Respekt, hier wird kein Stress gemacht und vor unseren Augen wird kein Alkohol konsumiert”, zählt Lüke auf.
Mittlerweile sind die Tische voll. In einer langen Schlange reihen sich die Wartenden. Wie jede Woche gibt es auch heute eine Suppe. “Eine warme Mahlzeit haben wir immer dabei”, erzählt Lüke. Diese wird in einer Restaurantküche zubereitet. Außerdem werden jede Woche bis zu 240 belegte Brote und bis zu 120 Kuchenstücke verteilt. Wer Probleme beim Ausfüllen eines behördlichen Formulars hat, findet hier ebenfalls Unterstützung. Auch Hygieneartikel, Schlafsäcke und Verbandszeug werden ausgegeben. Niemand bedient sich selbst. Die Helfer reichen die gewünschten Dinge über den Ausgabetresen.
Unter den Hilfesuchenden sind viele Menschen mit Abitur, Ausbildung und Berufserfahrung. Schicksalsschläge wie Unfälle, Krankheit oder Scheidung brachten sie in Schieflage. Lüke betont: “Obdachlosigkeit kann jeden treffen.”
Der Bedarf an Hilfsangeboten ist da. Doch es bedarf auch Unterstützung, die diese Projekte erst möglich macht. Lüke sucht dringend einen neuen Lagerraum in Hannover, um all die Sachspenden und Lebensmittel unterbringen zu können. “Das wäre mein größter Wunsch für die Zukunft des Bollerwagen-Cafés”, sagt sie.