Marine-Inspekteur: Kritische Infrastruktur besser schützen

Berlin (dpa) - Der Inspekteur der Deutschen Marine, Jan Christian Kaack, hält weitere Schritte für den Schutz wichtiger maritimer Infrastruktur gegen Angriffe oder Sabotageakte für nötig. Zugleich plädiert er dafür, die Zusammenarbeit der Behörden in solchen Krisenlagen oder im Spannungsfall genauer zu regeln. «Wir sollten jetzt festlegen, wer was zu tun hat, in welchem Fall. Wir müssen heute wissen, was machen Behörden mit ihren Fahrzeugen wie Tonnenlegern, der Zoll, die Bundespolizei, der Fischereischutz, wenn es knallt. Wir werden ja keine Dorsche zählen», sagte der Vizeadmiral der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Unterdessen hat Deutschland der Nato die Fähigkeit zur Führung von Seestreitkräften in einem regionalen maritimen Hauptquartier für die Ostsee angezeigt. Ein Schreiben des Generalinspekteurs Carsten Breuer dazu liegt seit einigen Tagen beim Stellvertreter des Nato-Oberbefehlshabers Europa. Der dafür vorgesehene Stab führt auch das in der kommenden Woche beginnende Seemanöver «Northern Coasts». Daran nehmen mehr als 3000 Soldaten aus 14 Ländern teil, darunter neben Ostsee-Anrainern auch Italien, Frankreich, Kanada und die USA.

Präsenz verstärkt

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat das Bündnis die Präsenz an seiner Ostflanke und im Baltikum verstärkt. Russland gehört über die Enklave Kaliningrad zu den Anliegern der Ostsee. Diese ist für alle Anrainer ein Versorgungsweg. Auch Leitungen für Energie und Telekommunikation verlaufen dort unter Wasser.

Die russische Seestreitkräfte seien von den Fähigkeiten her mit der Nato «auf Augenhöhe», erklärte der Inspekteur. Er verweist auf Neubauten und hypersonische Waffen. «Die russische Marine wird im Konzert der Teilstreitkräfte gestärkt aus diesem Krieg herausgehen, auch aufgrund der nuklearen Komponente.» Geguckt werde immer auf mögliche anfliegende Flugkörper aus dem Osten, aber einer der wesentlichen russischen Pläne sei es, «mit Nuklear-U-Booten in den Atlantik durchzubrechen und von hinten zu kommen, entweder nach Amerika oder nach Europa».

Russland habe im Unterwasserbereich bei der Kommunikation, Navigation und Wirkung erhebliche Fortschritte gemacht. So habe ein Gegner nun die Möglichkeit, sich dem elektromagnetischen Spektrum an der Oberfläche zu entziehen. «Das heißt, er könnte sowohl mit Überwassereinheiten als auch Unterwassereinheiten nur anhand des Bodenreliefs navigieren. Und das ist schwierig aufzuklären.» Unbemannte oder auch bemannte Systeme könnten unbemerkt bewegt werden.

Nach den Explosionen an den Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 im September 2022 wollen Regierungen und Militärs den Schutz der kritischen Infrastruktur - darunter Fernleitungen für Energie und Daten, aber auch Seehäfen und Kanäle - verstärken. Wer hinter der Zerstörung der Pipelines steckt, ist weiter ungeklärt.

Norwegen hatte unbekannte Drohnen bemerkt

«Am 26. September hab ich einen Anruf bekommen von meiner schwedischen Kollegin mit dem Hinweis darauf, dass Nord Stream 1 und 2 quasi zerstört sind und mit der Bitte, sich darauf einzustellen, ob wir unterstützen können», sagte Kaack. Die Marine habe ein Forschungsschiff und einen Minenjäger mit Minentauchern und Drohnen bereit gehabt. «Wir sind dann zusätzlich noch mal mit den Amerikanern unten gewesen, auf deren Bitte bei einer forensischen Betrachtung und haben da auch eigene Dinge bemerken können», sagte der Vizeadmiral.

Wenige Wochen später hatte die Marine einen weiteren Einsatz, weil Norwegen unbekannte Drohnen bemerkt hatte. Deutschland schickte ein Spezialflugzeug - einen sogenannten Seefernaufklärer - und mehrere Schiffe. Und auch an der wichtigen Erdgasleitung Europipe 1 von Norwegen durch die Nordsee nach Deutschland hat der Betreiber bei einer Kontrolle einen Gegenstand gefunden, in dem 500 Kilo TNT Platz hätten finden können. Minentaucher stellten aber fest, dass es sich um Industrieschrott handelte.

Kaack hält verstärkte Bemühungen um ein übergreifendes Lagebild für nötig. So müsse mit künstlicher Intelligenz nach Anomalien gesucht werden, Auffälligkeiten im Schiffsverkehr. Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr brauchte ein russisches Forschungsschiff, das auch ein kleines U-Boot an Bord hat, für die Strecke von der dänischen Hafenstadt Skagen bis nach Sankt Petersburg 219 statt regulär 4 Tage. «Das Schiff hat sich in Gegenden aufgehalten, die uns alle nicht froh stimmen sollten», sagte der Inspekteur.

Erkenntnisse besser teilen

Kaack - aber auch andere - sehen den Weg darin, dass Militär, Behörden, Forschungsinstitute und die Industrie ihre Erkenntnisse besser teilen. Die Marine habe eigene Sensorik im Wasser liegen, U-Boote und Sonarbojen und Marineflieger. Er spricht von einer «Superzusammenarbeit mit der Bundespolizei See», die jetzt Verbindungsbeamte im maritimen Operationszentrum habe. «Und wir sind uns auch einig, wie das eigentlich laufen müsste. Wie in anderen zivilisierten Ländern, Beispiel Norwegen. Vertreter der verschiedenen maritimen Verbände, der Wirtschaft und der Pipeline-Betreiber haben Vertreter im Operationszentrum der Marine.»

Gemeinsames Lagebild als Ziel

Auch wenn die Marine geheime Daten nicht in den zivilen Bereich geben werde, müsse es ein gemeinsames Lagebild geben. «Ich denke, bei uns wird es aufgrund der Besonderheiten des Föderalismus dazu kommen, dass das Maritime Sicherheitszentrum in Cuxhaven die offenen Daten von Industrie und Instituten sammeln wird. Wir werden darauf Zugriff haben, unsere Daten dazu werfen und in die Analyse geben», sagt er. «Nicht "Mein Förmchen, dein Förmchen", sondern letztendlich geht es um den Schutz Deutschlands und seiner Menschen.»

Abschreckung werde auch erreicht, wenn Taten zugeordnet werden könnten. «Wenn der Gegner weiß, dass wir wissen, dass er da agiert, ist es weniger wahrscheinlich, dass er was tut. Wenn er was tut, dann ist die Frage, wer kann wirken. Und das sind nur wir. Für mich ist das also ein Beifang der Landes- und Bündnisverteidigung. Wenn es knallt, muss ich es eh machen.» Wie gegen Angreifer vorgegangen wird - Kaack spricht vom «Ansatz von Kräften mit Wirkmitteln» - sei noch eine «ganz besondere Frage, der man sich aber stellen muss». Und sie ist nach seiner Einschätzung nicht beantwortet.

Im Juli hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei einem Besuch bei der Cybertruppe der Bundeswehr mehr Klarheit gefordert. «Was wir nicht gebrauchen können, ist, nicht zu wissen, was wir tun dürfen, wenn wir es tun müssen», sagte er.