Corona-Talk bei "dunja hayali": "Blindflug" beim Start ins neue Schuljahr?

Wird es "ein weiteres verlorenes Schuljahr"? Am Donnerstagabend diskutierte Dunja Hayali mit Vertretern aus Bildung und Politik die Wiederöffnung der Schulen nach den Sommerferien.

Nach den Sommerferien soll es wieder mehr oder weniger normalen Präsenzunterricht geben - so war es noch vor wenigen Wochen in zahlreichen Bundesländern vorgesehen. Viele Eltern waren froh, als das zurückliegende Schuljahr mit Homeschooling-Horror geschafft war, und sie waren froh über die Aussicht, dass es so schlimm nicht mehr kommen würde. Inzwischen ist gefühlt aber doch wieder alles anders. Das neue Schuljahr hat in einigen Bundesländern noch gar nicht begonnen, da herrscht in anderen schon wieder der Ausnahmezustand. Die Zahl der Neuinfektionen steigt; eine Schule in Berlin wurde kurz nach dem Schulstart vor wenigen Tagen wieder geschlossen. "Virus-Alarm nach Schul-Neustart", titelte "Bild" mit Bezug auf einen informellen Gipfel im Kanzleramt. Auch bei "dunja hayali" (ZDF) wurde das Thema am Donnerstagabend diskutiert. Die zentrale Frage: Wird es "ein weiteres verlorenes Schuljahr"?

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Natürlich, keine Schule öffnet mehr ohne Hygienekonzept und Desinfektionsmittel am Eingang. Überall wird darüber debattiert, ob und, wenn ja, ab welcher Altersstufe Masken in der Schule Pflicht sein sollen. Aber welche Maßnahmen wie effektiv schützen, ist nach wie vor nicht immer klar - auch, weil hinreichende wissenschaftliche Daten noch nicht vorhanden sind.

Man habe derzeit "keine Expertise" dahingehend, wie gut die Hygienekonzepte tatsächlich sind, erklärte ein Berliner Lehrer zu Beginn der Sendung, und brachte es dann auf den Punkt: Der Schulbetrieb finde auch nach den Sommerferien im "Blindflug" statt. Bei vielen Schülern und Eltern herrsche momentan große Unsicherheit, erklärte auch die Hamburger Lehrerin Gloria Boateng im Studio. Dazu, ein wenig von dieser Unsicherheit zu beseitigen, konnte Dunja Hayalis Polit-Talk zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht gar nicht beitragen. Vielmehr wurde erneut deutlich, wie weit das Bildungsland Deutschland bisweilen den eigenen Ansprüchen hinterherhinkt.

Wer hat das Heft in der Hand - Bund oder Land?

Die Voraussetzungen für digitale Beschulung vor Corona: schlecht. Die Voraussetzungen nach mehreren Monaten Krise inklusive Schulschließung: immer noch unzureichend. Studiogast Gloria Boateng hatte viel Grundsätzliches zu beklagen. Unter anderem, dass man in Deutschland erst dann auf eine Situation wie die gegenwärtige reagiere, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Eine Krise, wie sie durch das Virus ausgelöst wurde, müsse den derzeitigen deutschen Bildungsbetrieb zwangsläufig "umfegen", so die brutale Bestandsaufnahme der Lehrerin.

Die Benachteiligung von Kindern aus sozial schwächeren Familien, der schleppende Ausbau des Breitbandnetzes, die unzureichende Ausbildung der Lehrer im digitalen Segment, die lückenhafte Ausstattung der Schüler mit adäquater Homeschooling-Technik sowie fehlende Test-Kapazitäten an Schulen: Gloria Boateng und auch Norman Heise, Vorsitzender des Landeselternausschusses Berlin, sprachen zahlreiche Probleme konkret an. Die Vertreter der Politik befanden sich sodann schnell im Verteidigungsmodus.

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Man habe zuletzt gezielt Schulungen für Lehrkräfte angeboten, betonte der zugeschaltete saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Zudem wolle man im Saarland "sukzessive alle Schülerinnen und Schüler mit Endgeräten ausstatten". Das klingt gut für Eltern im Saarland - aber was ist mit den anderen Bundesländern? Die Forderung nach mehr zentraler Führung wurde zuletzt immer wieder laut, und so fragte auch Moderatorin Dunja Hayali: Müsste der Bund bei einem so wichtigen Thema wie der Bildung nicht eine stärkere Rolle spielen? Die angesprochene Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), ebenfalls im Studio zu Gast, erklärte diplomatisch-ausweichend, es habe einen "Wert, wenn regional reagiert wird", und sprach sich für "punktuelle" Maßnahmen aus - gleichzeitig bestehe aber natürlich auch eine "nationale Verantwortung".

"Das können wir uns nicht noch einmal leisten"

Ob die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern hinreichend geklärt sind, dahingehend werden viele Eltern, die am Donnerstagabend zusahen, weiterhin ihre Zweifel haben. Klar ist hingegen: Die erneute massenhafte Schließung der Schulen wäre für Deutschland das Worst-Case-Szenario mit Konsequenzen weit über den Schulbetrieb hinaus. Entsprechend angespannt blickt die Nation derzeit auf den Start des neuen Schuljahrs. "Es wird Rückschläge geben", prophezeite Tobias Hans. Auf einzelne Schulschließungen, wie es in Berlin zuletzt schon wieder eine gegeben hat, müsse man sich einstellen.

Allerdings warnt Hans in dem Zusammenhang auch von einer Fehleinschätzung: Die Schule sei, entgegen der weitläufigen Meinung, nicht der Ort, an dem nun die gesamte Gesellschaft geschützt werden müsse. Vielmehr habe umgekehrt die Gesellschaft den "Auftrag, die Bildung zu schützen". Es sei zu früh, jetzt schon die Rückkehr der Fans in die Fußballstadien zu diskutieren oder neue Großveranstaltungen im Konzertbereich zu planen. Im Frühjahr sei viel "auf dem Rücken der Familien" passiert, hier müsse man nun entsprechende Prioritäten setzen und alles dafür tun, um einen möglichst normalen Schulbetrieb zu gewährleisten - im Idealfall ohne Mundschutz ("Ordentlicher Unterricht geht nicht mit Maske"). "Es gibt eine Menge Dinge, die flachgefallen sind", resümiert Hans mit Blick auf die letzten Monate. "Das können wir uns nicht noch einmal leisten."

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