Das sind die wahren Gründe für eine Visa-Freiheit der Türken

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Die EU lockt mit Visafreiheit für die Türkei – stellt aber Bedingungen. Damit hilft sie nicht. Denn es ist Zeit für einen Schlussstrich.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Der Sultan poltert in diesen Tagen besonders laut. Mag sein, dass Recep Tayyip Erdogan ein neues Kopfkissen geschenkt bekam und dieses, noch ungewohnt, zu unruhiger Nacht führt; oder der türkische Präsident findet in seinem Riesenpalast nicht das Schlafgemach. Vielleicht denkt Erdogan auch, dass er nach dem Rücktritt seines – im Vergleich zu ihm – eher gesonnen auftretenden Ministerpräsidenten nun noch zackiger marschieren sollte, nach dem Motto: Der Staat bin ich.

Jedenfalls schimpft der Präsident derzeit besonders laut gegen die EU. Der Hintergrund: EU-Kommission und Europaparlament stellen Bedingungen für die versprochene Visafreiheit für Türken – nämlich eine Abschwächung der Anti-Terror-Gesetze in der Türkei. Die avisierte Visafreiheit ist Teil des so genannten Flüchtlingsdeals, nach dem die Türkei in Griechenland ankommende Geflohene aufnimmt.

Dieses Abkommen hatte von Beginn an einen Geruch von Hinterzimmerrauch, so zynisch ist sein Inhalt. Vielleicht geben sich die Europavertreter deshalb, aus schlechtem Gewissen heraus, plötzlich so mutig in Sachen Menschenrechten. Dabei schaden sie mehr als sie helfen.

Denn Visafreiheit und Anti-Terror-Gesetze sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

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Die Anti-Terror-Gesetze sind tatsächlich so ziemlich die miesesten Paragrafen, die sich Regierende zum Traktieren und Bevormunden ihrer Untertanen ausdenken können. Diese Gesetze vergiften das politische Klima. Sie fordern zum Schweigen auf, wo diskutiert werden müsste. Sie schüren Angst und geben dem willkürlich agierenden Staat einen hübschen Koffer voll mit Folterinstrumenten in die Hand. Die Meinungsfreiheit ist deren erstes Opfer. Mit diesen Gesetzen sind die Türken wirklich bestraft. Und außerhalb des Landes sollte man hirnen, was getan werden könnte, um den Türken zu helfen.

Doch helfen nun die Daumenschrauben aus Brüssel und Straßburg? Natürlich wird Erdogan nicht auf die für ihn kommoden Bestimmungen verzichten, zumal die Visafreiheit seiner Bürger ihm kein Herzensanliegen ist. Die Bürger selbst aber – die werden durch diese Politik Europas doppelt bestraft. Zum einen werden sie von Gesetzen drangsaliert, und zum anderen werden sie deswegen dazu verdonnert weiterhin weniger Freiheit, nämlich Reisefreiheit zu genießen. Das nennt man Doppelmoral.

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Positiv denken wäre jetzt nicht schlecht

Es ist Zeit, in den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei ein neues Kapitel aufzuschlagen. Nicht wegen verzweifelter Seelen, die in kleinen Schlauchbooten auf dem Mittelmeer ihr Leben riskieren und die man sich mit dem Wedeln von Visapapieren für Andere vom Leibe halten will – sondern einfach weil es gerecht wäre: In die Türkei reisen zum Beispiel Deutsche ohne irgendwelche Hindernisse. Warum sollte es nicht andersrum auch möglich sein?

Diese Ungleichbehandlung wirkt umso krasser im Angesicht von drei Millionen Menschen in Deutschland mit türkischen Wurzeln. Sie hemmt den kulturellen Austausch, die Kunst und den Wirtschaftsverkehr. Eigentlich verlieren alle wegen dieser Visaregelungen. Daher sollten sie schleunigst fallen.

Und bevor sich gleich die Unkenrufe regen: Nein, da würden sich keine Horden auf den Weg machen und unseren Sozialstaat gefährden. Für Türken ist Deutschland kein gelobtes Land, sondern eines wie ihres und viele andere Länder auch. Es ist also an der Zeit, nicht Bedingungen an der falschen Stelle zu setzen. Sondern endlich daran zu denken, wie alle mehr voneinander profitieren könnten.

Bilder: dpa

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