Deniz Yücel zu Türkei-Wahl: Bei Erdogan-Sieg wird sich "Dunkelheit über das Land legen"

Journalist Dennis Yücel äußerte sich im Phoenix-Interview zur anstehenden Parlamentswahl in der Türkei. (Bild: Phoenix)
Journalist Dennis Yücel äußerte sich im Phoenix-Interview zur anstehenden Parlamentswahl in der Türkei. (Bild: Phoenix)

Bleibt Recep Tayyip Erdoğan als türkischer Präsident im Amt? Vor den Parlamentswahlen in der Türkei am 14. Mai schätzte Journalist Deniz Yücel nun die Chancen der Opposition ein. Außerdem skizzierte er, wie es bei einer Wiederwahl Erdoğans mit der Türkei weitergehen würde.

Die türkische Polizei greift derzeit hart durch gegen all jene, die nicht auf einer Linie mit der Regierungspolitik von Recep Tayyip Erdoğan liegen. Zu den jüngsten Festnahmen von Journalisten, Menschenrechtlern und Oppositionspolitikern in der Türkei sagte "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel nun im Interview mit dem TV-Sender Phoenix: "Die über 100 Festnahmen im Südosten der Türkei kann man als Zeichen dafür deuten, dass man die Bühne vorbereitet, um eventuell bei der Wahl so nachzuschieben, dass das Ergebnis für Staatspräsident Erdoğan passt."

Angesichts der anstehenden Parlamentswahlen am 14. Mai befürchtete Yücel, wenn Erdoğan "sich auf diese oder jene Weise an der Macht halten sollte, wird sich für lange Zeit Dunkelheit über das Land legen", etwa bei den Grundrechten oder der wirtschaftlichen Situation. Der Journalist prophezeite, viele junge, gut ausgebildete Türken würden bei einer weiteren Amtszeit Erdoğans ihre Heimat verlassen: "Die Türkei wird einen furchtbaren Aderlass erleiden." Vielerorts in der Türkei herrsche die Ansicht, die Wahl sei "der letzte Ausweg vor der Diktatur".

Deniz Yücel räumt Opposition "sehr gute Chancen" auf Wahlerfolg ein

Ein Sieg des amtierenden türkischen Präsidenten sei aber nicht sicher, betonte Yücel. Er räumte der Opposition "sehr gute Chancen" auf einen Wahlerfolg ein und wies auf die lange demokratische Tradition der Türkei hin. Sein Vertrauen in das demokratische Bewusstsein der türkischen Bevölkerung sei ungebrochen, sagte der "Welt"-Korrespondent.

Überhaupt sei es erstaunlich, dass Erdoğan nach der verheerenden Erdbebenkatastrophe, während der Staat "auf kolossale Weise versagt" habe, überhaupt noch zur Wiederwahl antrete: "In einer Demokratie wäre er zurückgetreten." Außerdem fügte der Journalist an: "Dass man es noch immer nicht ausschließen kann, dass Erdogan auf demokratische Wege gewinnt, ist ein Erfolg dieses Regimes. Das ist auch erschreckend."

Zwischen Februar 2017 und Februar 2018 verbrachte Deniz Yücel ein Jahr lang in türkischer Untersuchungshaft. Der Regierungsapparat des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hatte dem deutsch-türkischen Journalisten damals "Terrorpropaganda" vorgeworfen. Einschüchtern ließ sich Yücel davon nicht. Als Experte zu Fragen rund um die Türkei ist der "Welt"-Korrespondent immer wieder gefragt.