Die FDP rockt die Wissenschaft in Deutschland zugrunde

Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes gerät zum Rohrkrepierer

Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bei einer Pressekonferenz in Berlin (Bild: Michael Sohn/Pool via REUTERS)
Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bei einer Pressekonferenz in Berlin (Bild: Michael Sohn/Pool via REUTERS)

Die Bundesbildungsministerin legt einen Entwurf vor – er soll die Befristungen in der Wissenschaft neu regeln. Doch darin steht kaum Neues. Die FDP kann oder will nichts ändern. Und offenbart damit einen Mangel an Verständnis für so ziemlich alles.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es war einmal eine Comic-Figur. Sie sollte wie eine junge Wissenschaftlerin aussehen, also verpassten ihr die Macher strähnige Haare, Brille und Laborkittel – Stichwort „Nerd“. Und ähnlich lustig wie bei der TV-Serie „Big Bang Theory“ erklärte sie, warum es logisch und sinnvoll sei, dass es Arbeitsvertragsbefristungen in der Wissenschaft gibt, das fördere doch die Innovation. Das war zum Lachen und Weinen zugleich.

Denn die Figur entstammte dem Bundesbildungsministerium, man nannte sie Hanna. Und was die Behörde unter Innovation versteht, ist seit vielen, vielen Jahren nur die Verwaltung eines Missstands, der auf dem deutschen Arbeitsmarkt einzigartig ist.

Arbeit im Wissenschaftsstandort Deutschland ist ein Desaster.

81 Prozent der dort Beschäftigten sind befristet tätig. Und dies oft nicht über vier oder fünf Jahre, sondern über ein Jahr, oder ein halbes Jahr. Immer wieder müssen sie um ihr Einkommen bangen – und das auf einem Arbeitsmarkt, der nicht unbedingt viele Alternativen bereithält.

Was ist daran innovativ? Liberale mögen einwenden: Die Anzahl der Jobs in der Wissenschaft sind halt begrenzt. Nicht jede kann Professorin werden. Und da könne nicht ein Jahrgang eine Mehrzahl an Stellen besetzen und damit nachrückenden Generationen die Chancen nehmen, nach dem Motto: Leistung soll sich doch bittschön lohnen.

Tut es aber nicht. Denn die Politik hat für die Wissenschaft einen Flaschenhals geschaffen. Im Vergleich zu den meisten anderen Ländern gibt es an den Hochschulen keinen „Mittelbau“ von Dozenten, die fest angestellt sind und der wichtigen Arbeit nachgehen. Es gibt an den Universitäten für angehende Wissenschaftler nur das Karriereziel „Professor“.

Es ist Mittelalter, Baby

Doch daraus haben die Hochschulen einen Folterkasten gebaut. Im Sinne von Hire and Fire können sie nach Belieben Leute in ein Hamsterrad schicken, sie in einer kurzen Zeit sich abstrampeln und Forschung sowie Einwerben von Drittmitteln zugleich realisieren lassen – und dann doch irgendwann zum Taxifahren entlassen.

All dies regelt ein Monstrum namens Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Es wurde in den Nullerjahren von einer SPD-Bundesbildungsministerin vorangetrieben. Und die Kirsche auf dieser missratenen Sahnetorte war, dass es sogar Anwendung auf Bereiche fand und findet, die mit Universitäten und dem Karriereziel einer Professur nichts zu tun haben: Die sogenannten außeruniversitären Forschungsorganisationen wie Leibniz, Helmholtz oder Max Planck stellen ihre Mitarbeiter genauso befristet an. Der Witz: Im Kommentar zu diesem Gesetz stand zur Begründung, dass diese Befristungen eben für die „Qualifizierungsphase“ dauern sollten. Nur: Gerade an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen heuern Akademiker als wissenschaftliche Mitarbeiter an, nachdem sie fertig qualifiziert sind. Sie sind meist promoviert, landen auf einer Stelle mit genauen Aufgabenbeschreibungen – und können dennoch nicht normal loslegen, weil diese Einrichtungen es durch massives Lobbying schafften, auch unter dieses Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu fallen. So bleibt man hübsch flexibel, als Arbeitgeber. Und dies auf dem Rücken der Wissenschaftler.

Wo gibt’s denn sowas?

Da gibt es keine 35-Stunden-Woche, kein Verbot von Kettenverträgen, stattdessen existiert ein Ausbeutungssystem, das Innovation als Vorwand missbraucht und, gemessen an internationalen wissenschaftlichen Standards, nicht innovativ ist. Zwingt es doch die Leute, ihre wissenschaftliche Energie und Arbeitsleistung auch darauf zu konzentrieren, sich um die Fortsetzung ihrer Bemühungen um Lohn und Brot zu kümmern – sprich: sich umzuschauen, Förderanträge zu schreiben und eben nicht der originären Arbeit nachzugehen. Sowas zerstört Lebensplanungen, belastet Familien und spricht allen vernünftigen Ansätzen Hohn; es sei denn, man ist Fan von jenen Verhältnissen, wie sie Karl Marx beschrieb, als er vom Prekariat der Gelegenheitsarbeiter berichtete, dem Lumpenproletariat.

Nun also machte sich die aktuelle Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger daran, einen Reformentwurf für dieses Gesetz zu erarbeiten. Die Comic-Figur Hanna ist mittlerweile Geschichte, der Gag ging nach hinten los: Eine Protestbewegung hat sich formiert und mobilisiert unter „Ich bin Hanna“ regelmäßig wütende Proteste.

Gestern hat das Ministerium der FDP-Politikerin den Entwurf vorgestellt. Und er springt unter jede Messlatte durch.

Positiv ist, dass längere Mindestlaufzeiten geplant sind, und zwar für Studierende als Hilfskräfte und für Promovierende. Doch dann der Hammer: Hat man sich endlich fertig qualifiziert und ist ein „Doktor“, winkt nur noch die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag über eine Zeitdauer von vier Jahren zu ergattern – bisher sind es sechs Jahre. Die Daumenschrauben werden also noch angezogen. Die FDP könnte jetzt sagen: Besser ein Ende mit Schrecken für diese Leute, und Taxifahrer braucht das Land ja auch. Aber der Entwurf versucht noch nicht einmal, das System dieser Befristungen anzufassen. Nach der Promotion aber braucht es unbefristete Verträge, wie überall normal, oder eine verbindliche Entfristungszusage.

Wir könnten auch anders

Dadurch entstünde kein Flaschenhals. Es würde endlich Gerechtigkeit einkehren. Der Wissenschaftsstandort Deutschland, der seit Jahren ausblutet, würde gestärkt werden. Denn der Trend zeigt seit Jahren an, dass eben nicht mehr die Besten sich diesen Tort antun – oder gleich ins Ausland gehen, wo sie bessere Bedingungen für ihre wissenschaftliche Arbeit vorfinden.

Wissenschaft ist Grundlage. All dies vermag Stark-Watzinger offenbar nicht zu verstehen. Wissenschaft, das scheint für sie ein Management-Tool zu sein. Und daher halluziniert sie einen Markt herbei, der zu Bedingungen stattfindet, wie sie vor 150 Jahren herrschten.

Wollen wir das? Die FDP könnte sich überlegen, ob sie in dieser Regierungskoalition im Bund wenigstens eine Sache hinkriegen will. Nun ist es an SPD und Grünen, das Missgeschick Stark-Watzingers auszubügeln.