Doku über Harry und Meghan: Eine Eskalation in sechs Teilen
London/Santa Barbara (dpa) - Eigentlich ist die Story bekannt: Der Prinz und seine große Liebe wollen den Zwängen des Königshauses entfliehen, brechen mit den Familienbanden und beginnen ein neues, freieres Leben am anderen Ende der Welt.
Ende gut, alles gut? Weit gefehlt. Auch fast drei Jahre nach Harrys und Meghans freiwilligem Rückzug aus der britischen Royal Family ist die Saga noch längst nicht bei ihrem letzten Kapitel angekommen. Nun ist das Drama Stoff für den Streaming-Riesen Netflix geworden.
In sechs Folgen (drei ab 8.12., die drei anderen ab 15.12.) wollen Harry und Meghan in der gleichnamigen Doku-Serie («Harry & Meghan») erzählen, was sie zu ihrem Abgang bewogen hat und wie sie ihn selbst erlebt haben. «Wenn so viel auf dem Spiel steht, ist es nicht sinnvoller, unsere Geschichte von uns selbst zu hören?», fragt Herzogin Meghan (41) in einem Trailer in die Kamera, während Prinz Harry (38) geheimnisvoll andeutet: «Niemand sieht, was hinter verschlossenen Türen passiert.»
«Eine Eskalation des Zerwürfnisses»
Bereits im vergangenen Jahr hatte das Paar in einem aufsehenerregenden Interview mit US-Talkmasterin Oprah Winfrey scharf ausgeteilt und dem Palast Rassismus und mangelnde Unterstützung vorgeworfen. Die von Netflix bislang veröffentlichten Clips machen klar: Beides wird wieder zur Sprache kommen.
Der Monarchie-Experte Craig Prescott von der walisischen Universität Bangor meint dazu im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur: «Es ist schwierig, die bloße Existenz dieser Dokumentation als etwas Anderes als eine Eskalation des Zerwürfnisses zu betrachten.»
Selbst wenn Anschuldigungen aus dem Oprah-Interview nur wiederholt oder weiter ausgeführt würden, bedeute dies, dass das Paar sie gut eineinhalb Jahre nach der Ausstrahlung aufrechterhalte und dem Palast vorwerfe, keine oder kaum Fortschritte gemacht zu haben, merkt Prescott an. Dass das Königshaus erst vor wenigen Tagen mit einem weiteren Rassismus-Skandal kämpfte, weil eine bisherige Hofdame unangemessene Kommentare machte, verschärft die Lage.
Zur spannendsten Frage dürfte sich in diesen Tagen entwickeln, ob der Palast auf die Netflix-Doku reagieren wird. «Das ist die erste große Herausforderung für den König als Kopf der Institution», sagte eine royale Insiderquelle der Zeitung «Telegraph» mit Blick auf Harrys Vater Charles III. «Seine Reaktion wird viel darüber verraten, wie seine Regentschaft funktionieren wird. Wird er modern sein und antworten oder am Mantra "Nicht beschweren, nichts erklären" festhalten?» Auch auf Harry und Meghan und ihre künftige Beziehung zur Familie werde das Einfluss haben.
In der neuen Netflix-Dokuserie kritisiert Prinz Harry den Umgang des Königshauses mit Kolonialismus und Sklaverei kritisiert und dessen Beziehung zu den Boulevardmedien infrage gestellt. «In dieser Familie ist man manchmal mehr Teil des Problems als Teil der Lösung», sagte der 38-Jährige in der dritten Folge der insgesamt sechsteiligen Dokumentation, die ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen in den früheren britischen Kolonien und die Verstrickung der Königsfamilie wirft.
Neuer Streit mit der Familie deutet sich an
In den drei am Donnerstag veröffentlichten Folgen erzählen Harry und Meghan die Geschichte ihrer Beziehung sowie des Bruchs mit der Königsfamilie und Meghans Vater aus ihrer eigenen Perspektive. Angereichert sind die Interviewausschnitte mit privaten Handyaufnahmen aus dem Familienleben, Äußerungen von Weggefährten und Experten sowie TV-Aufnahmen von royalen Events.
Bereits wenige Stunden nach dem Erscheinen deutet sich neuer Streit mit dem Königshaus an: Die britische Nachrichtenagentur PA meldete unter Berufung auf royale Kreise, weder der Palast noch einzelne Mitglieder der Royal Family seien angefragt worden. Ein Hinweis bei Netflix suggeriert das Gegenteil: «Mitglieder der Königlichen Familie wollten die Inhalte dieser Serie nicht kommentieren», heißt es ganz zu Beginn der ersten Folge in weißen Buchstaben auf schwarzem Hintergrund. Aussage steht gegen Aussage - weitere Kommentare gab es zunächst keine.
Vom Boulevard verfolgt
Viel Raum in der Doku bekommt erneut die aus Sicht des Paares unerträgliche Verfolgung durch britische Boulevardmedien, deren Geschichten ihrer Darstellung nach oft reine Erfindungen - und manchmal richtiggehend bösartig - sind.
«Es ist meine Pflicht, die Ausbeutung und Bestechung in unseren Medien aufzudecken», sagt Harry. Er schlägt einen Bogen von den Kindheitserfahrungen mit dem Medienrummel um seine Mutter Prinzessin Diana bis zu seiner Frau Meghan und beklagt «das Leid, das Frauen widerfährt, die in diese Familie einheiraten». Er habe große Angst gehabt, dass sich die Geschichte wiederholen könne. Diana war im Sommer 1997 bei einem tragischen Autounfall auf der Flucht vor Paparazzi ums Leben. Dem Palast wirft er vor, einen schmutzigen Pakt mit den Medien eingegangen zu sein, um die eigene Popularität zu sichern: «Die Presse-Meute der royalen Korrespondenten ist eigentlich nur ein verlängerter PR-Arm der Royal Family», so Harry.
Prinz Harry über einen seiner größten Fehler
Nun führt Harry das Problem weiter aus: Es gebe in der Königsfamilie ein riesiges Maß an unbewussten Vorurteilen, sagt der Sohn von König Charles III. - und zeigt sich dabei auch selbstkritisch. Das Tragen eines Nazi-Kostüms bei einer Party im Jahr 2005 bezeichnete er als «einen der größten Fehler meines Lebens». Der inzwischen 38-Jährige war damals bei einem privaten Kostümfest in einer Uniform mit Hakenkreuz-Armbinde erschienen. Fotos davon hatten rasch in die Medien gefunden und einen Sturm der Empörung ausgelöst. «Ich habe mich so geschämt danach, ich wollte es einfach nur wieder in Ordnung bringen», sagte er. Er habe sich nach dem Vorfall mit dem Chefrabbiner in London getroffen und in Berlin mit Holocaust-Überlebenden.
Auf persönliche Vorwürfe gegen einzelne Royals verzichtet das Paar - zumindest in den ersten drei Folgen. Doch in drei weiteren Folgen, die schon in einer Woche (am 15. Dezember) erscheinen sollen, sowie in Harrys im Januar erscheinender Autobiografie könnte sich dies womöglich noch ändern.
«Harry, do you really hate your family so much?»
Der britische Boulevard, der von dem Paar ebenfalls erneut hart in die Mangel genommen wird, hat sein Urteil bereits gefällt. «Harry, hasst du deine Familie wirklich so sehr?» (Original: «Harry, do you really hate your family so much?»), titelte der «Daily Express» schon, nachdem der erste Trailer für die Doku erschienen war. Die einflussreichen Blätter «Daily Mail» und «Sun» werteten diesen gar als «Kriegserklärung».
Noch vor wenigen Monaten - kurz nach dem Tod von Queen Elizabeth II. - zierte das Paar zusammen mit Harrys älterem Bruder Prinz William und dessen Frau Prinzessin Kate die Titel, wie sie sich zu viert in Windsor Blumen und Trauerbriefe anschauten. Kommentatoren werteten den gemeinsamen Auftritt als Zeichen vorsichtiger Annäherung. Doch damit ist nun vorerst Schluss.
Auch Experte Prescott rechnet damit, dass das mittlerweile in Kalifornien lebende Paar kein Blatt vor den Mund nehmen wird - und merkt kritisch an: «Die Frage, die noch nicht beantwortet wurde, ist: Was wollen sie damit erreichen?»
Fürs Erste bleibt die Vermarktung ihres Schicksals ein gutes Geschäft: Mit Netflix und Spotify unterzeichneten Harry und Meghan Ende 2020 millionenschwere Verträge. Auf die Netflix-Produktion, deren erste Folgen am Donnerstagmorgen (9.01 Uhr MEZ) erscheinen, folgt schon im Januar Harrys Autobiografie. Der Titel «Reserve» (Original: «Spare») deutet die Stoßrichtung bereits an.
VIDEO: Doku verrät: So lernten sich Harry und Meghan wirklich kennen