"Doppelhaushälfte"-Star Milan Peschel: "Habe ein Herz für Leute, die unterschätzt werden"

Schauspieler Milan Peschel im September 2022 beim Deutschen Fernsehpreis: Nun ist der 55-Jährige wieder in seiner Rolle als Brandenburg-Proll Andi in der klugen ZDF-Comedy "Doppelhaushälfte" zu sehen. (Bild: 2022 Getty Images/Andreas Rentz)
Schauspieler Milan Peschel im September 2022 beim Deutschen Fernsehpreis: Nun ist der 55-Jährige wieder in seiner Rolle als Brandenburg-Proll Andi in der klugen ZDF-Comedy "Doppelhaushälfte" zu sehen. (Bild: 2022 Getty Images/Andreas Rentz)

Als Brandenburger Proll Andi, der mit einem politisch korrekten Berliner Pärchen im ZDF-Format "Doppelhaushälfte" neue Nachbarn bekommt, legte Milan Peschel 2022 furios komödiantische Auftritte hin. Nun kommt eine zweite Staffel der Culture Clash-Comedy um divergierende Lebensmodelle und Weltbilder.

Milan Peschel gilt als einer der besten Schauspieler Deutschlands. Der Ur-Berliner brillierte in Komödien seiner Kumpels Matthias Schweighöfer ("Schlussmacher") und Til Schweiger ("Klassentreffen 1.0"), aber auch in Arthaus-Dramen wie Andreas Dresens Meisterwerk "Halt auf freier Strecke". Für die unfassbar intensiv gespielte Rolle als Familienvater, der an einem Gehirntumor stirbt, wurde Milan Peschel 2012 mit dem Deutschen Filmpreis als Bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Am Herzen liegen dem 55-Jährigen, der auch im echten Leben zweifacher Vater ist, jedoch auch kluge Unterhaltungsformate wie "Doppelhaushälfte". Von der gelobten ZDF-Comedyserie aus dem Frühjahr 2022 ist nun eine zweite Staffel mit acht Folgen in der ZDF Mediathek (ab Freitag, 28. April) verfügbar oder linear in Doppelfolgen (dienstags, ab 9. Mai 2023, 21.45 Uhr) bei ZDFneo zu sehen. Ein Gespräch über die Rolle des "unterschätzten Normalos", die Milan Peschel so sehr liebt, und seine Begeisterung für Western, die - wenn es nach ihm geht - definitiv in unsere Zeit gehören.

teleschau: Wo erwischen wir Sie?

Milan Peschel: Ich bin auf dem Land, bei Berlin.

teleschau: Aha, so wie Ihre Serienfigur. Leben Sie dort auch in einer Doppelhaushälfte?

Peschel: Nein, ganz anders. Wir haben hier vor 20 Jahren ein Haus gekauft. Das liegt zwar nicht einsam, aber für sich alleine. Eine richtige Doppelhaushälfte wäre nichts für mich. Ich brauche etwas Raum für meine Familie und mich.

Neue "Doppelhaushälfte"-Folgen: Andi (Milan Peschel) kümmert sich um Nachbars-Baby Frida (Rio Disselhoff). Die neuen Episoden der Culture Clash-Comedy stehen in der ZDF-Mediathek oder man kann sie linear in Doppelfolgen (dienstags, ab 9. Mai, 21.45 Uhr) bei ZDFneo anschauen.  (Bild: ZDF / Jieun Yi)
Neue "Doppelhaushälfte"-Folgen: Andi (Milan Peschel) kümmert sich um Nachbars-Baby Frida (Rio Disselhoff). Die neuen Episoden der Culture Clash-Comedy stehen in der ZDF-Mediathek oder man kann sie linear in Doppelfolgen (dienstags, ab 9. Mai, 21.45 Uhr) bei ZDFneo anschauen. (Bild: ZDF / Jieun Yi)

"Es ist für mich vor allem eine Serie über Kommunikation"

teleschau: Die erste Staffel "Doppelhaushälfte" war sowohl ein Erfolg bei Kritikern als auch beim Publikumserfolg. Waren Sie überrascht davon?

Peschel: Ach, so denke ich gar nicht. Ich mache meine Lust auf einen Stoff nicht davon abhängig, ob ich glaube, dass er gut ankommt. Ich mochte die Serie bereits beim Lesen des Drehbuchs sehr. Vor allem habe ich mich sofort in meine Figur Andi verliebt.

teleschau: "Doppelhaushälfte" wurde anfangs als Serie über Rassismus, Vorurteile und divergierende Lebensmodelle in der Stadt und auf dem Land verkauft. Dadurch, dass sich die Nachbarn schnell gut kennenlernen, funktioniert das aber nicht auf Dauer - oder?

Peschel: Ja und nein. Das Besondere unserer Serie ist, dass wir immer wieder ein bisschen bei null starten. Es gibt keine wirkliche Entwicklung der Figuren, nur unterschiedliche Settings und Herausforderungen. Deshalb ist es für mich vor allem eine Serie über Kommunikation - dadurch, dass zwei sehr unterschiedliche Familien in einer Doppelhaushälfte leben. Sind sie gezwungen, immer wieder miteinander zu kommunizieren. Es geht darum, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen, was wir auf unterschiedlichste Weise tun. Genau das finde ich das Tolle an diesem Format.

teleschau: Ist es eine Serie, die gut in unsere Zeit passt?

Peschel: Ja, finde ich schon. "Doppelhaushälfte" spiegelt unsere Zeit gut wider. Wir machen uns auch immer über uns selbst lustig. Wir zeigen nie nur mit dem Finger auf andere. Kritik kann nur konstruktiv funktionieren, wenn man sich selbst einschließt. Aus einer moralisch höheren Position über andere zu urteilen, hilft nie dabei, die Situation zu verbessern.

Das Ensemble von "Doppelhaushälfte" kehrt mit Staffel zwei zurück (von links):  Tracy Knuppe (Minh-Khai Phan-Thi), Andi Knuppe (Milan Peschel), Rocco Knuppe (Hoang Minh Ha) Theo Kröger (Benito Bause), Zoe Sawadi (Helena Yousefi) und Mari Sawadi (Maryam Zaree). (Bild: ZDF / Johanna Schröder)
Das Ensemble von "Doppelhaushälfte" kehrt mit Staffel zwei zurück (von links): Tracy Knuppe (Minh-Khai Phan-Thi), Andi Knuppe (Milan Peschel), Rocco Knuppe (Hoang Minh Ha) Theo Kröger (Benito Bause), Zoe Sawadi (Helena Yousefi) und Mari Sawadi (Maryam Zaree). (Bild: ZDF / Johanna Schröder)

"Ich habe den Eindruck, dass solche Typen oft übersehen werden"

teleschau: Setzt die zweite Staffel andere Schwerpunkte?

Peschel: Die Kinder werden älter, dafür gibt es ein neues Baby und mit ihm neue Aufgaben zu lösen. Kinder entwickeln sich rasant, wir Alten meistens deutlich langsamer. Natürlich gibt es auch neue Themen. Wir verlassen diesmal öfter das Haus, die Schauplätze werden vielfältiger. Und es gibt Experimente wie eine Folge, die im Metaverse spielt, also einer begehbaren virtuellen Realität. In ihr steuern und sprechen wir Schauspieler unsere Avatare. Dafür kehren wir mit der dritten Staffel wieder ins Haus zurück ...

teleschau: Die dritte Staffel "Doppelhaushälfte" ist also bereits sicher?

Peschel: Ja, die wird gemacht. Das ZDF hat nach der ersten gleich zwei Staffeln bestellt. Die dritte Staffel wird gerade vorbereitet.

teleschau: Seit ihrem Filmdebüt "Netto" sind Sie immer wieder als tragikomischer Kleinbürger zu sehen. Auch Andi passt da gut rein. Liegen Ihnen solche Typen besonders am Herzen oder werden Sie nur immer wieder dafür besetzt, weil Sie so gut in dieser Rolle sind?

Peschel: Es ist eine Mischung aus beidem, denke ich. In jedem Menschen gibt es Geschichten zu entdecken, aber ich habe den Eindruck, dass solche Typen oft übersehen werden. Über Leute wie Andi fällt man schnell ein Urteil, dabei gibt es bei ihnen oft mehr zu entdecken, als man am Anfang glaubt. Ich hatte tatsächlich schon immer ein Herz für solche Leute. Man kann auch viel von ihnen lernen.

Im Bett mit den Knuppes: Tracy (Minh-Khai Phan-Thi) und Andi (Milan Peschel) denken noch mal über Familienplanung nach. (Bild: ZDF / Jieun Yi)
Im Bett mit den Knuppes: Tracy (Minh-Khai Phan-Thi) und Andi (Milan Peschel) denken noch mal über Familienplanung nach. (Bild: ZDF / Jieun Yi)

"Wer viel Angst hat, wird irgendwie hart"

teleschau: Was denn, zum Beispiel?

Peschel: Bei Andi finde ich toll, dass er moralische Grundsätze hat und dennoch öfter mal Fünfe gerade sein lässt. Er ist ein treuer, verlässlicher Mensch. Einer, der seine Frau liebt und zu seiner Familie steht. Natürlich macht Andi ganz viele Fehler, aber wir machen alle Fehler. Er ist auf jeden Fall mehr als das, was wir am Anfang von ihm zu wissen glauben. Ich habe ein Herz für Leute, die unterschätzt werden. Für Menschen, die schnell in einer Schublade stecken. Ich mag es einfach, wenn man ein bisschen genauer hinguckt.

teleschau: Wie stark ist Ihr Hang zu sogenannten kleinen Leuten?

Peschel: Ach, ich mag Begriffe wie Kleinbürger oder kleine Leute eigentlich nicht. Aber natürlich weiß ich, was gemeint ist. Ich finde es auf jeden Fall wichtig, dem Volk aufs Maul zu schauen, wie man so schön sagt. Dabei kann man eine Menge lernen. Vor allem, wenn man sich in einer Kunstblase bewegt. Da verliert man schnell den Blick für die Realität.

teleschau: Sie haben die "Doppelhaushälfte"-Folge angesprochen, in der Sie nur als Avatar zu sehen sind. Haben Sie Angst, dass Sie als Schauspieler irgendwann mal durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden?

Peschel: Wenn es so kommt, dann ist es so. Ich glaube aber nicht, dass es eine wirkliche Alternative zur Schauspielerei geben wird. Ich habe eigentlich keine Angst. Überhaupt ist Angst ein schlechter Ratgeber im Leben. Man sollte versuchen, so wenig wie möglich aus Angst heraus zu tun. Wer viel Angst hat, wird irgendwie hart. Und das ist etwas, was ich unbedingt vermeiden will.

Andi (Milan Peschel) und Nachbarin Mari (Maryam Zaree) haben sich für ein feines Abendessen schick gemacht. (Bild: ZDF / Jieun Yi)
Andi (Milan Peschel) und Nachbarin Mari (Maryam Zaree) haben sich für ein feines Abendessen schick gemacht. (Bild: ZDF / Jieun Yi)

"Western sind mit die archaischste Kunstform, die wir haben"

teleschau: Sie lieben nicht nur die kleinen Leute, sondern die Komödie an sich. Hat sich der deutsche Humor über die letzten Jahre in eine gute Richtung entwickelt?

Peschel: Dazu kann ich gar nichts sagen, weil ich kein Beobachter der deutschen Humorszene bin. Auch wenn mir bewusst ist, dass ich deutschen Komödien viel zu verdanken habe, weil ich darin gespielt habe und dadurch bekannt geworden bin. Doch eigentlich schaue ich mir ganz wenig an - weil mir meine Zeit zu schade ist. Momentan gucke ich viele alte Western, weil sie mich gerade interessieren. Meine Komödien-Sozialisation ist schon eher deutsch - aber sie liegt lange zurück. Ich bin da eher bei Ernst Lubitsch und Billy Wilder. Natürlich auch bei Woody Allen, den Marx Brothers und Louis de Funès.

teleschau: Ich bin gerade beim Western hängengeblieben. Der ist als Genre gerade wieder ziemlich angesagt. Was finden Sie am Western interessant?

Peschel: Ich arbeite an einem Theaterstück, das im kommenden Jahr in Schwerin zu sehen sein wird. Es befasst sich unter anderem mit dem Phänomen Western. Ich finde, vor allem in den alten amerikanischen Western aus den 50er- und 60er-Jahren von John Ford und Konsorten, dass die Filme etwas wunderbar Parabelhaftes haben. Western sind mit die archaischste Kunstform, die wir haben. Ich mag das Einfache und Klare. Geschichten mit einer eindeutigen Moral.

teleschau: Also eigentlich genau das Gegenteil von "Doppelhaushälfte", wo alles von verschiedenen Seiten betrachtet wird?

Peschel: Ja und nein. Auch bei uns ist am Ende fast jede Figur auf sich selbst zurückgeworfen, so wie beim Western. Sie hinterfragen die eigene Meinung und Haltung, die eigenen Vorurteile. Insofern sind auch das moralische Geschichten. Was uns vom Western unterscheidet, ist, dass wir eine Komödie sind und unsere Landschaft weniger grandios aussieht (lacht).

Andi (Milan Peschel, links) begleitet seinen Sohn Rocco (Hoang Minh Ha) zu seinem Bewerbungsgespräch. (Bild: ZDF / Jieun Yi)
Andi (Milan Peschel, links) begleitet seinen Sohn Rocco (Hoang Minh Ha) zu seinem Bewerbungsgespräch. (Bild: ZDF / Jieun Yi)