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Drehorgel-Skandal in Deutschlands Fußgängerzonen

Jeder kennt die munteren Kurbler in den Fußgängerzonen: Mit ihrer Drehorgel beglücken oder nerven sie Passanten und Verkäufer mit altbekannten Melodien. Doch: Immer mehr Drehorgelspieler bieten gar keine handgemachte Musik mehr - sondern setzen auf MP3-Attrappen. Das ruft Empörung hervor.

Immer die gleiche Leier. Seit zwölf Jahren stehen Johann* und seine Drehorgel Tag für Tag in einer schwäbischen Fußgängerzone, ob Sonnenschein oder Regenschauer. Das Instrument mit dem kleinen Plüschäffchen hat er von seinem Vater geerbt. Alles mechanisch betrieben – alles noch in Handarbeit.

Aber wie so viele Andere wird auch Johanns Gewerbe von der unvermeidlichen Technologisierung überschattet. Immer mehr Leierkästen sind nur noch Attrappen. Ursprünglich funktionierten sie mit Luft, der Handkurbel und Orgelpfeifen. Aber so mancher pfeift auf die Pfeifen und spielt seine Musik ganz bequem über den MP3-Player ab.

In Speyer kam letzte Woche der Club Deutscher Drehorgelfreunde (CDD) zusammen. Zum Jahrestreffen – und zum Krisenstab. Können sie ihr Gewerbe noch retten? Das Abspielen über den MP3-Player bietet klare Vorteile: Normale Leierkästen sind oft mit Mikrochips ausgestattet, auf denen bis zu 1000 Lieder gespeichert werden können. Da ist Platz für Klassik von Johann Sebastian Bach bis Schlagerhits von Andrea Berg. MP3-Player aber bieten noch weitaus mehr Speicherkapazitäten.

„Eine Unverschämtheit, dass die sich Drehorgelspieler nennen“

Während der Mikrochip die Drehorgel-Ventile noch ganz normal steuert, indem er Luft für die Pfeifen freigibt, produziert ein MP3-Player allerdings vollkommen drehorgel-untypische Musik. Eine Frechheit, finden die Orgelfreunde – aber vielleicht ist es auch ein Kostenfaktor. Eine traditionelle Drehorgel kostet zwischen 3000 und 30.000 Euro. Eine Attrappe mit iPod-Anschluss und Lautsprechern gibt es schon für weitaus weniger Geld. Durch günstigere Leierkästen könnte zumindest das Nachwuchsproblem der Straßen-Musikanten angegangen werden. Aber ist das noch wahre Drehorgel-Kunst? Die Mitglieder der CDD sind sich einig: auf gar keinen Fall.

„Eine Unverschämtheit, dass die sich Drehorgelspieler nennen“, findet auch Johann, in der schwäbischen Fußgängerzone. „Die sind eine Schande für meinen Beruf.“ Der alte Dackel zu seiner Seite pflichtet ihm mit treuen Augen bei. Dann spielt Johann noch einmal Greensleeves – mit ganz viel Herz und klassisch von Hand.

*Name geändert

Symbolbild: Thinkstock