Echtes Racing ist es nicht

Tradition ist die Illusion der Dauerhaftigkeit, hat Woody Allen einmal gesagt – wer glaubt, eine Formel 1 ohne Monaco im Kalender ist undenkbar, erliegt dieser Illusion.

Der Grand Prix im Fürstentum ist schon lange ein Anachronismus. Mit eigenem Charme, zweifellos, aber irgendwann fängt auch an einem Palast der Putz mal an zu bröckeln, denn nichts ist für die Ewigkeit.

Damit herzlich willkommen, liebe F1-Fans, zu einer Diskussion, die Jahr für Jahr nach Vollzug des Rennens zwischen Casino und Rascasse auflebt.

Dieser Mini-Wurm von 3,337 km mit 19 Kurven, der seit 1929 immer wieder auf- und abgebaut wird auf normalen Verkehrsstraßen, kann aufgrund der baulichen Gegebenheiten nicht verändert werden. Die modernen F1-Boliden haben in den zurückliegenden Jahren aber an Breite zugelegt, passen kaum mehr durch das Monaco-Nadelöhr.

Dazu gibt es so gut wie keine Auslaufzonen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit ist gering, das Risiko ist dennoch erheblich, wie der Crash zwischen Kevin Magnussen und Sergio Pérez zeigt.

Red Bull muss sich weiterentwickeln

Für mich ein Rennunfall. Magnussen sticht zu optimistisch in eine Lücke, die nicht wirklich da ist. Pérez zieht so weit rechts rüber wie kein anderer, weil er die Attacke von Magnussen im Außenspiegel sieht. Er weiß, dass Magnussen da ist. Die Onboard-Bilder belegen das.

Nicht gut für das Image des Dänen, der in dieser Saison schon mehrfach sein Pistenrowdy- und Rüpelgen ausgelebt hat. Er geht wieder ein viel zu großes Risiko ein. Nicht gut für die Kasse von Red Bull, weil der Totalschaden am Wagen des Mexikaners in Zeiten von Budgetlimits noch schwer ins Gewicht fallen kann.

Die vergangenen Rennen haben klar gezeigt, dass sich die Bullen dringend weiterentwickeln müssen. Gerade auf welligen Kursen haben sie gehörige Set-Up-Probleme. Ferrari und McLaren sind der Horner-Truppe deutlich dichter auf den Fersen.

Formel 1: Zoff zwischen Alpine-Fahrer

Es ist ein heftiger Einschlag, weil Pérez nirgendwo hinfliegen oder segeln kann. Will man das nicht sehen, darf auch nicht mehr in Singapur, Las Vegas, Melbourne oder Baku gefahren werden. Stadtkurse haben ihren eigenen Reiz. Aber es ist immer wieder ein Ritt auf der Rasierklinge.

Vor der Tunneleinfahrt verhindert nur eine gewaltige Portion Glück, dass Ocon sich nicht überschlägt bei seiner eher sinnfreien Attacke gegen Teamkollege Pierre Gasly. Alpine-Teamchef Bruno Famin kündigt drastische Maßnahmen an - was immer das heißen soll. Auch wenn man sich gegenseitig nicht leiden kann - so darf man mit einem Teamkollegen nicht umgehen, wie Esteban Ocon das mit Gasly getan hat.

Die Rotflaggenphase killt die Möglichkeit für Reifenstrategien an der Spitze. Auch Charles Leclerc als Führender macht den Wechsel von Medium auf Hart, mit denen er durchfahren kann - was er dann auch fehlerfrei macht. Es ist ein langweiliger Konvoi-Run nach Wiederfreigabe. Wie so oft in Monaco. Echtes Racing ist es nicht wirklich.

Monaco-Rennen wird zum Asphalt-Schach

Im Gegensatz zu Monaco kann auf den anderen genannten Stadt-Kursen überholt werden. Im Fürstentum am Mittelmeer ist das nur dann möglich, wenn der Attackierte einen erheblichen Fehler macht. In der Königsklasse eine geringe Wahrscheinlichkeit. Sich breitmachen können auf diesem Niveau alle.

Für die Jäger ist das Frust pur - entsprechend waren die Aussagen unter anderem von Max Verstappen nach dem Rennen. Die diesjährige Ausgabe ist ein Bummelrennen - Asphalt-Schach -, weil die an der Spitze ihre Reifen schonen bis zum Gehtnichtmehr.

Und trotzdem bringt dieser Kurs die Fahrer ans Limit. Denn in Monaco ist in jeder Sekunde hundertprozentige Konzentration gefragt. Beim kleinsten Fehler geht‘s in die Streckenbegrenzungen oder in einen Notausgang, und das Rennen ist damit dahin.

Der Leitplanken-Dötzer von Stroll am Hafen mit folgendem Reifenschaden zeigt das deutlich. Über eine Grand-Prix-Distanz hinweg ist das eine äußerst anstrengende Challenge.

WM-Zweikampf zwischen Verstappen und Leclerc

Auch deshalb wiegt ein Sieg im Fürstentum schwer. Jeder will hier wenigstens einmal in seiner Karriere gewinnen. Es ist prestigeträchtig, wie kaum ein anderes Rennen. Eben ein echter Klassiker.

Allemal für den Monegassen Leclerc, der zuvor bei seinem Heim-GP immer wieder gestrauchelt ist, zweimal von der Pole aus nicht gewinnen konnte. Diesmal läuft alles wie geschmiert. Euphorische Heimfans, Emotionen pur. Inklusive Tränen von Leclerc schon in den letzten zwei Runden und nach der Zieldurchfahrt, die zeigen, wie wichtig ihm dieser Tag ist.

Ein solcher Sieg macht die Schultern breiter, kann ein echter Brustlöser werden. Für Leclerc vielleicht der Schlüssel für eine echte Attacke Richtung WM-Titel. Chancen nutzen, wenn die sich bieten, ist dafür eine notwendige Qualität, die Leclerc diesmal zeigt.

Schlägt Red Bull zurück?

Red Bull hat gerade einmal acht Punkte durch Platz sechs für Verstappen geholt. Ferrari sackt satte 40 Punkte ein, McLaren 30. Was heißt das für die kommenden Wochen und Monate?

Monaco bietet keine Möglichkeit, die wahre Leistungsfähigkeit der einzelnen Teams einzuschätzen. Das Qualifying ist das eigentliche Rennen im Fürstentum aus den genannten Gründen. Ein kleiner Fehler, ein Set-Up- oder Technikproblem am Samstag - schon ist der Sonntag gelaufen.

Ob die Verantwortlichen von Red Bull zunehmend Angstschweiß-Ausbrüche zu befürchten haben, wird der kommende Grand Prix in Montreal zeigen. Die aktuelle Tendenz habe ich bereits in meiner Kolumne zu Imola beschrieben. Kanada wird zeigen, ob sie anhält.

Bis dahin, bleiben Sie gesund und PEDAL TO THE METAL

Ihr Peter Kohl