Eine dunkle Wolke hängt überm ESC, die so schnell nicht vergehen will

Motto des European Song Contest war: “United by Music” – Im Falle einer Sängerin aber galt das nicht

Eden Golan, representing Israel, performs
Eden Golan trat mit dem Song "Hurricane" für Israel an (Bild: REUTERS/Leonhard Foeger)

Der ESC ist vorüber, mit einem tollen Sieger. Aber was ist mit diesem faden Beigeschmack? Der Event scheiterte am eigentlich Wichtigsten: Das Menschliche blieb im Umgang mit der Vertreterin Israels auf der Strecke.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Gewisse Dinge muss man erstmal hinkriegen. Als die israelische Sängerin Eden Golan es ins Finale des ESC schaffte, war sich mancher Mitkünstler unschlüssig: Wie soll ich das kommentieren?

Die normale Reaktion wäre gewesen: Man freut sich mit ihr. Das Motto war ja „United by Music”, da gönnt man dem Nächsten doch eine Menge. Stattdessen die Reaktion der griechischen Kandidatin Marina Satti, als Golan bei der Pressekonferenz sprach: demonstratives Gähnen. Oder die irische Kandidatin Bambie Thug, die reagierte so: Sie habe geweint, gab sie zum Besten, als sie vom Finaleinzug der Israelin erfahren habe.

Was denn nun, gähnen oder weinen? Und dann war da noch Nemo, der strahlende Champion aus der Schweiz, der mit seinem Song für das Normale im Non-Binären alles Engstirnige und Ausschließende wegwirbelte, aber es dennoch schaffte, sich einer Boykottforderung gegenüber Golan anzuschließen – wie kriegt man das hin?

Es ist doch Krieg, würden sie entgegnen. Ein mieser Krieg, gegen den man etwas unternehmen muss. Das stimmt. Aber DAS eben nicht. Klar, Golan ist Vertreterin Israels, und dessen Regierung kann nicht vom Rest des Landes getrennt werden, als würden in Tel Aviv Marsianer regieren. Die israelischen Streitkräfte sind echte Volkskräfte, die Gesellschaft ist da mit drin – und in Gaza kämpfen diese Soldaten einen unbarmherzigen Kampf gegen Zivilisten, die sie entweder töten, verletzen oder mal hierhin, mal dorthin scheuchen. Dennoch ist der Umgang mit Golan beim ESC in Malmö unwürdig gewesen.

Wie beherrscht man sein Herz, um nicht auszuflippen, wenn eine Künstlerkollegin Morddrohungen erhält? Wenn vor ihrem Hotel wütende Demos aufmarschieren? Wenn sie bei ihren Proben von den eigenen Leuten im Team ausgebuht wird, um zu lernen, wie man echten Buhrufen standhält? Was denken Nemo & Co. bei all den Rücken, die das Publikum Golan bei ihrem Auftritt zeigten, die Pfiffe? Fanden sie das notwendig?

Marina Satti representing Greece rehearses ahead of the grand final of the 2024 Eurovision Song Contest, in Malmo, Sweden, May 10, 2024. REUTERS/Leonhard Foeger
Die griechische ESC-Teilnehmerin Marina Satti zeigte der israelischen Teilnehmerin keinen Respekt (Bild: REUTERS/Leonhard Foeger)

Golan ist nicht mit einem Panzer nach Malmö gefahren. Ihr Lied handelte ursprünglich vom 7. Oktober 2023, als Hamas-Terroristen aus Gaza heraus israelische Zivilisten angriffen, Babys töteten, Jugendliche bei einem Musik-Festival töteten, Omas töteten, welche den Holocaust der deutschen Nazis überlebt hatten. Es war schon Hohn genug, dass die Veranstalter des ESC sie zwangen, den Song dreimal umzuschreiben, bis er ihnen passte, von wegen unpolitisch und so. Aber der Umgang dann mit Golan beim ESC, der war dann komplett unpolitisch?

Die Künstler und die Veranstalter zeigten eine Doppelmoral zum Davonlaufen. Sie meinten, trennen zu können: zwischen dem Mensch Golan und dem Land, aus dem sie kommt. Aber das passt zusammen, und das wollten sie nicht sehen.

Es ist ein Land, in dem viele Bürger die Reaktionen von Malmö bestens kennen, es ist tradiert von den Erfahrungen, die ihre Eltern, Großeltern und auch deren Ahnen seit Jahrhunderten machten: dass man sie ausschließt, nur weil sie Juden sind. Dass man ihnen mit einer Kälte begegnet, weil … nun ja, wenigstens hörte man beim ESC keine Gruselgeschichten von wegen vergifteter Brunnen und verspeister Kleinkinder aus dem Mittelalter.

Dieses historische Bewusstsein drückten die Leute rund um den ESC einfach weg. Das ist zumindest geschichtsvergessen. Denn der Druck auf Israel wegen seines schlimmen Vorgehens in Gaza muss anders aussehen – wer sich eines Boykotts bedient wie seinerzeit gegen die Apartheid Südafrikas, landet automatisch beim „Kauft nicht bei Juden“ der deutschen Dreißiger. Das lässt sich nicht verhindern, da gibt es keine Ausfahrt. Israel ist auf den Trümmern des europäischen Hasses auf seine Juden gebaut. Heute erreicht man beim Land nur etwas, wenn die eigene Kommunikation nicht auf Hass gebaut ist, denn dies führt nur zu Verhärtungen. Der Druck muss also her, und zwar gegen die israelische Regierung, aber nicht gegen eine Sängerin namens Eden Golan.

Nemo representing Switzerland celebrates after winning during the Grand Final of the 2024 Eurovision Song Contest, in Malmo, Sweden, May 12, 2024. REUTERS/Leonhard Foeger
Nemo gewann den ESC für die Schweiz (Bild: REUTERS/Leonhard Foeger)

Aber warum denn, werden nun Einige einwenden. Russland wurde doch auch ausgeschlossen! Genau dieser Vergleich verdeutlicht den Unterschied. Russland wurde nicht von ukrainischen Terroristen angegriffen, sondern begann einen Angriffskrieg. Israel antwortete auf die Attacken der Hamas. Und der ESC ist eine Veranstaltung der Rundfunkanstalten. Der russische Staatsender ist voll auf der Linie des Kremls, er bringt Propaganda von morgens bis abends. Der israelische Sender, der den ESC mitorganisiert, ist hingegen unabhängig und zuweilen auch regierungskritisch. Wer das nicht sieht, will nicht hinschauen.

Und das macht den ESC dieses Jahres schmerzhaft. Es wirft auch einen Schatten auf den Sieg Nemos. Solange er sich nicht mit Golan ausgesprochen hat, solange er nicht nachträglich die Solidarität mit ihr zeigt, die er ihr in Malmö verweigerte, wird sein Sieg in einem großen Schatten stehen.