"Es werden auch einzelne Arbeitsplätze verloren gehen": Wirtschaftstalk bei "Maybrit Illner"
Die deutsche Wirtschaft stockt, doch die Ampelregierung zeigt sich optimistisch. Wie kann das sein? Und wie kommt das Land aus der momentanen Talfahrt? Darüber sprach Maybrit Illner in ihrer ersten Sendung nach der Sommerpause im ZDF.
"In allen Industrieländern geht es voran, nur in Deutschland nicht mehr", bilanzierte Maybrit Illner zu Beginn der nach ihr benannten ZDF-Talkshow am Donnerstagabend - der ersten Ausgabe nach der Sommerpause. Die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aber, so suggerierte zumindest der erste Einspieler, scheint zufrieden. Eine Einzelmeinung?
"Natürlich können wir uns gerade nicht zufriedengeben", räumte SPD-Fraktionsvize Verena Hubertz ein. Sie fordert: "Wir müssen auch mal an die strukturellen Probleme dieses Landes ran." Dafür müssten Entscheidungen schneller getroffen und Bürokratie abgebaut werden.
Doch warum leidet ausgerechnet Deutschland unter einer anhaltenden Wirtschaftsflaute? "Wir haben eben eine sehr energieintensive Industrie", erklärte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, "das hat uns starkgemacht". Dies führe nun aber zu großen "Transformationsherausforderungen". Dem stimmte auch der Ökonom Marcel Fratzscher zu, führte allerdings noch ein weiteres Argument ins Feld: "Es gibt kaum ein Industrieland von der Größe [wie Deutschland], das so sehr von Exporten abhängt." Gleichzeitig aber laufe die Weltwirtschaft derzeit nicht rund. Hinzukämen Inflation und Konsumschwäche.
Deutschland sei ein Opfer des eigenen Erfolgs des vergangenen Jahrzehnts, kritisierte der 52-Jährige weiter: "Viele Transformationen, beispielsweise in der Automobilbranche, wurden einfach verschlafen." Er fuhr fort: "Ich finde es interessant, dass wir sehr gut daran sind, uns schlecht zu reden." Wirtschaft habe viel mit Psychologie und Vertrauen zu tun: "Unternehmerinnen und Unternehmer investieren nicht, wenn sie nicht ein gewisses Grundvertrauen haben."
Claus Ruhe Madsen: "Wir sind so versunken in German Angst"
Ist Deutschland also wieder "der kranke Mann Europas", wie es die britische Zeitung "The Economist" kürzlich titelte? "Ich würde nicht vom kranken, sondern vom dicken Mann sprechen", antwortete Claus Ruhe Madsen (CDU), Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, auf Illners Frage. Deutschland sei von Bürokratie überladen: "In Deutschland ist es so, dass es zu jedem Vorhaben ein Gesetz gibt, einen Paragrafen, eine Möglichkeit, um etwas zu verhindern", kritisierte der gebürtige Däne: "Wir sind viel zu träge und zu langsam geworden." Es fehle der Mut für neue Ideen: "Wir sind so versunken in German Angst, anstatt die Chancen zu erkennen." Vieles sei bei allen Herausforderungen ein mentales Problem. Die Unternehmerinnen und Unternehmer hingegen seien im Grunde deutlich optimistischer.
Auch der Strompreis für Unternehmen stieß in der Talkrunde auf Kritik: In Frankreich würden Unternehmen ein Drittel des deutschen Preises zahlen, hieß es in einem Einspieler des ZDF. In den USA sei es ein Viertel, in China ein Siebtel. "Warum müssen wir denn alles künstlich verteuern?", fragte Madsen. Und warum würden die Ursachen überhaupt nicht mehr diskutiert?
"Wir bräuchten dringend eine mutige Steuerreform"
Wichtiger als kurzfristige Investitionen wie den Industriestrompreis seien "strukturelle Reformen, die die Probleme an der Wurzel packen", argumentierte Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbandes "Die Familienunternehmer": "Beispielsweise sagen meine Arbeitnehmer, dass sich Arbeit für sie viel zu wenig lohnt. Sie müssten viel mehr Netto vom Brutto auf dem Konto haben für die ganze Anstrengung." Sie forderte: "Wir bräuchten dringend eine mutige Steuerreform für Arbeitnehmer, aber auch für Arbeitgeber, damit sie wieder den Mut haben, in den Standort zu investieren." Auch bräuchte es besser Bedingungen für Arbeitskräfte aus dem Ausland.
Im Hinblick auf den geplanten Industriestrompreis sprach Ostermann von einer "ganz krassen Wettbewerbsverzerrung". Immerhin, so fasste Illner nach einem entsprechenden Einspieler zusammen, kämen die Investitionen nur rund 2.000 Branchenriesen von insgesamt rund 40.000 produzierenden Unternehmen zugute. Warum? "Wir müssen den Unternehmen eine Brücke bauen, damit sie nicht abwandern", argumentierte Hubertz. Doch natürlich müsse es auch Entlastungen für klein- und mittelständige Unternehmen geben. Einen konkreten Plan blieb sie schuldig.
"Ja, es werden auch einzelne Arbeitsplätze verloren gehen"
Hubertz' Argument, dass durch den geplanten Industriestrompreis wichtige Unternehmen in Deutschland gehalten würden, ließen weder Marcel Fratzscher noch Veronika Grimm so einfach gelten: "Das Ziel einer Wirtschaftspolitik oder von Unternehmen kann es nicht sein, die Produktion per se in Deutschland zu halten oder zu zementieren", sagte Fratzscher. Ziel müsse viel mehr sein, Arbeitsplätze und Innovationsfähigkeit zu erhalten: "Wir müssen weg von diesem Denken, dass wir alles einheimisch produzieren müssen. Unternehmen sind erfolgreich, wenn sie sich global aufstellen." Transformation bedeute für ihn, Veränderungen zuzulassen: "Ja, es werden auch einzelne Arbeitsplätze verloren gehen. Aber wenn wir langfristig Arbeitsplätze sichern, müssen wir kurzfristig diese Veränderungen zulassen."