Erdoğan oder Kılıçdaroğlu? So haben die Türken in Europa und Deutschland gewählt

Erdoğan oder Kılıçdaroğlu? So haben die Türken in Europa und Deutschland gewählt

Die türkischen Präsidentschaftswahlen gehen in die Stichwahl am 28. Mai.

Oppositionskandidat Kemal Kılıçdaroğlu kam auf rund 45 % der Stimmen, Recep Tayyip Erdoğan erhielt 49 % der Stimmen - und blieb damit 1 % unter der für einen Sieg erforderlichen Schwelle.

Mehr als 5 Millionen Menschen türkischer Abstammung leben in Europa, und ihre Stimmen hatten Einfluss auf das Ergebnis, wobei jeder Politiker seine eigenen regionalen Hochburgen hat.

Etwa 3,4 Millionen Türk:innen sind im Ausland als Wähler:innen registriert, 64 Millionen in der Türkei.

An einigen Orten - wie in den baltischen Staaten und in Weißrussland - wurden erstmals Wahllokale für türkische Bürger:innen eröffnet, was die politischen Rivalitäten in neue Länder trug.

"Es gab nicht viele Überraschungen bei der Diaspora-Wahl", sagte Paul Levin, Direktor des Instituts für Türkeistudien der Universität Stockholm, gegenüber Euronews. "Erdogan blieb in Deutschland und Frankreich stark, wie auch schon 2018."

In Deutschland, der Heimat der größten türkischen Diaspora, wurden mehr als 700.000 Stimmen abgegeben, von denen etwa 66 % an Erdogan (462.000), 33 % an Kılıçdaroğlu (230.000) und 1 % an Sinan Oğan, den Vorsitzenden der ultranationalistischen MHP (9.000) gingen.

"Türkischstämmige Deutsche wählen bei deutschen Wahlen weiterhin links, aber zu Hause konservativ", so Levin.

Die Erdogan-Lobby in Deutschland war seit zwei Jahren im Wahlkampfmodus, die anhaltenden Wahlkampfveranstaltungen des AKP-Lobbyvereins UID (Union Internationaler Demokraten) haben gefruchtet.

„Dass Erdogan wieder in Deutschland 65 Prozent der abgegebenen Stimmen gewinnen konnte, ist keine Überraschung. Er hat sehr früh mit seinem Wahlkampf losgelegt und einen sehr intensiven und effektiven Wahlkampf geführt, auch wenn die deutsche Öffentlichkeit das kaum wahrgenommen hat. Daher überrascht mich das sehr gute Ergebnis von Erdogan nicht“, sagte der Vorsitzende des Landesverbands der Liberalen Vielfalt Berlin, Eren Güvercin der FR.de. Vor allem die großen Moscheeverbände Ditib und IGMG (Milli Görüs) hätten dabei eine große Rolle gespielt, meinte er.

„Erdogan kann sich bei Ditib bedanken für den Zugang in die Gemeinden und dass er so frei Wahlkampf in zahlreichen Moscheen der Ditib führen konnte“, so Güvercin. Auch der Nationalismus bei Auslandstürken spiele eine große Rolle bei den Wahlen in der Türkei.

„Wir müssen nüchtern festhalten, dass der völkische Nationalismus eines Erdogan, den er auch religiös legitimiert, in breiten Teilen der türkischen Wählerschaft in Deutschland Anklang findet.“

In Frankreich, das die zweitgrößte türkische Diaspora hat, erhielt Erdoğan mit 64 % ebenfalls den Löwenanteil der Stimmen. Anfang des Monats kam es in Frankreich zu Schlägereien zwischen Türken in Wahllokalen, wobei die Polizei Tränengas einsetzte, um Gewalt zu verhindern.

"Im Großen und Ganzen schneidet Erdogan bei den ausländischen Wählern gut ab, was daher für ihn wichtig bleibt, besonders bei knappen Wahlen", sagte Levin gegenüber Euronews.

Die Ergebnisse in ganz Europa waren jedoch polarisiert, wobei Kılıçdaroğlu in Großbritannien, Süd- und Osteuropa, Finnland, Schweden und auf dem Balkan dominierte.

Der CHP-Vorsitzende erhielt 80 % der Stimmen in Litauen, wo eine kleine Gemeinschaft von Türken zum ersten Mal innerhalb des Landes ihre Stimme abgab.

Die türkischen Einwanderer in Litauen sind in der Regel jünger, haben ein Hochschulstudium absolviert und unterstützen die Opposition stärker als die etablierteren türkischen Gemeinschaften in anderen Teilen des europäischen Festlands. Viele unterstützen jedoch immer noch Erdoğan.

In einem Gespräch mit Euronews sagte Onur Can Varoğlu, ein Beobachter der Wahl, letzte Woche:

Die türkische Politik ist wie Fußball, man wird mit seiner Mannschaft geboren und unterstützt sie, egal was passiert."

"Es spielt keine Rolle, ob man nach Europa kommt. Ob man einen nationalistischen, islamistischen oder einen eher pro-europäischen Migrationshintergrund hat, man bringt diese Werte mit", sagte er und deutete an, dass familiäre Werte letztlich ausschlaggebend für das Wahlverhalten der Türken seien.

Neuere Gemeinschaften türkischer Einwanderer in Polen und Estland stimmten mit 85 % bzw. 91 % mit überwältigender Mehrheit für die Opposition.

Im Großbritannien erhielt Erdoğan nur 18 % der Stimmen, wobei türkische Zyprioten und Kurden - viele von ihnen auf der Flucht vor Krieg und Gewalt - die Mehrheit dieser Gemeinschaft ausmachten.

In Schweden war die Wahl eher ausgeglichen: 53 % der Wähler stimmten für Kılıçdaroğlu und 44 % für Erdogan. Der türkische Präsident erhielt in Schweden "fast genau den gleichen Stimmenanteil wie bei der letzten Wahl", so Levin.

Die Präsenz - und der tolerante Umgang - mit Erdoğans politischen Gegnern in Schweden hat Stockholm Probleme bereitet, einen Bruch mit Ankara verursacht und dazu beigetragen, dessen NATO-Bewerbung zu blockieren.