Bundeswehr wirft erste Hilfsgüter über Gazastreifen ab
Die Luftwaffe hat ihren Hilfseinsatz über dem umkämpften Gazastreifen begonnen. Am Samstag wurden erste Hilfsgüter aus einem Transportflugzeug an Fallschirmen abgeworfen. Die Bundeswehr hatte für die Beteiligung zwei in Frankreich stationierte C-130-Transportflugzeuge Hercules in die Region verlegt. Jede Maschine kann dabei bis zu 18 Tonnen Last transportieren.
Die Luftwaffe hat am Vormittag zum 1. Mal Hilfsgüter über #Gaza per Fallschirm abgesetzt. Dabei kommt die 🇩🇪🇫🇷 Staffel zum Einsatz, die in #Evreux stationiert ist. Die Crews haben viel Erfahrung und sind für den nicht ungefährlichen Einsatz sehr gut vorbereitet. #AirDropforGaza pic.twitter.com/gv8lAXGFMs
— Verteidigungsministerium (@BMVg_Bundeswehr) March 16, 2024
Die Flugzeuge werden von Jordanien aus eingesetzt. Mit dem Einsatz beteiligt sich die Bundeswehr an der Luftbrücke für Gaza, die von dem arabischen Land initiiert wurde. Auch andere Partner wie die USA oder Frankreich beteiligen sich an der Initiative.
Hilfsorganisationen beschreiben die Lage der Menschen im Gazastreifen als zunehmend verzweifelt. Per Lastenabwurf allein ist die Lage demnach nicht ausreichend zu verbessern. Nach UN-Angaben droht in dem Küstenstreifen eine Hungerkrise, wenn die Hilfslieferungen per Lastwagen nicht ausgeweitet werden. Aus vielen Ländern gibt es inzwischen Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs. Die Bundesregierung hatte an Israel appelliert, die humanitäre Situation im Gazastreifen zu verbessern. In dem Küstengebiet leben rund 2,2 Millionen Menschen.
«Den Menschen in Gaza fehlt es am Nötigsten. Wir möchten unseren Teil dazu beitragen, dass sie Zugang zu Nahrung und Medikamenten bekommen», hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gesagt.
Die Luftwaffe selbst bezeichnet das Verfahren als «Absetzen im Schwerkraftverfahren», bei dem Güter das Flugzeug über die Laderampe rollend auf einer Palette verlassen und an Fallschirmen hängend zu Boden gehen. Technisch unterscheidet sich die Methode vom sogenannten Abwurf, bei dem Lasten ungebremst zu Boden gehen.
Verteilung der Güter ist eine Herausforderung
Nach der Ankunft einer ersten Hilfslieferung auf dem Seeweg stehen Unterstützer der notleidenden Bevölkerung im Gazastreifen vor der Aufgabe, die bitter benötigten Essensrationen an die verzweifelten Menschen zu verteilen. Das Schiff «Open Arms» ankerte am Freitag vor der Küste des abgeriegelten Küstengebiets, wie die an der Mission beteiligte Organisation «World Central Kitchen» (WCK) auf der Plattform X (vormals Twitter) mitteilte.
Währenddessen erhöhen die USA als wichtigster Verbündeter Israels ihren Druck auf die Regierung des Landes, im Falle einer Militäroffensive in der Grenzstadt Rafah eine Katastrophe» zu verhindern und den Schutz der Zivilisten dort zu gewährleisten. Bundeskanzler Olaf Scholz wird am Wochenende in der Krisenregion erwartet.
Update from Gaza🎥 WCK is offloading almost 200 tons of rice, flour, proteins & more that arrived by sea earlier today. At the same time this shipment is transported ashore, our second vessel is preparing to set sail from Cyprus with hundreds more tons of food. #ChefsForThePeople pic.twitter.com/cHacgMJQ6c
— World Central Kitchen (@WCKitchen) March 15, 2024
Von einer schwimmenden Plattform, die die «Open Arms» von Zypern aus Hunderte Kilometer übers Meer bis nach Gaza geschleppt hatte, wurden Lebensmittel und Trinkwasser ans Ufer gebracht, wie das israelische Militär mitteilte, das die Landestelle an der Küste sicherte. 60 Küchen, die WCK zusammen mit örtlichen Partnern betreibt, sollen daraus Mahlzeiten zubereiten und an die hungernden Menschen verteilen. Insgesamt habe man im laufenden Gaza-Konflikt auf dem See- und Luftweg mehr als 37 Millionen Mahlzeiten bereitgestellt, teilte die Hilfsorganisation mit.
WCK is working with @PresidentCYP, @CyprusMFA, and @ckombos to load hundreds of tons of food onto the second boat that we will dispatch to Gaza. We are also shipping a crane that will allow us to get the aid on shore and onto delivery trucks quicker. #ChefsForThePeople pic.twitter.com/QcPev41Nc1
— World Central Kitchen (@WCKitchen) March 15, 2024
Der 54-jährige Andrés, ein in den USA lebende Starkoch spanischer Herkunft, hatte die humanitäre Organisation 2010 gegründet. Sie versorgt Menschen in Katastrophengebieten auf der ganzen Welt mit Mahlzeiten. Hilfsaktionen gab es unter anderem auch für ukrainische Flüchtlinge an der Grenze zu Polen.
Die Mission der «Open Arms» gilt als Pilotprojekt für eine bessere Versorgung der mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen, denen es wegen des Kriegs derzeit an praktisch allem fehlt. Das Schiff kreuzte auf der Route entlang eines geplanten Hilfskorridors, den die EU-Kommission und Zyperns Staatsführung vor einer Woche angekündigt hatten. Unabhängig davon planen die USA einen maritimen Korridor nach Gaza, für den das US-Militär ein schwimmendes Dock nahe der Gaza-Küste errichten soll.
WCK's Juan Camilo is in Larnaca, Cyprus where our team is loading the second ship we’re dispatching to Gaza with the support of @mofauae & @PresidentCYP. Among the hundreds of tons of aid are pallets of dates, which hold spiritual significance during Ramadan. #ChefsForThePeople pic.twitter.com/nDLs2HzATs
— World Central Kitchen (@WCKitchen) March 16, 2024
Kleinkinder leiden unter akuter Mangelernährung
Die humanitäre Notlage in Gaza spitzt sich seit Wochen zu. Im nördlichen Gazastreifen sind nach Erkenntnissen des UN-Kinderhilfswerks Unicef inzwischen 31 Prozent der Kinder unter zwei Jahren akut mangelernährt. Im Januar seien es noch 15,6 Prozent der Kinder gewesen, teilte die Organisation mit. Im Norden des palästinensischen Küstengebiets ist die Versorgungsnotlage aufgrund des anhaltenden Kriegs zwischen Israel und der islamistischen Hamas besonders schlimm.
Auslöser des Gaza-Kriegs war ein Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober im Süden Israels verübt hatten. Auf israelischer Seite wurden dabei mehr als 1200 Menschen getötet, 250 weitere verschleppten die Terroristen als Geiseln in den Gazastreifen. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive in dem dicht besiedelten Gebiet am Mittelmeer.
Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde vom Freitag kamen im Krieg bislang 31.490 Palästinenser ums Leben, weitere 73.439 erlitten Verletzungen. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen und unterscheiden nicht zwischen bewaffneten Kämpfern und Zivilisten. Zugleich ist laut der Behörde eine große Zahl von Menschen in diesen Zahlen nicht erfasst, die noch unter Trümmern vermutet werden.
Bewegen sich Friedensbemühungen vom Fleck?
Ein neuer Vorschlag der Hamas im Rahmen der schleppend verlaufenden indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe und Freilassung von israelischen Geiseln scheint indes Anlass zu vorsichtigem Optimismus zu geben. «Der Vorschlag bewegt sich grob umrissen innerhalb des Rahmens jenes Deals, an dem wir seit mehreren Monaten arbeiten», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, im Weißen Haus. Es sei gut, dass Israel nun wieder eine Delegation zu den Verhandlungen schicke, dass es den Hamas-Vorschlag gebe und darüber geredet werde. Der Teufel stecke allerdings im Detail.
Tatsächlich hat sich die Hamas nun dahingehend bewegt, dass sie nicht mehr verlangt, dass Israel den Krieg beendet, bevor die ersten Geiseln gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden. Dem am Donnerstag bekannt gewordenen Vorschlag zufolge würden die Islamisten die Einstellung der Kampfhandlungen durch Israel erst zur Voraussetzung für eine zweite Phase der Geiselfreilassungen machen. Damit näherte sich die Hamas den Inhalten eines mehrstufigen Plans an, den die Vermittler USA, Ägypten und Katar vor mehreren Wochen vorgelegt hatten und den Israel akzeptierte.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu tat den Vorschlag der Hamas indes als «unrealistisch» ab. Gleichzeitig hieß es, eine israelische Delegation werde nach einer Debatte des Sicherheitskabinetts über die israelische Position nach Katar reisen. Damit würden erstmals seit zwei Wochen wieder israelische Verhandler an den indirekten Gesprächen in der Hauptstadt Doha teilnehmen.
US-Regierung will Pläne zum Schutz der Zivilisten in Rafah
Die US-Regierung rief Israel dazu auf, ihr Pläne für eine «glaubwürdige» und «realisierbare» Evakuierung aus der im Süden des Gazastreifens an der Grenze zu Ägypten gelegenen Stadt Rafah vorzulegen, sofern dort eine israelische Militäroffensive stattfinden soll. Man habe solche Pläne bisher nicht gesehen und würde die Gelegenheit begrüßen, diese zu Gesicht zu bekommen, sagte US-Sicherheitsratssprecher Kirby. «Wir können und werden keinen Plan unterstützen, der diese anderthalb Millionen Flüchtlinge in Gaza nicht angemessen berücksichtigt», betonte er. Es müsse einen Plan für diese Menschen geben - alles andere wäre eine «Katastrophe», warnte er. Für die Menschen im Gazastreifen müsse es einen Ort geben, an dem sie vor den Kämpfen sicher seien.
Zuvor hatte Netanjahu nach Angaben seines Büros die Pläne für einen Militäreinsatz in Rafah gebilligt. Die Armee bereite sich neben dem operativen Einsatz auf eine Räumung der Zivilbevölkerung vor, hieß es in der Mitteilung.
Ausblick auf den Samstag
Bundeskanzler Scholz (SPD) bricht an diesem Samstag zu einer zweitägigen Reise in den Nahen Osten auf. Wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin mitteilte, besucht Scholz zunächst Jordanien und reist im Anschluss nach Israel. Es handelt sich um die zweite Reise des Bundeskanzlers in die Region seit dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober. Berlin steht wie Washington den Rafah-Plänen der israelischen Regierung kritisch gegenüber. Auf seiner Reise wird Scholz unter anderen Netanjahu und den jordanischen König Abdullah II. treffen. Gesprächsthemen sind nach Angaben des Regierungssprechers die Lage im Krisengebiet und die Luftbrücke für die notleidende Bevölkerung.