Ungarn und Polen blockieren bei EU-Gipfel Erklärung zur Migration

Ist die geplante EU-Asylreform nach den Entscheidungen der vergangenen Wochen und Monate in trockenen Tüchern? Das Vorgehen von Ungarn und Polen weckt Zweifel daran. Beim Gipfel in Granada sorgen die beiden Länder erneut für Ärger.

Viktor Orban blockierte beim EU-Gipfel im spanischen Granada eine geplante Erklärung zur Migrationspolitik. (Bild: REUTERS/Juan Medina)
Viktor Orban blockierte beim EU-Gipfel im spanischen Granada eine geplante Erklärung zur Migrationspolitik. (Bild: REUTERS/Juan Medina)

Polen und Ungarn haben beim EU-Gipfel im spanischen Granada eine geplante Erklärung zur Migrationspolitik und anderen strategisch wichtigen Themen blockiert. Das sagten mehrere EU-Diplomaten am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki kündigte beim Kurznachrichtendienst X (früher Twitter) an: "Ich habe beschlossen, gegen den Teil über die Migration mein Veto einzulegen."

(deutsch: Ich bin der Premierminister der Republik Polen. Ich bin für die Sicherheit Polens und seiner Bürger verantwortlich. Daher lehne ich als verantwortungsbewusster Politiker offiziell den gesamten Absatz der Gipfelschlussfolgerungen zum Thema Migration ab [...])

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban kündigte weiteren Widerstand gegen Pläne für eine EU-Asylreform an, die eine Pflicht zur Solidarität mit besonders stark von Migration betroffenen Staaten vorsieht. Aus seiner Sicht gebe es keinerlei Chance mehr auf Kompromisse und Vereinbarungen, nachdem Ungarn und Polen "rechtlich vergewaltigt" worden seien.

(deutsch: Brüssel hat Polen und Ungarn legal vergewaltigt, indem es den #MigrationPact durchgesetzt hat. Es wird also keine Kompromisse bei der Migration geben. Nicht heute und auch nicht in den kommenden Jahren. Wir werden unsere Grenzen vor Migranten und auch vor den Brüsseler Bürokraten verteidigen!)

Das kritisiert Orban an den Reform-Plänen

Orban spielte darauf an, dass wichtige Entscheidungen für die geplante Reform des europäischen Asylsystems jüngst gegen den Willen von Ungarn und Polen per Mehrheitsentscheidung getroffen wurden. Die beiden Länder sind ungeachtet anderslautender juristischer Analysen der Meinung, dass dies nur im Konsens, also ohne Gegenstimmen, hätte geschehen können.

Sie verweisen dabei auf EU-Gipfel-Erklärungen in den Jahren 2016, 2018 und 2019. So heißt es in einem Text der Staats- und Regierungschefs aus dem Juni 2019: "Es muss ein Konsens für eine Reform der Dublin-Verordnung auf der Grundlage eines ausgewogenen Verhältnisses von Verantwortung und Solidarität gefunden werden." Ungarn und Polen interpretieren dies so, dass in der gesamten Asylpolitik nur noch mit Konsens entschieden werden soll.

Sie wehren sich insbesondere dagegen, dass den Plänen zufolge stark belasteten Staaten wie Italien und Griechenland künftig ein Teil der Asylsuchenden abgenommen werden soll. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden.

Flucht über das Mittelmeer (Grafik: P. Massow/ R. Mühlenbruch; Redaktion: A.Brühl/B. Schaller)
Flucht über das Mittelmeer (Grafik: P. Massow/ R. Mühlenbruch; Redaktion: A.Brühl/B. Schaller)

Wie geht es jetzt weiter?

Die Blockade der geplanten gemeinsamen Erklärung zur Migration hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf den laufenden Prozess für eine europäische Asylreform. Denkbar ist allerdings, dass Polen und Ungarn die derzeit laufenden Verhandlungen über eine Revision des langfristen EU-Haushalts nutzen, um weiteren Druck beim Thema Asylreform zu machen. Bei diesem Thema ist Einstimmigkeit erforderlich, und die Revision soll auch eine Fortsetzung der Finanzhilfen für die Ukraine ermöglichen.

Der polnische Ministerpräsident Morawiecki hatte am Rande des Gipfels zum Asylstreit betont, er habe keine Angst, sich dem "Diktat aus Brüssel und Berlin" zu widersetzen.

Offene Fragen vor der geplanten EU-Erweiterung

Auch eine Debatte über Reformen vor einer möglichen Erweiterung der Europäischen Union steht auf der Tagesordnung. Knackpunkt ist dabei, wie die Union handlungsfähig bleiben kann, auch wenn sie deutlich größer werden sollte. Im Dezember soll entschieden werden, ob mit der Ukraine und Moldau Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden und ob Georgien den Status des Beitrittskandidaten bekommt.

EU-Ratspräsident Charles Michel sprach sich zuletzt dafür aus, dass die EU bis 2030 bereit für die Aufnahme von Ländern wie der Ukraine sein muss. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen befürwortete eine rasche Erweiterung, nennt jedoch kein Datum. Ein Beitritt der Ukraine gilt als kniffelig, etwa weil das kriegsgeplagte Land vergleichsweise groß ist und vermutlich auf nicht absehbare Zeit Zuschüsse erhalten müsste. Zudem würde die riesige Landwirtschaft eine umfangreiche Reform der EU-Agrarförderungen notwendig machen.

Berlin und Paris wollen Reformen

Frankreich und Deutschland warben zuletzt für Reformen, die den Weg für eine größere Union ebnen könnten. Demnach soll zum Beispiel das in manchen Politikbereichen übliche Einstimmigkeitsprinzip aufgeweicht werden, um die Blockade von Beschlüssen durch Vetos unwahrscheinlicher zu machen. Außerdem könnten neue Einnahmequellen für den EU-Haushalt erschlossen und die Möglichkeit von Mittelkürzungen bei Verstößen gegen EU-Standards ausgeweitet werden. Mit einer schnellen Einigung rechnet derzeit allerdings niemand. Dazu liegen die Vorstellungen bislang noch zu weit auseinander.

Beitrittsverhandlungen führte die EU zuletzt mit den Balkanstaaten Montenegro, Albanien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien. Zudem sind neben der Ukraine auch noch das Kosovo sowie Moldau, Georgien und die Türkei Bewerberländer. Mit der Türkei gab es bereits lange Beitrittsverhandlungen, sie liegen allerdings seit Jahren wegen rechtsstaatlicher Defizite auf Eis.

Vorschläge für neue Ukraine-Hilfen

Auch über die weitere Unterstützung für die kriegsgebeutelte Ukraine im Kampf gegen Russland soll heute geredet werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Chefdiplomat Josep Borrell haben vorgeschlagen, im Zeitraum bis Ende 2027 zusätzliche 70 Milliarden Euro bereitzustellen.

(deutsch: Bei unserem Haushalt geht es um mehr als Zahlen – er spiegelt unsere politischen Prioritäten und gemeinsamen europäischen Werte wider. Und es ist wichtig, auf die Herausforderungen zu reagieren, vor denen wir stehen. Im Jahr 2022 trug unser Haushalt dazu bei, die Ukraine zu unterstützen und die wirtschaftlichen Auswirkungen des ungerechtfertigten Krieges Russlands abzumildern)

20 Milliarden Euro davon sollen für die Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstungen dienen, die anderen 50 Milliarden Euro vor allem zur Stützung des ukrainischen Staatshaushalts und den Wiederaufbau. Da der Gipfel ein informeller ist, wird es allerdings keine offiziellen Beschlüsse geben. Am Tag zuvor fand ebenfalls in Granada bereits ein Europa-Gipfel mit rund 50 Staats- und Regierungschefs statt.

Im Video: EU-Erweiterung - wie realistisch ist sie?