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Europa staunt über deutsche Härte im Agentenstreit

US-Botschaft in Berlin: Europa staunt über die deutsche Härte im Agentenstreit. Foto: Paul Zinken

In den europäischen Hauptstädten Paris, London und Warschau wird der deutsch-amerikanische Spionagestreit mit einer Mischung aus Überraschung, Sorge und teilweise auch Verständnis verfolgt.

Die französische Presse bewertet die faktische Ausweisung des obersten US-Geheimdienstrepräsentanten als «diplomatisches Erdbeben» («Le Parisien») und «ungewöhnlich hart» («Libération»). Die polnische «Gazeta Wyborcza» wundert sich, dass die Bundesregierung offenbar stolz sei, den Amerikanern «eine Nase zu drehen». Doch schade ein längerer Streit zwischen Deutschland und den USA auch dem übrigen Europa.

Begründet hatte die Bundesregierung ihren spektakulären Schritt mit den Ermittlungen gegen zwei mutmaßliche Spione der USA beim Bundesnachrichtendienst (BND) und im Verteidigungsministerium sowie den umfassenden Spähaktionen des US-Diensts NSA, die sich gegen Millionen Deutsche richten. Offiziell reagierte die US-Regierung zunächst nicht.

In Großbritannien wurde der unter Verbündeten ungewöhnliche Vorgang mit großer Überraschung aufgenommen - wenngleich sich offizielle Stellen bedeckt hielten. Die Medien informierten in großen Berichten über die diplomatische Verwicklung. Die Frage, ob auch Großbritannien ähnlichen Sanktionen Deutschlands betroffen sein könnte, wurde offen jedoch nicht gestellt. Der «Independent» merkte zumindest an, dass auch vom Dach der britischen Botschaft in Berlin aus mit Abhörtechnik spioniert werde.

Generell wird Spionage in Großbritannien aber eher als in Deutschland toleriert. Regierungspolitiker rechtfertigen die Aktivitäten bislang erfolgreich mit dem Hinweis, sie seien zur Terrorismusabwehr notwendig.

Auch in Polen gab es von offizieller Seite nur zurückhaltende Reaktionen auf die enttarnten mutmaßlichen US-Spione im Nachbarland. Die derzeitige polnische Regierung ist - wie ihre Vorgänger - verschlossen, wenn es um CIA-Aktivitäten in ihrem Land geht. Die Ermittlungen zu den geheimen CIA-Gefängnissen in Polen laufen unter strenger Geheimhaltung, und selbst der Europäische Menschenrechtsgerichtshof holte sich aus Warschau eine Abfuhr, als er Informationen über das 2003 auf einem nordwestpolnischen Militärgelände vermutete CIA-Gefängnis anforderte.

In den großen französischen Tageszeitungen beschreiben die Kommentatoren die deutliche Berliner Reaktion auf die Spionageattacken der USA einheitlich als nachvollziehbare Konsequenz. Dabei wird vor allem darauf hingewiesen, dass es bislang noch keinerlei Entschuldigung aus Washington gab. «Das Vertrauen in den amerikanischen Alliierten schwindet», warnt die Zeitung «Le Figaro». In Deutschland keime Antiamerikanismus auf.

«Das ist sicherlich eine schwere und beispiellose politische Krise», sagte der frühere französische Top-Geheimdienstler Alain Chouet dem «Figaro». Aus Expertensicht seien die amerikanischen Spionageinteressen aber durchaus verständlich. Deutschland sei wegen seines industriellen und wirtschaftlichen Gewichts der «starke Mann» Europas und spiele eine Schlüsselrolle bei den Entscheidungen der europäischen Institutionen. Deswegen hätten Großmächte außerhalb Europas Interesse an deutschen Planungen und Initiativen.

An einen Verhaltenskodex für die gute Zusammenarbeit zwischen befreundeten Diensten glaubt Chouet nicht. Geheimdienste seien dafür da, sich im Auftrag der jeweiligen Regierungen über internationale Gesetze und offizielle Engagements hinwegzusetzen.

Die Regierung in Paris hielt sich zunächst mit öffentlicher Kritik an den USA zurück, wies am Freitag aber darauf hin, dass Deutschland und Frankreich bereits beim EU-Gipfel im Oktober 2013 eine gemeinsame Initiative zur Aufarbeitung der US-Spionageaktivitäten in Europa gestartet hätten. «Wir verfolgen diese Angelegenheit mit größten Aufmerksamkeit», kommentierte ein Sprecher des Außenministeriums am Freitag die jüngsten Enthüllungen und die deutliche deutsche Reaktion.

In Frankreich hatte es zuletzt im vergangenen Jahr eine Welle von Empörung über US-Spionage gegeben. Die Regierung in Paris bestellte damals den Botschafter der Vereinigten Staaten ins Außenministerium ein. Kritik an ihren eigenen großen Geheimdienstprogrammen zur Überwachung der elektronischen Kommunikation wird aber zurückgewiesen. Die Tageszeitung «Le Monde» hatte 2013 berichtet, in Frankreich gebe es ein riesiges illegales «Big Brother»-Programm. Demnach speichert der Auslandsnachrichtendienst DGSE systematisch Verbindungsdaten zu Telefongesprächen, SMS und E-Mails, die über französische Leitungen gehen.