Fakten vs. Mythen: Darf man als Zeuge Täter einfach so festhalten?

Wird man Zeuge einer Straftat, stellt man sich oft die Frage: Soll ich mich einmischen oder lasse ich die Dinge einfach geschehen? Reicht es, wenn ich die Polizei informiere oder soll ich den mutmaßlichen Täter an der Flucht hindern? Und darf ich das als Privatperson überhaupt?

In Deutschland haben Polizei und Staatsanwaltschaft ein hoheitliches Festnahmerecht. In besonderen Fällen dürfen aber auch Privatpersonen einen Tatverdächtigen vorübergehend festnehmen. (Symbolbild: Getty Images)
In Deutschland haben Polizei und Staatsanwaltschaft ein hoheitliches Festnahmerecht. In besonderen Fällen dürfen aber auch Privatpersonen einen Tatverdächtigen vorübergehend festnehmen. (Symbolbild: Getty Images)

Generell haben in Deutschland Polizei und Staatsanwaltschaft ein hoheitliches Festnahmerecht (§ 127 Abs. 2 Strafprozessordnung). Allerdings gibt es hierzulande auch das sogenannte "Jedermanns-Recht", welches jeder Privatperson – auch Minderjährigen – eine vorübergehende Festnahme erlaubt, bis die Polizei eintrifft oder der Täter an einer Polizeiwache übergeben werden kann. Geregelt ist dies in § 127 Abs. 1 der Strafprozessordnung ("Vorläufige Festnahme"). Darin heißt es "Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen."

Darf ich als Zeuge Tatverdächtige festnehmen? So ist die Gesetzeslage

Auch §229 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ("Selbsthilfe") greift in solch einem Fall, denn im BGB steht: "Wer zum Zwecke der Selbsthilfe eine Sache wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder wer zum Zwecke der Selbsthilfe einen Verpflichteten, welcher der Flucht verdächtig ist, festnimmt oder den Widerstand des Verpflichteten gegen eine Handlung, die dieser zu dulden verpflichtet ist, beseitigt, handelt nicht widerrechtlich, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde." Grob übersetzt bedeutet dies, dass man nicht gegen das Gesetz verstößt, wenn man einen Tatverdächtigen vorübergehend festnimmt, wenn die Polizei nicht rechtzeitig erscheinen kann, um eine Flucht zu verhindern.

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Macht ein Tatzeuge von diesen beiden Paragraphen Gebrauch, sollte er allerdings darauf achten, dass er sich dabei nicht selbst in Gefahr bringt.

Sollte sich der mutmaßliche Täter gegen seine vorläufige Festnahme durch eine Privatperson zur Wehr setzen, sind in diesem Fall Fesseln an Armen und Beinen erlaubt. Nicht gestattet sind die Anwendung von Gewalt und die Ermittlung der Personalien. Letzteres ist nur der Polizei erlaubt. Dem Festgenommen also einfach die Geldbörse entwenden und dort nach seinem Personalausweis zu suchen ist einer Privatperson nicht erlaubt.

Anzahl der polizeilich erfassten Fälle ausgewählter Straftaten/ -gruppen in Deutschland im Jahr 2022. (Quelle: Bundeskriminalamt)
Anzahl der polizeilich erfassten Fälle ausgewählter Straftaten/ -gruppen in Deutschland im Jahr 2022. (Quelle: Bundeskriminalamt)

Einschränkung: Wer nicht einfach so festgenommen werden darf

Um dem mutmaßlichen Täter an seiner Flucht zu hindern, darf man ihm auch das Fahrrad oder die Autoschlüssel wegnehmen. Wird man körperlich angegriffen, darf man sich in Notwehr auch selbst verteidigen (§ 227 BGB und § 32 StGB).

Allerdings gibt es bei dem Jedermanns-Recht auch Einschränkungen. So dürfen mutmaßliche Täter, die offensichtlich nicht schuldfähig sind, nicht von einem Tatzeugen festgehalten werden. Die Schuldunfähigkeit wird in § 20 StGB geregelt. Dort heißt es: "Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln."

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Ist einem Tatzeugen die Identität des mutmaßlichen Täters bekannt, muss dieser im Regelfall bei der Polizei angezeigt werden, ohne diesen selbst vorübergehend festzunehmen. In diesem Fall ist eine eigenmächtige Festnahme oder Verfolgung nur gestattet, wenn akute Fluchtgefahr besteht. Anderenfalls kann sich der Festhaltende eine Anzeige wegen Nötigung, Freiheitsberaubung oder gar Körperverletzung einhandeln.

Unterschied: Festnahme und Verhaftung

Wenn Polizisten eine Person festhalten, gibt es dafür drei Möglichkeiten: den Gewahrsam, die vorläufige Festnahme und die Verhaftung.

Über Gewahrsam und/oder eine vorläufige Festnahme können Polizisten zunächst einmal selbst die Entscheidung treffen. Um eine Person zu verhaften ist aber ein Haftbefehl notwendig, welcher vorher von einem Richter ausgestellt werden muss, in der Regel auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Für einen Haftbefehl muss ein dringender Tatverdacht vorliegen - und zusätzlich ein driftiger Haftgrund wie Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr oder besonders bei schweren Straftaten Wiederholungsgefahr.

Wer verhaftet wurde, wird sofort einem Richter vorgeführt, welcher dann entscheidet, ob der Festgenommene in Untersuchungshaft kommt oder wieder auf freien Fuß gelassen wird.

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