Als Bayern so tief fiel wie nie
Was ist nur los mit dem großen FC Bayern, dem Team, das die Bundesliga über Jahre hinweg so beherrscht hatte wie nie eine Mannschaft vor ihm?
Es ist die Frage, die sich viele Fußball-Fans stellen, die kaum mehr einen anderen Deutschen Meister als den aus München gewohnt waren. Damals, zwischen 1985 und 1990.
Unglaubliche fünf Meistertitel hatte der Rekordmeister seinerzeit in sechs Jahren geholt. Es war die bis dahin längste Dominanzphase eines Teams in der Liga-Geschichte - ehe die Bayern ab 2012/13 in die nächste Dimension vorstießen mit ihrer 11er-Titelserie, die Xabi Alonsos Bayer Leverkusen in dieser Saison beendet hat.
Nun soll es mit der offenbar bevorstehenden Unterschrift von Vincent Kompany ein auf dem Niveau vergleichsweise unerfahrener Trainer bei den Bayern richten. Doch bei einem Blick in die Historie sollten die Bayern gewarnt sein, denn schon einmal zauberten die Münchner einen Überraschungstrainer aus dem Hut - doch das Projekt misslang.
Die alte Binsenweisheit, dass in Zeiten des größten Erfolgs auch die größten Fehler passieren, erfuhren die Bayern nie schmerzhafter am eigenen Leib als zu Beginn der Neunziger: Auf die bis dato größte nationale Erfolgsserie der Klubgeschichte folgte nämlich auch die tiefste Krise der neueren Vereinsgeschichte.
Wie es zu ihr kam, welche Folgen sie hatte und wie sie beendet wurde? SPORT1 blickt zurück.
FC Bayern: Zweite goldene Ära dank Uli Hoeneß
Den Grundstein für die zweite goldene Ära der Bayern - nach den großen Triumphen der Siebziger mit Franz Beckenbauer und Gerd Müller - legte bekanntlich der 1979 ins Management der Bayern gewechselte Uli Hoeneß.
Hoeneß formierte um seine Weggefährten Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge ein neues Spitzenkollektiv und erschloss durch aus den USA übernommenen Marketing-Strategien neue Einnahmequellen, die den sportlichen Boom festigten.
Die Abgänge von Breitner 1983 (nach dem ersten großen Zerwürfnis mit Hoeneß) und Rummenigge 1984 (Verkauf an Inter Mailand) brachten die Bayern nicht vom Weg ab: Sie schwangen sich mit dem neuen, alten Trainer Udo Lattek zur unumstrittenen Nummer 1 im deutschen Fußball auf.
Lattek führte die neue Bayern-Generation mit Kapitän Klaus Augenthaler und Mittelfeld-Star Lothar Matthäus zu drei Meistertiteln in Serie und dem Rang als Rekordmeister. Unter dem jungen Nachfolger Jupp Heynckes folgten zwei weitere Meister-Coups - 1988 nur kurz unterbrochen von Werder Bremen unter den langjährigen Bayern-Erzfeinden Otto Rehhagel und Willi Lemke.
Umso süßer schmeckten in den darauffolgenden Jahren die Triumphe über den damaligen Hauptkonkurrenten 1. FC Köln mit dem frechen Trainer-Jungstar Christoph Daum - nach dem unvergesslich giftigen Schlagabtausch mit Hoeneß und Heynckes im ZDF-Sportstudio 1989.
Bayern missglückte der Umbruch nach den Erfolgen
Schon der damalige Erfolg der Bayern blieb aber nicht ohne Wermutstropfen: Mit dem unglücklich verlorenen Europapokal-Finale gegen Porto 1987 verpassten Matthäus, Augenthaler und Co. ihre internationale Krönung. Die bittere Niederlage entwickelte sich zu einem Trauma, das die Bayern und Macher Hoeneß aus Sicht vieler Kritiker auf Irrwege führte.
Der Versuch, die Bayern mit der Verpflichtung internationaler Stars aufs nächste Level zu heben, produzierte eine Reihe von Transfer-Flops - von Mark Hughes und Johnny Ekström über „Mic und Mac“ Radmiro Mihajlovic und Alan McInally bis zum berühmt-berüchtigt-brasilianischen Doppel-Missverständnis Bernardo und Mazinho und dem legendären „Entlauber“ Adolfo Valencia.
Parallel dazu verlor Bayern ab 1988 nach und nach zahlreiche verdiente Leistungsträger und Integrationsfiguren: Matthäus und Andreas Brehme wechselten 1988 gemeinsam zu Inter, hinzu kamen Abgänge von Keeper Jean-Marie Pfaff, Norbert Eder, Ludwig Kögl (1990) und schließlich das Karriere-Ende Klaus Augenthalers 1991.
Der langjährige Anführer und Abwehrboss ging mit dem mulmigen Gefühl, eine offene Baustelle zu hinterlassen. „Ob zu Beckenbauers Zeiten, in der Ära Breitner und Rummenigge oder als ich Kapitän war: Immer gab es eine klare Hierarchie, drei, vier unumstrittene Spieler, die sich einig waren. Da hatten Unruhestifter keine Chance“, sagte er seinerzeit. Und machte damit klar: Genau das vermisste er nun.
Hoeneß' „schwerster Fehler“: Jupp Heynckes musste gehen
Kurz nach dem Abgang Augenthalers war auch Heynckes Geschichte: Mit dem Versprechen „Nächstes Jahr holen wir den Europapokal“ war er in die Saison 1990/91 gestartet. Stattdessen gab es erneut ein unglückliches Aus im Halbfinale gegen Roter Stern Belgrad - und einen verlorenen Bundesliga-Meisterkampf gegen den 1. FC Kaiserslautern mit Trainerfuchs Kalli Feldkamp und Sturm-Schnauzbart Stefan Kuntz.
In der darauffolgenden Saison kam es noch schlimmer: Ein Zweitrunden-Aus im DFB-Pokal gegen den FC Homburg schwächte Heynckes‘ Position weiter. Nach einer 1:4-Heimniederlage in der Liga gegen die Stuttgarter Kickers zog Hoeneß die Reißleine und feuerte den späteren Triple-Trainer.
Hoeneß - unter zusätzlichem Druck wegen einer nahenden Mitgliederversammlung, in der Präsident Fritz Scherer um seine Wiederwahl fürchtete - sprach später viele Male vom „schwersten Fehler“ seiner Manager-Karriere.
Der Fehler verschlimmerte sich durch die Wahl des Nachfolgers.
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Sören Lerby: Bayerns größtes Trainer-Fiasko
Hoeneß zauberte den Dänen Sören Lerby aus dem Hut, in den Achtzigern Mittelfeld-Star der Bayern - als Trainer aber das größte Fiasko der Bayern-Historie noch vor Jürgen Klinsmann.
Lerby hatte als Trainer keine Erfahrung und Hoeneß' Glaube, dass seine Aura es wettmachen würde, erwies sich als Trugschluss: Wegen schwacher Ergebnisse, mangelndem Konzept und Sprachschwierigkeiten erwarb sich der damals 43-Jährige nie den Respekt der Mannschaft.
„Er war als Trainer vollkommen überfordert“, erinnerte sich der spätere Bayern-Kapitän und SPORT1-Experte Stefan Effenberg in der Bayern-Chronik „Gute Freunde“ von Journalist Thomas Hüetlin an Lerby: „Er hatte keinen Plan, was er mit der verunsicherten Mannschaft anfangen sollte und auch null Standing bei den Spielern.“
Die Krise der Bayern wurde damals zum nationalen Gespött - und zur Vorlage für eine Revuenummer von TV-Legende Thomas Gottschalk. Bei „Wetten dass?“ legte er als Einsatz fest, dass er die Bayern als Maskottchen auf der Bank helfen wollte. Hoeneß ließ tatsächlich einen PR-Termin vor dem Spiel gegen Leverkusen zu - danach schickte er Gottschalk weg (“Können keine Ablenkung gebrauchen“).
Nach fünf Monaten war das Experiment beendet: Nach einer 0:4-Pleite in Lautern musste Lerby nach fünf Monaten wieder gehen. Auf Tabellenplatz 11, mit dem schlechtesten Punkteschnitt aller länger aktiven Bayern-Bundesligatrainer (1,18 nach der heutigen 3-Punkte-Rechnung). Lerby übernahm nie wieder einen Trainerjob.
Als neuer Bayern-Coach wurde „Sir“ Erich Ribbeck geholt, der frühere DFB-Assistent, der Bayer Leverkusen 1988 zum UEFA-Pokal geführt hatte. Unter dem weltgewandten Westfalen beruhigte sich die Stimmung etwas - aber mehr als Rang 10 war nicht mehr drin. Die schlechteste Bayern-Platzierung der vergangenen 46 Jahre.
Die Bayern waren Statisten am legendären 38. Spieltag, an dem Christoph Daum mit dem VfB Stuttgart Eintracht Frankfurt und Coach Dragoslav Stepanovic den Titel vor der Nase wegschnappte.
Beckenbauer/Rummenigge-Beben: Hoeneß drohte mit Rücktritt
Zur sportlichen Misere der Horrorsaison kam innere Unruhe, als Präsident Scherer, um seine eigene Position zu sichern, die Klubikonen Beckenbauer und Rummenigge als Vizepräsidenten ins Boot holte - an Hoeneß vorbei und damals gegen dessen Willen: Die Machtfragen zwischen den Alphatieren waren noch ungeklärt. Hoeneß drohte sogar mir Rücktritt, weil er nicht wusste, wie ihm geschah.
Nach dem schlimmsten Jahr der jüngeren Vereinsgeschichte ging es schrittweise wieder aufwärts: Zu Beginn der Saison 1992/93 sorgte das Sensations-Comeback von Weltmeister-Kapitän Lothar Matthäus für neue Aufbruchstimmung.
Mit dem neuen, alten Anführer und anderen aufstrebenden Leistungsträgern wie Thomas Helmer, Christian Ziege und Mehmet Scholl kämpfte Bayern wieder um den Titel mit - musste ihn am Ende der Saison aber abermals Rehhagel und Werder überlassen.
Die lange Meister-Durststrecke war noch nicht beendet und sollte noch für weitere Verwerfungen sorgen.
Der „Kaiser“ befriedete den Verein - sportlich und politisch
Nach der Hinrunde 1993/94 musste auch Ribbeck gehen, der sich von Herbstmeister Eintracht Frankfurt mit Coach Klaus Toppmöller (Dinos Vater) und den Offensiv-Ikonen Uwe Bein, Maurizio Gaudino, Jay-Jay Okocha und Tony Yeboah die Show hatte stehlen lassen.
Der angeschlagene Klubboss Scherer rief Lichtgestalt Beckenbauer zu Hilfe. Mit ihm gelang 1994 die Rückkehr auf den Bundesliga-Thron. Und Beckenbauer war dann auch der Schlüssel zur Klärung der ungelösten Führungskrise.
Unter Vermittlung des bayerischen Ministerpräsidenten und langjährigen FCB-Schattenmanns Edmund Stoiber ließ sich Beckenbauer im Herbst 1994 zum Präsidenten wählen - und verhinderte damit die unkalkulierbare Eskalation eines schwelenden Machtkampfs zwischen Scherer und dem selbst nach dem Posten strebenden Rummenigge.
Der zu Beginn des Jahres verstorbene „Kaiser“ befriedete damit den kriselnden Rekordmeister sportlich und politisch. Und auch wenn in den darauffolgenden Jahren noch einige Höhen und Tiefen folgen sollten: Drei Jahre ohne Meistertitel sollten den Bayern seitdem nie wieder passieren. Und ob die aktuelle Sinn- und Schaffenskrise noch einmal so nachhaltig sein wird, bleibt abzuwarten.