FDP-Politiker über Türkei-Wahl: "Ich bin hochgradig nervös, was die nächsten zwei Wochen angeht"

Die Wahl in der Türkei sei die "wichtigste Wahl des Jahres auf der ganzen Welt", sagte der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff bei "Hart aber fair". (Bild: ARD)
Die Wahl in der Türkei sei die "wichtigste Wahl des Jahres auf der ganzen Welt", sagte der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff bei "Hart aber fair". (Bild: ARD)

Nach einem knappen Wahlergebnis gehen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu in die Stichwahl. Welche Auswirkungen hat die Türkei-Wahl auch in Deutschland? Darüber diskutierte Louis Klamroth mit seinen Gästen bei "Hart aber fair".

Es sei die "wichtigste Wahl des Jahres auf der ganzen Welt", sagte Alexander Graf Lambsdorff, Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion, am Montagabend bei "Hart aber fair": Am Sonntag fanden die Präsidentschaftswahlen in der Türkei statt, einem "Land an der Schnittstelle zwischen dem Nahen Osten, Russland, Europa", wie er erklärte. Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan bekam 49,51 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu kam auf 44,88 Prozent. Nun geht es für beide Kandidaten in die Stichwahl am 28. Mai, und Louis Klamroth fragte in seiner Sendung: "Noch kein Sieg: Wackelt der ewige Erdogan?"

Der FDP-Politiker macht sich "große Sorgen, weil eine Stichwahl das politische Klima noch mehr aufheize." Die Vergangenheit hätte gezeigt, wie gefährlich die Lage in der Türkei werden könne: "Es kann eine Krise hervorgerufen werden, es kann zu Anschlägen kommen." Mit anderen Worten: "Ich bin hochgradig nervös, was die nächsten zwei Wochen angeht!"

Die Opposition beklage, dass die Auszählung der Stimmen behindert worden sei, sagte Louis Klamroth: "Was hören Sie von den Wahlbeobachtern der OSZE: Ist es fair gelaufen?" Lambsdorff antwortete prompt: "Nein, es ist nicht fair gelaufen!" Erdogan dominiere "die Presselandschaft so unglaublich, dass der Präsident ständig im Fernsehen ist und immer nur im positiven Kontext. Während der Oppositionsführer kaum im Fernsehen ist und wenn, dann nur im negativen Kontext."

Louis Klamroth (von rechts) diskutierte am Montag unter anderem mit dem ehemaligen Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma, der Journalistin Nalan Sipar, dem Journalisten Deniz Yücel und dem FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff. (Bild: ARD)
Louis Klamroth (von rechts) diskutierte am Montag unter anderem mit dem ehemaligen Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma, der Journalistin Nalan Sipar, dem Journalisten Deniz Yücel und dem FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff. (Bild: ARD)

Yücel bezeichnet Wahlergebnis als "niederschmetternd"

Eine klare Meinung zum Wahlergebnis hat auch der Journalist und Publizist Deniz Yücel: "Dass Erdogan nach dieser verheerenden Regierungsbilanz immer noch auf so ein gutes Ergebnis kommt, ist niederschmetternd", befand er zum Auftakt der "Hart aber fair"-Sendung. Er sprach unter anderem von Verarmung, Inflation, Korruption und Vetternwirtschaft. Die Tatsache, dass 65 Prozent der Deutsch-Türken Erdogan wählten, überrascht ihn jedoch nicht: "Das ist ein Trend, der sich schon seit Jahren zeigt." Einen Grund dafür sieht der 49-Jährige in den sozialen Milieus, aus denen die Menschen ursprünglich stammten. Diese "Milieuzugehörigkeiten und Identitäten" ließen sich in Deutschland "über drei, vier Generationen hinweg aufrechterhalten, wobei man auch immer dazu sagen muss: Von den etwa dreieinhalb Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland ist knapp die Hälfte wahlberechtigt." Das Ergebnis lasse sich also keinesfalls auf alle Deutsch-Türken übertragen.

Die Journalistin Nalan Sipar widersprach: "Auch rechte Leute, auch konservative Leute können gut gebildet sein, auch Gastarbeiter in der vierten Generation sind oft Akademiker." Mit solcher Berichterstattung falle man schnell Urteile, warnte sie vor Pauschalisierungen und forderte "mit den Menschen ins Gespräch zu kommen". Yücel hingegen verwies auf "soziologische Befunde", ehe Klamroth das Thema wechselte.

"Ich finde es falsch, dass wir mitwählen dürfen", kritisierte der Journalist Deniz Yücel. (Bild: ARD)
"Ich finde es falsch, dass wir mitwählen dürfen", kritisierte der Journalist Deniz Yücel. (Bild: ARD)

Yücel: "Ich finde es falsch, dass wir mitwählen dürfen"

Die Familie von Ufuk Varol verfolgte den Wahlabend zu Hause und wurde dabei von der Kamera begleitet. Eigentlich wähle seine Familie die oppositionelle CHP-Partei, sagte der 40-jährige Kölner. Er jedoch gab seine Stimme diesmal Erdogan: "Irgendwann mit der Erdogan-Regierung haben wir gesehen: Da tut sich etwas Ordentliches in der Türkei, was man leider hier nicht oft genug sieht in den deutschen Medien." Seine Oma wähle aber weiterhin die CHP, und sein Vater, so zeigte ein Einspieler, habe aus Skepsis gegenüber Erdogans Wahlversprechen dieses Mal überhaupt nicht gewählt. Umso positiver bewertete der Studiogast das Wahlergebnis: "Dass die Parteien und die Spitzenkandidaten fast gleich viele Stimmen bekommen haben, zeigt, dass die Demokratie noch funktioniert."

Im Studio lobte Varol die Regierung unter Erdogan: Die Einschränkung der Pressefreiheit, die Klamroth anführte, habe er "noch nie erlebt". Man könne die Demokratie nicht mit der in Deutschland vergleichen. Jedoch könne man "sagen, was man will". Er fuhr fort: "Das Volk wählt, und wenn das Volk wie in den letzten 20 Jahren immer wieder eine Person gewählt hat, dann kann diese Person nicht so falsch sein." Der Familienvater betonte: "Wir reden hier von einer Wahlbeteiligung von weit über 80 Prozent. Wann haben wir das das letzte Mal in Deutschland gehabt?"

Yücel hielt dagegen und brachte noch einen anderen Aspekt in die Debatte ein: "Ich finde es falsch, dass wir mitwählen dürfen", sagt er. Das Ziel der Demokratie sei, dass "Wahlbevölkerung und Wohnbevölkerung nicht allzu weit auseinanderdriften". Denn in Deutschland habe er nicht die Konsequenzen eines Wahlergebnisses in der Türkei zu tragen.

"Da tut sich etwas Ordentliches in der Türkei": Ufuk Varol lobte bei "Hart aber fair" die Leistung Erdogans. (Bild: ARD)
"Da tut sich etwas Ordentliches in der Türkei": Ufuk Varol lobte bei "Hart aber fair" die Leistung Erdogans. (Bild: ARD)