Freie Liebe, Tod & Terror: Die Serie "Tod den Lebenden" überschreitet Grenzen

Drei, die ein Kind zusammen bekommen wollen: Becky (Kristin Suckow, links), Heidi (Odine Johne) und Juklas (Julius Feldmeier). Auch darüber hinaus unterscheidet sich das in der ARD-Serie "Tod den Lebenden" gezeichnete Gesellschaftsbild ziemlich deutlich von dem anderer Fernsehformate. (Bild: ARD Degeto/Daria Biliak)
Drei, die ein Kind zusammen bekommen wollen: Becky (Kristin Suckow, links), Heidi (Odine Johne) und Juklas (Julius Feldmeier). Auch darüber hinaus unterscheidet sich das in der ARD-Serie "Tod den Lebenden" gezeichnete Gesellschaftsbild ziemlich deutlich von dem anderer Fernsehformate. (Bild: ARD Degeto/Daria Biliak)

Die sechsteilige Impro-Serie "Tod den Lebenden" ist ein provokantes ARD-Mediathekenstück über eine polyamoröse WG, in der es um (verbotene) Besitzansprüche, einen Kinderwunsch, tödliche Krankheiten und das Ende der Welt geht. Das ist bekloppt, ungemein provokant - und witzig.

Warum leben wir eigentlich in Zweierbeziehungen oder als Familie? Und wäre es wünschenswert, wenn sich bedingungslose Liebe auch über die eigenen vier Wände ausbreiten würde? Und was wäre, man die Klimakrise mit Waffengewalt aufzuhalten versucht? Ziemlich viel Utopie, Wahnsinn und "Das geht doch nicht"-Crash-Attitüde steckt in Tom Lass' ungewöhnlichem Sechsteiler "Tod den Lebenden", der ab Freitag, 15. September, in der ARD-Mediathek abrufbar ist und am Samstag, 16. September, 21.45 Uhr, bei ONE ausgestrahlt wird.

In den ersten beiden Folgen lernt man die Großstadt-WG von Heidi (Odine Johne), ihrer Freundin Becky (Kristin Suckow) und Juklas (Julius Feldmeier) kennen. Sie lieben sich zu dritt und leben, finanziert von Heidis Oma (Ursula Werner), die im Altersheim Geldbündel hortet, in den Tag hinein. Auch Gäste sind in der polyamorösen Kommune willkommen, die man für größere Liebesreigen mitbringen darf. Männer und Frauen, die den inneren Zirkel erweitern, aber auch bedrohen. Denn natürlich ist auch der Dreier rund um Heidi, Becky und Juklas nicht frei von Verletzungen, geheimen Wünschen und Besitzansprüchen.

Eine dieser "Neuen" ist die junge Aki (Lea van Acken), die sich einen "Babyhund" wünscht. Aki will aus der schwierigen Beziehungen zu ihrem anstrengenden Vater (Jan Henrik Stahlberg) ausbrechen und sucht die Nähe der anderen drei. Während es in den ersten beiden Folgen der sechsmal etwa 30 Minuten langen Serie vorwiegend um "Beziehungskisten" und einen komplizierten Kinderwunsch geht, schraubt sich "Tod den Lebenden" danach zu noch größeren Themen auf: Heidi scheint schwer erkrankt, womit die Liebenden umgehen müssen, und die Klimakrise scheint das Leiden der (unausgesprochenen) WG-Chefin zu verschärfen. Also müssen radikalere Maßnahmen her, um die Gesellschaft zu verändern. Die Liebenden planen, den Polizeipräsidenten (Jörg Schüttauf) zu entführen und sich mit schweren Waffen einzudecken. Dabei helfen andere "Revolutionäre" (unter anderem Hannah Schiller, Paul Wollin, Antonia Breitenbach und Céline Yildrim) mit, welche die Gruppe größer - aber auch unberechenbarer machen.

Liebe zu viert: Die WG-Bewohner Juklas (Julius Feldmeier), Heidi (Odine Johne, zweite von links), Akki (Lea van Acken) und Becky (Kristin Suckow, rechts) genießen ihr Zusammensein. (Bild:  ARD Degeto/Anderthalb Medienproduktion/Lotta Killian)
Liebe zu viert: Die WG-Bewohner Juklas (Julius Feldmeier), Heidi (Odine Johne, zweite von links), Akki (Lea van Acken) und Becky (Kristin Suckow, rechts) genießen ihr Zusammensein. (Bild: ARD Degeto/Anderthalb Medienproduktion/Lotta Killian)

Momente großer Zärtlichkeit und Wahrhaftigkeit

Wer - vielleicht als junger Mensch - die wilden Filme Jean-Luc Godards oder Rainer Werner Fassbinders kennengelernt hat, die provokant von alternativen Lebensmodellen und gesellschaftlichen Revolutionsideen erzählten, spürt bei "Tod den Lebenden" deutliche Retro- und Nostalgiegefühle. Die um die 30-Jährigen, von denen die Serie erzählt, denken und handeln naiver, aber eben auch sehr viel freier als es andere Fernsehformate oder gar die "normative Realität" vorsieht. Manchmal wirkt das - auch aufgrund der sichtbaren Schnitte im Improvisationsprozess während einer Szene - wie ein Amateurfilm. So als hätte man im Studentenwohnheim nach dem Köpfen einiger Flaschen billigen Weins mal schnell ein paar Szenen improvisiert. Aber - es ergeben sich über drei Stunden Spielzeit auch Momente großer Zärtlichkeit und Wahrhaftigkeit.

Ob die Serie jene Eskalationsstufe des bewaffneten Widerstands gebraucht hätte, die dem Ganzen eine deutlich groteske Note verleiht und an ambitionierte Theateraufführungen erinnert - geschenkt! Immerhin sieht man dem blendend aufgelegten, stark besetzten Ensemble seine Spielfreude an. Dass man über Jahre gemeinsam an den Charakteren und ihren Beziehungen gearbeitet hat, übrigens auch.

Sicher wird "Tod den Lebenden" traditionelle Zuschauergruppen, die sich in dieses ungewöhnliche Programm verirren, fassungslos zurücklassen. Es wird sie wahrscheinlich sogar wütend machen - und das sogar zu Recht, denn nach klassischen TV-Maßstäben ist die Serie bisweilen ziemlich "trashig". Trotzdem ist das Projekt des hochinteressanten 40-jährigen Schauspielers und Filmemachers Tom Lass, der im Frühjahr 2023 den sehr guten Lena Odenthal-"Tatort: Lenas Tante" inszenierte, ein wichtiges Stück Fernsehen. Einmal, weil es zeigt, wie entgrenzt Menschen handeln und denken können, wenn man sich nur trauen würde. Zum anderen ist "Tod den Lebenden" interessant, weil das Fernsehen mal das gleiche tun könnte.

Fertig für den Einsatz? Harper (Hannah Schiller, links), Stefan (Mo Issa, zweiter von links), Cassandra (Céline Yildirim, dritte von links), Akki (Lea van Acken) und Juklas (Julius Feldmeier) greifen zu den Waffen.
 (Bild: ARD Degeto/Daria Biliak)
Fertig für den Einsatz? Harper (Hannah Schiller, links), Stefan (Mo Issa, zweiter von links), Cassandra (Céline Yildirim, dritte von links), Akki (Lea van Acken) und Juklas (Julius Feldmeier) greifen zu den Waffen. (Bild: ARD Degeto/Daria Biliak)