Gastbeitrag von Gabor Steingart - Merkel, Ukraine und Anfeindungen: 5 Gründe, warum die AfD so stark wurde

Die alten und neuen Co-Vorsitzenden der AfD, Tino Churpalla und Alice Weidel.
Die alten und neuen Co-Vorsitzenden der AfD, Tino Churpalla und Alice Weidel.

Der anhaltende Erfolg der AfD sollte Anlass dafür geben, einen genaueren Blick auf die Treiber des Erfolgs dieser Partei zu werfen. Denn wer das nicht tut, schwächt die Rechtspopulisten nicht, sondern stärkt sie immer weiter.

Fakt ist:  Die AfD wird von 99 Prozent der Medien abgelehnt, aber nicht von 99 Prozent der Wählerinnen und Wähler. Die Kommentarlage entspricht nicht der Seelenlage der Nation, weshalb es lohnend sein könnte, nach diesem Parteitag in der Grugahalle von Essen nicht erneut die Schattenseiten der AfD zu beleuchten, die es reichlich gibt, sondern die Treiber ihres Aufstiegs zu betrachten.

Wenn in einem freiheitlich verfassten Staat  eine Partei sieben Jahre nach ihrem erstmaligen Einzug in den Bundestag (2017) die Spitzenposition in Ostdeutschland und Platz zwei in Westdeutschland erringen kann, muss es Gründe geben. Diese Aufstiegsgründe kann man bekämpfen oder begrüßen. Aber ignorieren sollte man sie nicht:

 

# Aufstiegsmoment 1:  Innerparteiliche Geschlossenheit

Der Weg der AfD  war zunächst geprägt von der Selbstzerstörung des Spitzenpersonals. Seit 2013 wurden vier Parteivorsitzende, der Gründer Prof.  Bernd Lucke  inklusive, verschlissen. Alle haben die Partei – unter Ausstoßung von allerlei Verwünschungen – mittlerweile verlassen.

Das heutige Führungsduo , bestehend aus  Tino Chrupalla  und Alice Weidel,  hat zumindest einen Modus Vivendi gefunden, der die offene Saalschlacht vermeidet und den  Konsens  betont. „Meine geliebte Alice“, flötete er, was sie artig respondierte. Es gilt das Motto: Lieber schlecht geschauspielert als gut gestritten.

Mit dem dritten im Bunde , dem thüringischen Landesvorsitzenden  Björn Höcke , hat man sich aus Gründen des Machterhalts arrangiert. Weidel, die ihn einst aus der Partei drängen wollte, hat klein beigegeben. Dieser Pakt zwischen dem Rechtsextremisten und der Mitte-Rechts-Politikerin garantiert im Moment die Statik der AfD.

# Aufstiegsmoment 2:  Der Erfolg nährt den Erfolg

Mittlerweile ist die AfD  mit 15 Mandaten im EU-Parlament, mit 77 Mandaten im Deutschen Bundestag und mit 252 Mandaten in 14 Landtagen vertreten. Rechnet man die Zahl der Referenten und Assistenten, aber auch die in jeder Stadt und vielen Gemeinden angemieteten Geschäftsstellen hinzu, ergibt sich eine stattliche Zahl von Mitarbeitern, die ihr Einkommen aus der politischen Tätigkeit für die AfD beziehen.

Laut Tätigkeitsbericht 2023  liegt das Reinvermögen der AfD bei rund 17,5 Millionen Euro. Durch Beiträge der inzwischen mehr als 46.000 Mitglieder hat die Partei im vergangenen Jahr 2,9 Millionen Euro eingenommen, 1,9 Millionen durch Spenden. Mit mehr als 44 Prozent stammte fast die Hälfte der Einnahmen 2023 aus staatlichen Mitteln – insgesamt rund 7,9 Millionen Euro.

# Aufstiegsmoment 3:  Vergröberung vergrößert

Die Anfeindungen  durch alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien nützen der AfD. Durch die Vergröberung ( Klingbeil : „Nazis“) und Abgrenzung ( Merz : „Die Brandmauer steht“) erscheint die Partei wirkmächtiger, als sie ist, was ihren Mitgliedern das Herz wärmt. Erst am Wochenende beschwor Weidel die AfD als verschworene Kampfgemeinschaft.

Erkennbar ist , dass der Kampf gegen Rechts, den SPD und Grüne, aber auch etliche Medien ausgerufen haben, zum Erstarken der Rechten führt. Der Satz, der im Privatleben gilt, der Mensch braucht Freunde, gilt in der Politik so nicht. Jede Anfeindung der AfD und auch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz empfinden ihre Anhänger und Sympathisanten als Stimulanz.  Ich werde verfolgt, also bin ich. 

Das Ergebnis:  Bei der Europawahl sind von SPD und CDU jeweils netto mehr als eine halbe Million Wähler zur AfD gewandert, so die Erhebungen von  infratest dimap.  Von der FDP sind mehr als 400.000 Menschen bei der AfD eingeparkt.

# Aufstiegsmoment 4:  Das Erweckungserlebnis

Der Gründungsmythos der AfD  geht auf das Jahr 2015 und die damalige Grenzöffnung zurück, die  Angela Merkel  als Bundeskanzlerin verfügt hatte. Zur Erinnerung: Infolge der Grenzöffnung beantragten 2015 fast eine halbe Million Menschen in Deutschland Asyl, 2016 waren es rund 750.000. Die Bundesbehörden konnten die Frage, wer und wie viele Menschen da eigentlich über die Staatsgrenze gekommen sind, zunächst nicht beantworten.

Damals sprachen Menschen  wie der ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof.  Papier  vom „Staatsversagen“. Diese Erinnerung an die damaligen Ereignisse treibt den AfD-Funktionären noch immer den Puls nach oben. Weidel in Essen: „Raus müssen diejenigen, die millionenfach illegal seit dem Merkel-CDU-Willkommensputsch 2015 in unser Land reingekommen sind. Ein kompletter Kontrollverlust! Das hat die CDU angerichtet! “

Da die Migration , und zwar insbesondere die illegale Migration, weiter zunimmt, spürt die AfD Rückenwind. In den vergangenen zehn Jahren wurden in der Bundesrepublik rund 860.000 illegale Einreisen registriert. Jede nicht erfolgte Abschiebung und jede neuerliche Messerattacke zahlt auf das AfD-Konto ein.

 

# Aufstiegsmoment 5:  Die neue Anti-Kriegspartei

Die militärische Unterstützung  für die Ukraine ist in Deutschland hoch umstritten. Ausweislich aller Umfragen ist die Bevölkerung bei jeder neuen Waffenlieferung gespalten. Die anfängliche Sympathie für die überfallene Ukraine schlug schnell in die Angst vor einer Eskalation des Konflikts mit Auswirkungen auch auf den Wohlstand und die Sicherheit der Bundesrepublik um.

Die AfD , die erst kürzlich demonstrativ der Rede von  Selenskyj  im deutschen Bundestag fernblieb, konkurriert heute mit dem Bündnis  Sahra Wagenknecht  um die Rolle als Anti-Kriegspartei. Alice Weidel sagte auf dem Parteitag, mit Blick auf die Diskussion um eine Wehrpflicht:

“Diese Herren Ampelminister sollten endlich Verantwortung übernehmen und selbst an die Front gehen. Aber Hände weg von unseren Söhnen und Vätern. “

Fazit:  Die nach 2015 entstandenen Repräsentationslücke im Parteienstaat ist das Gestüt, in dem die AfD ihre Pferde sattelt. Wer die sachlichen Gründe ihres Entstehens lediglich rhetorisch bekämpft, hält für Alice Weidel nicht das Stoppschild in der Hand, sondern den Steigbügel.