Gastbeitrag Gabor Steingart - „Motor für eine neue industrielle Revolution“ – warum Nvidia wichtiger als Scholz ist

Es handelt sich um eine „déformation professionnelle“ vieler Journalisten: In den Medien kommt es zur Geringschätzung wirtschaftlicher Vorgänge bei gleichzeitiger Überpriorisierung der politischen Zeremonie. Zur Börseneröffnung wird nun mal nicht die Nationalhymne gespielt. Beim Übergang von der Schreibmaschine zum Computer landete keine Airforce One.

Doch die politischen Kommentatoren, rund 900 Journalisten sind bei der Bundespressekonferenz und 1.500 im Weißen Haus als Hauptstadtjournalisten akkreditiert, legen großen Wert auf Statussymbole. Man verfolgt mit hohem Technik- und Energieaufwand den jeweiligen Regierungschef. Seine Worte, auch das Nichtssagende, seine Schritte, vor allem die Stolperer, werden analysiert und inszeniert. Das Scheinwerferlicht scheint 24/7 auf Olaf Scholz , Joe Biden und Co.

Eine Art Staatsjournalismus ist entstanden, der nicht mehr nach der wahren Bedeutung oder eben Nichtigkeit dieser Regierungsroutine für die Zuschauer fragt, sondern dem Mechanismus der Selbstbestätigung folgt: Ich berichte, also bin ich.

Die Ereignisse werden bedeutsam, weil man sie für bedeutsam erklärt.

Der Regierungschef ist wichtig, weil er und seine Beobachter ihn wichtig nehmen.

Und nicht wenige Berichterstatter leben in der Annahme, dass ein von Glanz und Gloria geprägtes politisches Zeremoniell auf sie abstrahlt. Der österreichische Schriftsteller und Satiriker Karl Kraus hat sich über das schematische und floskelhafte, das oft parfümierte und zuweilen post-feudalistische Gebaren der Journalisten lustig gemacht. Seine Definition des Hofberichterstatters:

„Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben; man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.“

Nichts gegen Olaf Scholz und Joe Biden, aber wichtige, den Alltag von Millionen verändernde Ereignisse finden oft nicht in einer ihrer Regierungszentralen und daher auch nicht auf den Frontseiten der Tageszeitungen statt:

Mit der Erfindung des iPhones hat Steve Jobs das Leben nachhaltiger – um den Lieblingsbegriff der Politiker zu benutzen –, verändert, als alles, was Scholz und Biden bisher abgeliefert haben.

Elon Musk und seine Milliardenwette auf die Elektromobilität werden ihre Spuren in der Menschheitsgeschichte hinterlassen, wenn die Parteitagsreden unserer Spitzenpolitiker längst verklungen sind.

Auch der Aufstieg des amerikanischen Unternehmens Nvidia zählt zu jenen geschichtsträchtigen Ereignissen, die auf keiner Frontseite stattfinden und noch nie eine Nachrichtensendung eröffnet haben. Nur die Unternehmensdaten künden stumm davon, dass über der Globalwirtschaft ein neuer Nordstern aufgestiegen ist.

#Hochleistungschips für das elektronische Hirn

Klüger als das Hirn: Ein KI-Modell, auch neuronales Netz genannt, ist eine „mathematische Lasagne“, wie Nvidia es nennt, die aus mehreren Schichten linearer Algebra-Gleichungen besteht. Die tausenden winzigen Recheneinheiten arbeiten parallel, sodass die Künstliche Intelligenz innerhalb weniger Sekunden ihre Antworten liefern kann. Die Nvidia-Chips werden in den Rechenzentren von Meta, Microsoft und Co. verbaut.

Marktmacht: Im Segment der Grafikprozessoren (GPUs) für KI-Rechenzentren kommt Nvidia derzeit auf einen Marktanteil von über 90 Prozent. Ihre Chips rechnen und verknüpfen schneller als das Hirn.

Innovationsgeist: Erst im März stellte Nvidia seinen neuen Chip namens Blackwell vor – ein „Motor für eine neue industrielle Revolution“, so CEO Jensen Huang.

#Die Gewinnmaschine

Immer weiter: Viermal in Folge hat Nvidia bei der Verkündung der Quartalszahlen ein Wachstum von über 400 Prozent gemeldet. Im abgelaufenen Quartal wurde der Gewinn auf 14,88 Milliarden Dollar im Jahresvergleich mehr als versiebenfacht.

Solide Fundamentaldaten: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von Nvidia liegt damit bei rund 50. Vor einem Jahr betrug das KGV von Nvidia noch 150, d. h. der spekulative Anteil der Bewertung war deutlich größer. Zum historischen Vergleich: Als die Dotcom-Bubble platzte, lag der Branchenschnitt der Technologiefirmen bei einem KGV von rund 200.

#Der Börsenstar

Auf dem Sprung nach ganz oben: Am vergangenen Mittwoch konnte Nvidia als wertvollstes Unternehmen der Welt (3,34 Billionen US-Dollar) an Apple##chartIcon (3,29 Billionen Dollar) und Microsoft##chartIcon (3,32 Dollar) vorbeiziehen. Aktuell ist das Unternehmen mit einem Wert von 3,11 Billionen Dollar zwar wieder auf Nummer drei gerutscht, aber der Platz im Olymp der Technologie-Unternehmen scheint fürs Erste gesichert.

Blickwechsel: Die 40 Unternehmen des Deutschen Aktienindex kommen gemeinsam auf eine Bewertung von 1,75 Billionen Euro (1,9 Billionen US-Dollar).

Wachstumswunder par excellence: Seit Anfang 2022 konnte Nvidia seine Börsenbewertung von damals rund 733 Milliarden also mehr als vervierfachen. Zum Vergleich: Microsoft legte im gleichen Zeitraum bei der Marktkapitalisierung nur um knapp 32 Prozent auf 3,34 Billionen US-Dollar zu, Apple konnte seine Bewertung nur um rund neun Prozent auf 3,18 Billionen US-Dollar steigern.

Nvidia treibt die gesamte Börse an

Strahlkraft: Mit diesem Megawachstum ist Nvidia seit Jahresbeginn für ein Drittel der Kursgewinne im S&P 500 verantwortlich, was nach den Investmentbanken und großen Fondsgesellschaften auch die kleinen Anleger auf den Plan rief.

Schnelle Umdrehung: Die Aktie ist die am meisten gehandelte Aktie an der Wall Street, bis zu 80 Milliarden Papiere wechseln täglich die Besitzer. Bei Apple, Tesla und Microsoft sind es nur rund zehn Milliarden.

#Basisinvestment für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz

Das Potenzial: Das McKinsey Global Institute geht davon aus, dass etwa 70 Prozent aller Unternehmen bis 2030 mindestens KI-Technologie einsetzen werden. Die Forscher prognostizieren, dass KI eine zusätzliche Wirtschaftsleistung von rund 13 Billionen US-Dollar erbringen und das globale BIP jährlich um etwa 1,2 Prozent steigern könnte.

Wobei: Die wahre historische Größe von Nvidia steckt noch im Nebel des Künftigen. Der Markt muss jetzt beweisen, dass er die Effizienzfortschritte auch tatsächlich erzielen kann. Das „Zweite Maschinenzeitalter“, wie die MIT-Forscher Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson es nennen, ist jetzt eine Möglichkeit, aber noch keine Gewissheit.

Fazit : Es lohnt sich, auf die Akteure hinter den politischen Darstellern zu schauen. Sie sind weniger geschwätzig, aber wirkungsmächtiger. Das Wissen um ihre Pläne und Prioritäten bildet – auch Kapital. Beispiel Nvidia: Seit dem Börsengang 1999 hat die Aktie um 600.000 Prozent zugelegt. Wer eintausend Dollar investierte, besitzt heute sechs Millionen Dollar.

Zum Vergleich: Die emotionalen Investitionen in Joe Biden und Olaf Scholz haben sich nicht in gleicher Weise rentierlich entwickelt. Joe Biden kämpft gegen den Abstieg. Olaf Scholz steht kurz vor dem Delisting.

Surftipp: Überlässt nichts dem Zufall - CEO Jensen Huang: Was Entscheider vom Mega-Erfolg des Nvidia-Rebells lernen können