Gastbeitrag von Gabor Steingart - Jetzt zeigt sich: Der Ampel geht es nur um Macht, nicht um Deutschland

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, l-r), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gehen im Bundeskanzleramt über einen Balkon.<span class="copyright">Sebastian Christoph Gollnow/dpa</span>
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, l-r), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gehen im Bundeskanzleramt über einen Balkon.Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Der Haushaltskompromiss 2025 zeigt den Fokus der Ampel auf Machterhalt statt auf notwendige Reformen. Verteidigung, Wirtschaft und Sozialstaat bleiben auf der Strecke, während die Regierung unrealistische Wachstumsziele verfolgt.

Alle Medien haben den Koalitionskompromiss zur Haushaltsplanung 2025 mittlerweile kommentiert – meistens aus Sicht der Beteiligten. Der Hauptstadt-Journalismus legt nun mal keinen eigenen, sondern in der Regel den gelben, grünen oder roten Maßstab an.

Aus Sicht der drei beteiligten Parteipolitiker – Olaf Scholz spricht vom Gesamtkunstwerk – kann man das Ganze durchaus smart und clever finden: Kein Koalitionsbruch. Keine Verfassungskrise. Kein Job muss neu ausgeschrieben werden. Scholz darf Kanzler und Habeck sein Vize bleiben. Immerhin.

Doch Politik ist nur ein anderes Wort für Richtungsentscheidung. Und genau diese Richtungsentscheidung hat nicht stattgefunden. Denn es ging nicht zuerst um Deutschland. Es ging zuerst um Machterhalt.

 

So handelt es sich bei diesem Haushaltskompromiss um ein Sammelsurium an wohlfeilen Zusagen und luftigen Annahmen, die einen seriösen, parlamentarischen Prozess im Deutschen Bundestag und dessen Haushaltsausschuss nicht überleben dürften.

Wichtig zu wissen: Das Budgetrecht ist das vornehmste Recht der Parlamentarier. Seit den Zeiten von Reichskanzler Bismarck gebührt nur ihnen das Recht, Einnahmen und Ausgaben des Staates festzusetzen. Hier endet die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers. Er und seine Minister können lediglich Vorschläge machen.

Und genau deshalb wird sich ein selbstbewusstes und in Finanzfragen erfahrenes Parlament das, was Robert Habeck, Christian Lindner und Olaf Scholz als „Gesamtkunstwerk“ präsentiert haben, nicht gefallen lassen. Die objektiv gebotenen Prioritäten und dieser Koalitionsbeschluss passen nicht zusammen.

# Priorität 1: Deutschlands Verteidigungskräfte stärken

Verteidigungsminister Boris Pistorius und die Bundeswehr sind die großen Verlierer dieses Kompromisses. Pistorius wollte den Etat der Landesverteidigung von aktuell rund 52 Milliarden Euro um mindestens 6,5 Milliarden Euro aufstocken. Nicht, weil er ein Knecht der Rüstungsindustrie wäre, sondern weil die Bundeswehr sich in einem jämmerlichen Zustand befindet.

Die unbequeme Wahrheit: Sobald das Sondervermögen Bundeswehr aufgebraucht ist, reicht es wieder nicht, das Zwei-Prozent-Ziel, das man innerhalb der Nato versprochen hat, zu halten. Die ständigen Einnahmen sind zu gering.

Bekommen soll Pistorius im nächsten Jahr nur etwa 1,2 Milliarden Euro zusätzlich. Der Bundeswehr-Etat ist damit kein Etat der Zeitenwende, sondern Ausdruck vorsätzlicher Ignoranz. Man hofft, dass Putin nicht durchzieht. Man verlässt sich weiter auf die militärischen Kapazitäten der USA. Man macht sich mit großen Worten im Parlament wichtig (Scholz: „Wir erleben eine Zeitenwende.“) und hofft am Wahltag auf die Vergesslichkeit des Publikums.

# Priorität 2: Der Schmu mit den Minderausgaben

Im Haushalt 2025 liegt die globale Minderausgabe bei 16 Milliarden. Das bedeutet, 16 Milliarden Euro fehlen noch zum ausgeglichenen Haushalt. Der Laie denkt bei den Worten „globale Minderausgabe“, hier sei kräftig gespart worden.

Das Gegenteil ist richtig: Diese Worte sagen, hier müsste eigentlich gespart werden, aber wir konnten uns nicht entscheiden, wo und wie wir den Rotstift ansetzen sollen.

Damit beschreibt dieser Terminus das Ausmaß der Nichteinigung. Es ist den dreien nicht gelungen, sich in dieser doch enormen Größenordnung auf Sparvorschläge zu verständigen. Die Prioritätensetzung fand nicht statt, was im Klartext bedeutet: Nach der Einigung ist vor dem Konflikt. Die richtige Überschrift über diesem Ergebnis wäre gewesen: We agree to disagree.

# Priorität 3: Angebotsbedingungen der Unternehmen verbessern

Die deutsche Wirtschaft und insbesondere der Mittelstand können unter den herrschenden Angebotsbedingungen keine hohen Wachstumsraten erzielen. Der Cocktail aus hohen Löhnen, Steuern, Lohnnebenkosten, Zinsen, erhöhter Inflation und Energiepreisen sowie einem Höchststand bei den Bürokratiekosten ist nicht nur ungesund, sondern giftig.

Dieses Gift lähmt das Wachstum. Deshalb zieht sich die Wirtschaft zusammen.

Wer in dieser Situation „patriotische Investitionen“ anmahnt, wie der Wirtschaftsminister es tut, macht sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Er reagiert wie ein Arzt, der den sich vor Schmerzen krümmenden Patienten auffordert, sich zusammenzureißen.

# Priorität 4: Mehr Realismus wagen

Die skizzierte Wachstumsinitiative des Einigungsbeschlusses ist in den Ausgaben kalkulierbar, aber nicht in den Einnahmen. Die Annahme, 2025 werde das „Wachstumspaket“ – bestehend aus 49 Maßnahmen, die Investitionen fördern und Bürokratie abbauen sollen – zu 0,5 Prozent zusätzlichem Wachstum führen, ist eine Schätzgröße. 26 Milliarden Euro mehr Wirtschaftsleistung sollen dadurch entstehen, sagt der Wirtschaftsminister.

Der unterstellte Effekt ist unseriös, weil allein der staatliche Impuls, der von den geplanten Maßnahmen ausgeht, niemals ein fast doppelt so hohes Wachstumstempo aufweisen kann, wie die für 2024 von der Bundesregierung erwarteten 0,3 Prozent. Hier wird mit Zahlen gespielt wie im Kasino.

# Priorität 5: Sozialstaat begrenzen

Zwingend notwendig wäre es, das Wachstum des Sozialstaates zu bremsen und anschließend den Etat zu limitieren. Seit Jahren wächst der Sozialetat schneller als die Volkswirtschaft, was bedeutet, dass die Wohlstandsmaschinerie überfordert wird. Angesichts einer alternden Bevölkerung ist dieser Sozialstaat nicht zukunftsfest.

Der Staat muss – weil er sich nicht traut, den Bürgern die Wahrheit zu sagen – immer höhere Anteile von Löhnen, Gewinnen, Dividenden Vermögenswerten und Boni konfiszieren, um jene Rechtsansprüche zu befriedigen, die er gegenüber Menschen ausreicht, denen er Bedürftigkeit attestiert. Das Bürgergeld bleibt unangetastet. Im kommenden Jahr ist eine weitere Kindergelderhöhung geplant. So werden die Probleme nicht gelöst, sondern verschärft.

# Priorität 6: Mehr Privatwirtschaft wagen

Anstatt die privaten Bautätigkeiten durch eine Entrümpelung des Baurechts und mehr Flexibilität beim Mieterschutz anzuregen, will man zusätzliches Steuerzahlergeld in den sozialen Wohnungsbau pumpen. Die Entfesselung der privaten Bautätigkeit, die in Deutschland de facto zum Erliegen gekommen ist, versucht man durch staatliche Ersatzhandlung zu substituieren. Das kann nicht gelingen.

Es fehlen in diesem Jahr 600.000 Wohnungen, sagt der Rat der Immobilienweisen. Im vergangenen Jahr wurde der Neubau von nur knapp 50.000 Sozialwohnungen gefördert. Problem und Lösung passen wieder mal nicht zueinander. Die Notlage auf dem Wohnungsmarkt wird trotz dieser Summen nicht verschwinden, sondern sich verschärfen.

 

Fazit: Was man da beschlossen hat, dient dem Erhalt der Macht, aber nicht dem Erhalt von Wohlstand und Sicherheit in Deutschland. Der Tag, an dem das Volk merkt, dass die Regierung zu keiner Prioritätensetzung in der Lage ist, wird kein guter Tag für die Ampel. Oder um es mit Franz Josef Strauß zu sagen:

„Everybody’s Darling is Everybody’s Depp.“

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