Israel setzt Vorbereitungen für Offensive fort
Israels Angriffe haben laut Hamas-Behörden fast die Hälfte aller Häuser im Gazastreifen beschädigt oder zerstört. Forderungen nach einem humanitären Waffenstillstand lehnt Israel derzeit ab.
Tel Aviv/Gaza/Genf (dpa) - Mit weiteren Angriffen auf die militärische Infrastruktur der Hamas und einem erneuten Vorstoß einzelner Truppen in den Gazastreifen bereitet Israel die erwartete Bodenoffensive weiter vor.
Die israelische Armee griff nach eigenen Angaben binnen 24 Stunden mehr als 250 Ziele im Gazastreifen an. Darunter seien Tunnel der islamistischen Hamas sowie Kommandozentren und Raketenabschussrampen gewesen, teilte die Armee mit.
Im Gazastreifen stieg die Zahl der Todesopfer laut der von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde unterdessen auf 7326. Darunter sollen 3038 Kinder und Jugendliche sowie 1792 Frauen sein, wie das Ministerium mitteilte. 18.967 Palästinenser wurden den Angaben nach verletzt. Am Donnerstag hatte die Behörde noch von insgesamt 7028 Todesopfern gesprochen. Die Zahlen des Ministeriums waren zunächst nicht unabhängig zu überprüfen.
Das UN-Nothilfebüro OCHA erklärte unter Berufung auf Hamas-Behörden, dass fast die Hälfte aller Häuser im Gazastreifen durch israelische Angriffe zerstört, unbewohnbar oder beschädigt worden sei.
Israel: «Dutzende» Hamas-Kämpfer getroffen
«Dutzende» Hamas-Mitglieder seien bei den Attacken getroffen worden, hieß es von israelischer Seite. Auch ein ranghoher Hamas-Befehlshaber sei getötet worden. Der Kommandeur Madhat Mubaschar sei an mehreren Sprengstoff- und Scharfschützenangriffen auf israelische Zivilisten und Soldaten beteiligt gewesen.
Unterdessen kam es nach rund zehnstündiger Pause in mehreren israelischen Ortschaften erneut zu Raketenalarm. Am Nachmittag heulten auch in der Küstenstadt Tel Aviv die Sirenen. Beim Einschlag einer Rakete wurden dort Helfern zufolge drei Menschen verletzt. Nach Angaben Israels wurden seit Kriegsbeginn bereits mehr als 8000 Raketen von palästinensischen Extremisten aus dem Gazastreifen abgefeuert. Die allermeisten davon werden von Israels Raketenabwehrsystem abgefangen.
Israel lehnt humanitäre Feuerpausen «derzeit» weiter ab
Die Forderung der Staats- und Regierungschefs der EU vom Donnerstagabend nach «humanitären Korridoren und Pausen für humanitäre Zwecke» im Gazastreifen wies Israel zurück. «Israel lehnt einen humanitären Waffenstillstand derzeit ab», sagte ein Sprecher des Außenministeriums. Dazu zähle «jegliche Art geforderter Feuerpausen».
Macron wirft Israel «undifferenziertes Bombardement» vor
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat angesichts der massiven israelischen Angriffe auf Ziele im Gazastreifen von einem «undifferenzierten Bombardement» gesprochen. Frankreich erkenne den Willen und das Recht Israels vollständig an, gegen die Terroristen der Hamas zu kämpfen, und sei bereit, zu helfen. «Aber wir sind der Ansicht, dass die vollständige Blockade, das undifferenzierte Bombardement und erst recht die Aussicht auf eine massive Bodenoffensive nicht geeignet sind, die Zivilbevölkerung angemessen zu schützen», sagte er nach einem Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder in Brüssel.
UN-Menschenrechtsbüro sieht Kriegsverbrechen aufseiten Israels
Das UN-Menschenrechtsbüro wirft Israel Kriegsverbrechen vor. Den mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen Strom und Treibstoff vorzuenthalten, sei eine kollektive Bestrafung. «Kollektive Bestrafungen sind ein Kriegsverbrechen», sagte die Sprecherin, Ravina Shamdasani, in Genf.
Der Treibstoffmangel zwinge zur Schließung von Krankenhäusern und Bäckereien. Menschen lebten unter verheerenden Bedingungen, ohne sauberes Trinkwasser und unzureichenden sanitären Einrichtungen. «Für die 2,2 Millionen Menschen, die im Gazastreifen eingeschlossen sind und kollektiv bestraft werden, bahnt sich eine humanitäre Katastrophe an», sagte Shamdasani.
Sie fügte hinzu, dass auch die Entführung von Zivilisten ein Kriegsverbrechen sei. Infolge des Hamas-Angriffs auf Israel am 7. Oktober kamen mehr als 1400 Menschen ums Leben, mehr als 200 Geiseln wurden in den Gazastreifen verschleppt. Die Hamas wird von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft.
Zahl der Geiseln höher als bisher angenommen
Die Zahl der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln ist höher als bisher von Israel angenommen. Man habe bis Freitag die Familien von 229 Geiseln informiert, sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari. Das waren fünf mehr als noch am Vortag. Es werde erwartet, dass die Zahl noch steigen könnte.
Die vier von der islamistischen Hamas bereits freigelassenen Geiseln sind nach Militärangaben bei der Zahl nicht mit eingerechnet. Nach israelischen Informationen sind unter den Geiseln Bürger aus 25 Staaten, darunter auch Deutsche.
WHO: Diskussion über Opferzahlen nicht angebracht
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält die Diskussion über die Verlässlichkeit der Opferzahlen, die von der im Gazastreifen herrschenden Palästinenserorganisation Hamas stammen, für zynisch. Die WHO habe über Jahre keinen Anlass für Zweifel an Zahlen dieser Gesundheitsbehörden gehabt, sagte der WHO-Vertreter für die besetzten palästinensischen Gebiete, Richard Peeperkorn.
Es mache auch keinen Unterschied, ob es tausend mehr oder weniger Opfer gebe - die humanitäre Lage im Gazastreifen sei katastrophal, die Zahl der Opfer durch israelische Angriffe enorm. Nach Angaben von Peeperkorn funktionieren noch 23 der insgesamt 35 Krankenhäuser im Gazastreifen teilweise. Es müsse teils auf dem Fußboden operiert werden, sagte er.
Tote im Westjordanland
Bei Konfrontationen mit dem israelischen Militär im Westjordanland sind nach palästinensischen Angaben vier Menschen getötet worden. In der Stadt Dschenin seien drei Palästinenser durch israelische Schüsse ums Leben gekommen, hieß es. Ein weiterer Palästinenser sei in der Stadt Kalkilija getötet worden. Dem israelischen Militär zufolge soll es sich bei mindestens einem Toten in Dschenin um ein Mitglied einer militanten Palästinenserorganisation gehandelt haben.
Dritter EU-Hilfsflug für Gaza gestartet
Ein dritter von der EU finanzierter Flug mit 51 Tonnen Hilfsgütern für die Menschen im Gazastreifen hat sich auf den Weg in die Region gemacht. Am Freitag sei eine Maschine in Kopenhagen gestartet, teilte die EU-Kommission mit. Sie bringe unter anderem Medikamente nach Ägypten. Die EU finanziere die Gesamtkosten aller Flüge, hieß es.
Aus Ägypten sollen die Hilfsgüter weiter nach Gaza transportiert werden. Die Güter werden den Angaben zufolge über Partnerorganisationen wie das Internationale Rote Kreuz abgewickelt. Bislang kommen allerdings nur sehr wenig Hilfsgüter in dem abgeriegelten Küstengebiet an.
Noch viele Deutsche in der Krisenregion
In der Krisenregion im Nahen Osten befinden sich trotz des Gaza-Kriegs noch immer einige tausend deutsche Staatsbürger. Nach Angaben des Auswärtigen Amts sind derzeit etwa 2700 Deutsche in Israel. Im Nachbarland Libanon, wo die Bundesrepublik ihre Staatsbürger ausdrücklich zur Ausreise aufgerufen hat, sind es demnach knapp 1100.
Im Gazastreifen geht das Berliner Ministerium von einer «niedrigen dreistelligen» Personenzahl aus. Insgesamt sollen es in den Palästinensergebieten etwa 490 Menschen sein. Gezählt werden dabei aber ausschließlich jene Bundesbürger, die sich freiwillig auf einer Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amts eingetragen haben.
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