Wie geht es in Italien nach Mario Draghis Rücktrittsgesuch weiter?

Politische Veränderungen sind in Italien nichts Neues. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat das Land Dutzende Regierungskrisen erlebt. Letzte Woche bot Ministerpräsident Mario Draghi seinen Rücktritt an, nachdem ein Koalitionspartner eine wichtige Senatsabstimmung boykottiert hatte.

Draghi wird am Mittwoch eine Rede vor dem italienischen Parlament halten, und die anschließende Debatte wird mit darüber entscheiden, ob er im Amt bleiben wird oder nicht.

Gaetano Azzariti arbeitet als Professor für Verfassungsrecht an der Universität La Sapienza in Rom und erklärt die möglichen Folgen des Rücktritts von Italiens Ministerpräsident. "Wenn nach der Rede von Draghi vor dem Parlament und der anschließenden Debatte, wieder eine neue Einigung zwischen allen Parteien erreicht wird, dann kann die Regierung weitermachen", erklärt Azzariti. Das sei vielleicht die beste Lösung für die Regierung, aber nicht die wahrscheinlichste. Die zweite Möglichkeit sei, so Azzariti, dass man sich nicht einigt. "Dann müssen die Gründe für die Meinungsverschiedenheiten irgendwie geklärt werden, und das ist der eigentliche Zweck der parlamentarischen Debatte." Es sei wahrscheinlich, dass der Rücktritt der Regierung erfolgt, erklärt der Professor für Verfassungsrecht. Staatspräsident Mattarella müsse dann entscheiden, ob er das Parlament direkt auflöst will oder ob er versuchen will, eine neue Regierung zu finden. Letzteres sei jedoch unwahrscheinlich.

Letztendlich wird es immer noch der Staatschef sein, der entscheiden muss, was getan wird.

Präsident Sergio Mattarella hatte Draghis Rücktrittsgesuch zuvor nicht angenommen - zumindest vorläufig.

"Sollte Draghi zurücktreten und seinen Rücktritt bestätigen", so Azzariti, "dann wird der Staatschef die Dinge sehr beschleunigen". Es sei absehbar, dass es Anfang Oktober, wahrscheinlich am Sonntag, den 2. Oktober, zu Neuwahlen kommen könnten, erlärt Azzariti.

Gregorio Borgia/Copyright 2022 The Associated Press. All rights reserved.
Italiens Ministerpräsident Mario Draghi - Gregorio Borgia/Copyright 2022 The Associated Press. All rights reserved.

Draghi ist kein Politiker, und in den 17 Monaten seiner Amtszeit hat er sich in Westeuropa den Status eines Staatsmannes erworben, weil er die Hilfe für die Ukraine entschlossen unterstützt und die Bemühungen um die Umsetzung von Wirtschaftsreformen vorangetrieben hat. Vor allem seine entschiedene Unterstüztung für Waffenlieferungen an die Ukraine war bei seinem Koalitionspartner der 5-Sternebewegung auf Widerstand gestoßen

Im Gegensatz zu vielen früheren politischen Krisen in Italien, die von vielen Bürgern achselzuckend hingenommen wurden, bitten diesmal viele Italiener Draghi, zu bleiben. Eine vom ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi ins Leben gerufene Online-Petition mit dem Titel "Draghi, bleib" hatte bis zum späten Montagabend mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt. Hunderte von Bürgern und Politikern versammelten sich am Montag auf den Plätzen von Rom, Mailand und anderen Städten, um dafür zu demonstrieren, dass Draghi Ministerpräsident bleibt.