George Harrison: Der Beatle, der keiner mehr sein wollte
Gärtner und Rennsport-Fan, Filmproduzent und Familienvater, Solomusiker und Supergroup-Mitglied: Nach dem Ende der Beatles wollte George Harrison vieles sein - am liebsten aber so weit wie möglich aus der Öffentlichkeit verschwinden.
Man nannte ihn den "stillen Beatle". Manchmal sogar "schüchtern". Zugegeben: Dass George Harrison neben zwei ausgemachten Alphatieren, die ihren jüngeren Bandkollegen mal abfällig, mal liebevoll als "kleinen Bruder" (Paul McCartney) oder "netten Jungen" (John Lennon) bezeichneten, eher zurückhaltend wirkte, ist nachvollziehbar. Dass sich der Gitarrist nie in den Vordergrund drängte, hatte aber vor allem einen Grund: Harrison fühlte sich - im Gegensatz zu seinen Bandkollegen - als Popstar nie wirklich wohl.
Für ihn war es eine Rolle, die er nach dem Ende der Fab Four nicht mehr spielen wollte: "George, der Beatle, das ist für mich wie ein Hemd oder ein Anzug, den ich früher bei Gelegenheit mal getragen habe", sagte er einst dem "Rolling Stone". "Ich spiele ein bisschen Gitarre, schreibe ein paar Lieder und mache ein paar Filme, aber nichts davon bin ich." Ohnehin hatte der "stille Beatle", der am 25. Februar seinen 80. Geburtstag gefeiert hätte, viele Gesichter - auch (vermeintlich) widersprüchliche.
George Harrison: Der neugierige Beatle
Harrison, der am 25. Februar 1943 in Liverpool als Sohn eines Busfahrers und einer Verkäuferin zur Welt kam, wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Dass sein Vater wollte, dass George nach seinem mittleren Abschluss weiter zur Schule geht, verwundert nicht. Stattdessen begann er - ganz bürgerlich - eine Ausbildung als Elektriker in einem Kaufhaus. Er wartete dort aber wohl nur auf seine Chance, seinen Traum von der Musikkarriere zu verwirklichen. Mit gerade mal 17 Jahren ging Harrison mit den Beatles nach Hamburg, wo er allerdings aus den Nachtclubs geschmissen wurde, weil er noch zu jung war.
Nicht nur seine Leidenschaft für Musik, die bei ihm wie bei vielen Stars seiner Generation durch Elvis geweckt wurde, sondern vor allem seine Neugier trieb George Harrison dabei um und um die Welt, wie er 1964 im Fan-Magazin "Beatles Book" erklärte: "Ich genieße es, mir neue Ideen und andere Meinungen anzuhören. Darum geht es im Leben - neue Dinge herauszufinden und neue Fakten zu lernen." Er war es folglich auch, der seinen Beatles-Kollegen neue Songs aus den USA vorspielte, der zum ausgemachten Soul-Kenner avancierte und der zunächst die Sitar ("Norwegian Wood") und später weitere Elemente nicht-westlicher, vor allem aber indischer Musik in den Beatles-Kosmos einbrachte.
Solokarriere trotz oder wegen der Beatles?
Durch Harrisons neu gefundene Liebe für die Kultur des Subkontinents und seine Begeisterung für die Lehren des Hinduismus ließ sein Interesse am Schaffen der Beatles bereits Mitte der 60er-Jahre deutlich nach. Dazu bei trug sicherlich auch, dass Paul McCartney und John Lennon als Hauptsongwriter der "Fab Four" eher dominant auftraten, wenn es darum ging, das eigene Songmaterial bei den Beatles unterzubringen. Vor allem Paul sei in dieser Hinsicht "penetrant" gewesen, sagte Harrison 1979 in einem "Rolling Stone"-Interview: "Wenn er mal nachgab und einen deiner Songs spielte, dann machte er das immer gut. Aber man musste vorher 59 Songs von Paul spielen, bevor er überhaupt mal einen deiner Songs anhörte."
Bei weitem nicht die einzige Spitze, die Harrison über seine (ehemaligen) Bandkollegen vom Stapel ließ. Und bei allem bitterbösen Humor, den er besaß, und bei aller Bescheidenheit, mit der er über sein eigenes Schaffen sprach: Dass er in der öffentlichen Wahrnehmung trotz der von ihm geschriebenen Klassiker "Here Comes The Sun", "Something" und "While My Guitar Gently Weeps" stets hinter Lennon und McCartney zurückblieb, ließ Harrison offensichtlich nicht völlig kalt. Seine musikalischen Leidenschaften lebte er ohnehin schon bald ohne seine Kollegen aus: Er war der erste Beatle, der - noch vor der Trennung der Band - zwei eher experimentelle und fast ausschließlich instrumentale Soloalben, "Wonderwall Music" (1968) und "Electronic Sound" (1969), veröffentlichte.
George Harrison: Formel-1-Fan, Familienvater, Filmproduzent
Als sich die Band auflöste, fühlte sich Harrison folglich auch wie von einer Last befreit: Es sei "großartig" gewesen, dass die Trennung ihm ermöglicht habe, "meine eigene Platte zu machen", sagte er 2000 in einem Interview. Das Dreifachalbum "All Things Must Pass" (1970) wurde ein kommerzieller wie künstlerischer Triumph, führte aber zunächst zu einer paradoxen Situation. Harrison, der nie müde wurde zu betonen, wie wenig ihm Ruhm bedeutete, machte aufgrund des großen Erfolgs des Albums einfach weiter, obwohl er nie vorgehabt hatte, eine Solokarriere zu starten und weiterhin im Rampenlicht zu stehen.
Dass Harrison tatsächlich alles andere als einen Masterplan verfolgte, zeigte sich bald. Er leistete es sich und konnte es sich leisten, seinen Leidenschaften nachzugehen - oder auch nicht. Er sprach immer wieder mit Begeisterung über die Gärtnerei ("Ich bin am liebsten im Garten und sehe den Bäumen zu, wie sie wachsen"), der er auf seinem Friar-Park-Anwesen nachging. Seiner Suche nach Ruhe und Ausgleich fast diametral gegenüber stand hingegen seine Begeisterung für Motorsport: Harrison liebte (und besaß zahlreiche) schnelle Autos, schwärmte von Formel-1-Star Niki Lauda und schrieb sogar einen Rennsportsong ("Faster").
Und auch wenn es manchmal so wirkte: Der "stille Beatle" war kein Kostverächter. Zwischenzeitlich, nach der Trennung von seiner ersten Ehefrau Pattie Boyd 1974, ließ er sich sogar völlig gehen: Er hätte damals auch schon mal eine Flasche Brandy am Abend gekippt und "andere schlimme Dinge" zu sich genommen, gestand er dem "Rolling Stone". Seine zweite Ehefrau Olivia und ihr 1978 geborener gemeinsamer Sohn Dhani hätten ihn aus diesem Loch gerettet.
Harrison, sich vom Druck eines Lebens als "Ex-Beatle" zu befreien und sich unterschiedlichsten Projekten und Herzensangelegenheiten zu widmen: Er half seinem Freund Ravi Shankar, 1971 das legendäre Benefizkonzert "The Concert For Bangladesh" zu organisieren. Er finanzierte die Jesus-Parodie "Das Leben des Brian", weil er großer Monty-Python-Fan war und den Film unbedingt sehen wollte. Er gründete Ende der 80er-Jahre die Supergroup The Traveling Wilburys, in der er mit Bob Dylan, Roy Orbison, Jeff Lynne und Tom Petty gemeinsam spielte, weil es allen Beteiligten einfach Spaß machte, gemeinsam zu musizieren und Monty-Python-Sketche nachzuspielen. Und manchmal "vergaß" er sogar die Musik: Im "Rolling Stone"-Interview behauptete Harrison, dass er 1977 ein Jahr lang keinen Ton gespielt habe. "Ich genieße es, unauffällig zu sein und ein friedliches Leben zu haben", sagte er damals.
Stalker-Attacke und Krebstod
Dass Harrison die große Öffentlichkeit mied, dass er nur selten Konzertreisen unternahm - er schimpfte einmal über "miese Hotels, schlechtes Essen, immer woanders sein müssen" -, hatte einen ernsten Hintergrund. Wie auch Ron Howards Dokumentarfilm "Eight Days A Week" (2016) zeigt, stellte die "Beatlemania" mit den kreischenden Mädels, den von Fans gesäumten Straßen und Flughäfen nicht nur ein Phänomen dar, sondern eine echte Bedrohung. Eine Erfahrung, die Harrison nachhaltig prägte, Dass die Beatles 1966 beschlossen, nicht mehr auf Tournee gingen, "war eine Frage von aufhören oder sterben", sagte er. "Wir wären ein paar Mal fast gestorben - Flugzeuge, die Feuer fingen, Leute, die unser Flugzeug abschießen wollten und Tumulte, überall wo wir auftauchten."
Sein Unwohlsein verstärkte sich noch durch John Lennons Tod, seine Angst vor Stalkern sollte sich tragischerweise nicht als unbegründet erweisen: Am 30. Dezember 1999 wurde Harrison das Opfer einer Messerattacke, der Täter, der an paranoider Schizophrenie litt, brach in Harrisons Anwesen ein und verletzte den Ex-Beatle mit mehreren Stichen. Teile von Harrisons Lunge mussten daraufhin entfernt werden. Obwohl er den Angriff überlebte, gab es danach immer wieder Berichte darüber, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe. 1997 hatte Harrison - lange Zeit ein starker Raucher - bereits mit einer Kehlkopfkrebs-Erkrankung gekämpft. 2001 wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert, an dessen Folgen er am 29. November 2001 im Alter von 59 Jahren starb.
VideoBeatles: Das Plattenlabel der Verrücktheit